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​Absurde Geschichten, wie Forscher durch Radioaktivität umkamen

Seit Jahrzehnten sind Menschen von der Atomkraft fasziniert. Doch nicht immer nahmen ihre Experimente ein gutes Ende.
Pyrophores Plutonium | Foto von Wikimedia

Als die USA nach dem Zweiten Weltkrieg mehr über die Wirkung und Folgen von radioaktiver Strahlung auf den menschlichen Körper wissen wollten, positionierten sie in unterschiedlicher Entfernung zum Detonationspunkt von Atombombentests eigene Soldaten. Anhand von ihren Eindrücken sollten sie Auskunft zur Wucht der Detonation abgeben—aber auch Informationen zu den Spätfolgen von radioaktiver Strahlung auf den Menschen liefern. Besonders in der Frühzeit der atomaren Forschung wussten Wissenschaftler und Arbeiter die Gefahr, die von den radioaktiven Stoffen ausgeht, nicht richtig einzuschätzen und gingen etwas gar sorglos mit dem gefährlichen Material um.

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Der Strahlentod ist eine der eher hässlicheren Arten, sich ins Jenseits zu verabschieden: Nach anfänglichen akuten Übelkeitssymptomen tritt eine "Walking Ghost"-Phase ein, bei der eine scheinbare Genesung des Patienten eintritt, bevor die zerstörten Stammzellen die Reproduktion der körpereigenen Zellen nicht mehr zulassen und den Körper innert Wochen zugrunde gehen lassen. Folgende Beispiele aus der Geschichte zeigen, dass nur schon kleine Bedienfehler oder motorische Missgeschicke im Umgang mit strahlender Materie tödlich enden können.

Den Drachen am Schwanz kitzeln

Nachstellung des verhängnisvollen Experiments, das die Konfiguration der Beryllium-Schalen zeigt | Dmcdevit | Wikimedia | Public Domain

Obwohl die Atombombenabwürfe über Japan schon einige Wochen her waren, wussten Forscher noch nicht ausreichend viel über nukleare Energie, um deren Gefahren einschätzen zu können. Um mehr über die kritische Masse von Plutonium—ein radioaktives Schwermetall, das im waffenfähigen Zustand zum Bau von Atombomben dient—herauszufinden, führte der US-Forscher Harry Daghlian gemäss dem New Yorker 1945 an einem Plutoniumkern in Los Alamos in New Mexico Experimente durch.

Bei dem Versuch stapelte Daghlian mehrere Wolframcarbid-Quader um eine rund sechs Kilogramm schwere Plutoniumkugel, um die von ihr ausgehenden Neutronen zu reflektieren. Daghlian wollte durch das Aufstapeln der Reflektoren und mithilfe seines Neutronenzählers rausfinden, wo die kritische Masse von Plutonium liegt und gab dem pragmatischen Versuchsaufbau dadurch den Namen "den Drachen am Schwanze kitzeln". Als Daghlian am Abend des 21. August 1945 mit seiner linken Hand den letzten Quader über dem Aufbau platzierte, schlug sein Neutronenzähler aus und das Plutonium erreichte fast überkritische Werte. Er zog seine Hand zurück, der Quader rutschte ihm aus der Hand und fiel in das Zentrum von "Rufus"—so der Name der Plutoniumkugel vor dem Unfall.

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Das Missgeschick hatte zur Folge, dass die Reflexion der Neutronen sich massiv erhöhte und das Plutonium prompt überkritisch wurde. Daghlian war sich der Gefahr sofort bewusst und entfernte den Quader umgehend mit seiner rechten Hand, die dabei in ein bläuliches Licht gehüllt wurde. Nach dem Missgeschick, baute er den Versuchsaufbau ab, bevor er sich in ein Krankenhaus fahren liess.

Zunächst spürte Daghlian in seiner rechten Hand Taubheit, später dann ein Prickeln. Um die beim Unfall freigesetzte Strahlendosis zu ermitteln, rekonstruierten Forscher am Los Alamos National Laboratory den Versuchsaufbau und fanden raus, dass während dem Unfall zehn Billiarden Kernspaltungen stattfanden und Daghlian eine Strahlendosis von 5,1 Sievert abbekam. Heute wissen wir, dass eine Strahlenbelastung von 2 Sievert bereits tödlich enden kann. Daghlian erlag 25 Tage nach seinem motorischen Missgeschick der Strahlenkrankheit und gilt als erster Opfer eines Nuklearunfalls.

Der "Demon Core"

Slotins Hände | Scan von Los Alamos National Laboratory | New York Public Library | Public Domain

Genau acht Monate nach Daghlians Unfall versuchte sich gemäss der Atomic Heritage Foundation und dem New Yorker der kanadische Physiker Louis Slotin am selben Plutoniumkern. Im Unterschied zu Daghlian benutzte Slotin zwei Beryllium-Halbkugeln um den Kern als Neutronenreflektoren. Wichtig war dabei, dass diese den Kern nie komplett umschliessen, wofür normalerweise ein Distanzstück sorgte. Am 21. Mai 1946 liess Slotin dieses Stück jedoch weg und verwendete stattdessen einen Schraubenzieher, um die Halbkugeln zu steuern und sich der kritischen Masse so anzunähern.

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Als Slotin seinen Kollegen das Experiment demonstrieren wollte, rutschte ihm der Schraubenzieher aus der Hand und die Halbkugeln umschlossen das Plutonium komplett, was wiederum zu einem prompt überkritischen Zustand führte. Um zu verhindern, dass auch die anderen sieben Anwesenden tödliche Strahlendosen abbekamen, reagierte Slotin sofort und entfernte mit seiner Hand die Halbkugel. Zuvor wurden die Kugeln durch die Hitze auseinandergestossen und die Kettenreaktion beendet. Slotin spürte dabei ein Brennen in seiner Hand und einen sauren Geschmack im Mund.

Die anwesenden Wissenschaftler vernahmen auch ein blaues Leuchten des Versuchsaufbaus. Slotin bekam dabei eine höchst tödliche Strahlendosis von 21 Sievert ab, während seine Besucher mit geschätzten 0.3 bis 3.6 Sievert verstrahlt wurden. Slotin verstarb schon neun Tage später an der Strahlenkrankheit und auch sein Assistent erhielt bleibende Schäden. Der Plutoniumkern erhielt nach den zwei unglücklichen Unfällen den Namen "Demon Core", wurde später eingeschmolzen und für einen neuen Kern verwendet.

An die Decke genagelt

Physiker überprüfen den Highway 20 auf Kontamination am Morgen nach dem SL-1-Unfall | Idaho National Engineering and Environmental Laboratory, INEEL 61-9 | Public Domain

Während den Wartungsarbeiten am militärischen Siedewasserreaktor an der National Reactor Testing Station in Idaho geriet gemäss einer Quellensammlung des Weltraumphysikers Robert Johnson beim Einschalten des Reaktors am 3. Januar 1961 die Situation für kurze Zeit ausser Kontrolle. Für die Dauer von nur vier Millisekunden wurde die Anlage prompt überkritisch und Brennelemente aus hoch angereichertem Uran fingen sich an zu zerlegen. Die Wassersäule, die den Reaktorkern umgab, schoss mit neun Metern pro Sekunde gegen den Reaktordeckel und hob den ganzen zwölf Tonnen schweren Kessel an die Decke des Gebäudes.

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Die anrückenden Feuerwehrleute mussten wegen der extrem hohen Strahlenbelastung während dem Rettungseinsatz nach jeweils einer Minute im Reaktor abgelöst werden, 22 von ihnen kriegten nicht unwesentliche Strahlendosen ab. Im Reaktor fanden sie zwei der Wartungsarbeiter, die durch den Wasserstrahl auf den Boden geschleudert wurden. Einer der beiden konnte erst noch lebend geborgen werden, erlag aber nur Stunden später seinen Verletzungen. Der dritte Arbeiter wurde von Teilen der Bedienelemente hochgeschleudert und von diesen an Schulter und Rippen an die Decke genagelt. Auch nachdem die Leichen der Arbeiter von ihren Kleidern befreit wurden, strahlten deren mit Splitter durchbohrte Körper mit noch fünf Sievert pro Stunde.

Ein Schuss zu viel

Uranium | Foto von WikiImages | Pixabay | CC0

Am 30. September 1999 befüllten gemäss der University of Southern California drei Arbeiter in einer Brennelementefabrik in Tōkai-mura in Japan einen Tank mit Urangemisch. Wegen fehlenden Instruktionen und mangelhaften Sicherheitsrichtlinien wollten die Arbeiter den Tank mit 16 Kilogramm Urangemisch statt den benötigten 2.4 Kilogramm füllen. Der Tank erreichte schon bei 5 Kilogramm Füllmenge die kritische Masse und setzte eine unkontrollierte Kettenreaktion in Gang. Auch hier erkannten die Arbeiter durch einen blauen Blitz ihren Fehler.

Erst nach 20 Stunden gelang es der Feuerwehr gemäss Spiegel, die Kettenreaktion durch eine Notaktion zu beenden und das Kühlwasser aus dem Tank abzulassen. Zwei der Arbeiter hatten nach kurzer Zeit mit Übelkeit, Durchfall und einer Veränderung des Blutbilds zu kämpfen. Das Atomland Japan war zu diesem Zeitpunkt nicht auf so ein Ereignis vorbereitet. Die Rettungskräfte packten die Schwerverletzten notdürftig in Plastikfolien und schützten sich selbst mit nutzlosen Stoffhandschuhen und Atemschutzfiltern aus Papier.

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Die Regierung in Tokio beorderte eine Einheit des Militärs mit Ausrüstung gegen chemische Angriffe zum Unfallort, nur um dort dann festzustellen, dass man gegen atomare Verstrahlung komplett unvorbereitet war. Der Arbeiter Hisashi Ouchi wurde bei dem Unfall gemäss WOZ einer Strahlung von 17 Sievert ausgesetzt, erlitt schwerste Verbrennungen am ganzen Körper und Schäden an seinen inneren Organen. Seine weissen Blutkörperchen wurden dabei fast komplett zerstört und Ouchi starb nach drei Monaten völlig aussichtslosem Todeskampf an Leberversagen. Seine Chromosomen waren unter dem Mikroskop nicht mehr wiederzuerkennen, sie waren auseinandergerissen oder verschmolzen.

Durch das zerstörte Erbgut regenerierten sich seine Körperzellen einfach nicht mehr, seine Haut löste sich komplett ab und seine Schleimhäute fingen an zu bluten. Ouchi wurde über Wochen ohne Überlebenschance künstlich am Leben erhalten. Sein Kollege Masato Shinohara bekam 10 Sievert ab, erhielt zwar noch Hauttransplantationen, erlag aber nach sieben Monaten wegen seinem zerstörten Immunsystem einer Infektion.

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Foto von Los Alamos National Laboratory | Wikimedia | Public Domain