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Warum Facebook auch für Trump, AfD und andere Hetzer verantwortlich ist

Wie Facebook die Monster geschaffen hat, die uns jetzt nicht mehr verlassen.

Besorgte Bürger demonstrieren in Bautzen gegen Flüchtlinge. Danke Facebook! Foto: imago | Christian Mang

Seit gestern geistert ein Screenshot eines Status-Updates durch Facebook und wird Hunderte Male von "besorgten Bürgern" geteilt. Ein angebliches Grünen-Mitglied schreibt, dass bei den nächsten Bundestagswahlen die AfD triumphieren wird, und weiter (alles sic): "Wir müssen bis zur nächsten Wahl unser Bestes geben und so viele Afrikaner und Syrer wie möglich in unser Land holen! Leider werden immer mehr Gewalttaten von Flüchlingen publiziert, da die Medien nicht mehr mit uns zusammenarbeiten. Daher fordere ich alle Grünen dazu auf Flüchtlinge zu unterstützen egal wie intigrationswillig sie sind. Wir haben nicht mehr lange Zeit, bis das dritte Reich zurückkehrt!" Dass der Post und das ganze Profil ein Fake ist, interessiert die teilenden besorgten und (selbstverständlich) empörten Bürger dabei wenig. Der Facebook-Post des Grünen Landesverbandes, dem der Mann angeblich angehört, in dem steht, dass man die Person nicht kenne, hat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels fünf Likes.

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Die Filterblasen, die Facebook und sein Algorithmus geschaffen haben und in denen die eigene Meinung der User immer wieder bestätigt wird, schreiben Hetze nicht nur immer weiter fort, sondern sind auch mit dafür verantwortlich, dass der Populismus von AfD, Donald Trump und Konsorten immer mehr an Fahrt gewinnt. Wenn ein Artikel genug Likes generiert und oft genug geteilt wird, erscheint er in immer mehr Timelines. Facebook macht keinen Unterschied zwischen richtig und falsch, zwischen Hetze und Fakten.

Im Mai veröffentlichte das Wall Street Journal ein Projekt, das die Facebook-Feeds von liberal denkenden denen von konservativ denkenden Menschen gegenübergestellte. Geordnet nach Themen wie Abtreibung, Obama, Trump oder den amerikanischen Waffengesetzen. Der Unterschied zwischen den Artikeln in den Newsfeeds ist enorm.

Thema Abtreibung: Im liberalen Newsfeed erscheinen Artikel, in denen es darum geht, dass die US-Wahl auch eine Wahl über die Abtreibungsgesetze der USA sei, darüber, dass es nicht weniger Abtreibungen geben werde, wenn sie wieder kriminalisiert werden, oder dass die späten Schwangerschaftsabbrüche, von denen Trump behauptet hat, Hillary Clinton würde sie befürworten, so nicht existieren. Auf der konservativen Seite: Aufrufe dazu, Petitionen zu unterschreiben, die Schwangerschaftsabbrüche in den USA komplett verbieten wollen, Bilder von abgetriebenen Föten und Artikel über ehemalige Abtreibungsbefürworter, die Schwangerschaftsabbrüche heute als Barbarei bezeichnen.

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Thema Donald Trump: auf der liberal-demokratischen Seite Aufrufe dazu, die Wahlmänner (die am 19. Dezember erst wirklich den Präsidenten wählen) davon zu überzeugen, ihre Stimmen Trump zu verweigern, Artikel über den kommenden Betrugsprozess gegen Trump und Frisurenwitze. Auf der anderen: Artikel darüber, wie Trump die "linke Zwangskrankenversicherung" Obamacare abschaffen will, empörte Zusammenfassungen der Anti-Trump-Proteste und ein Interview mit Newt Gingrich, dem möglicherweise nächsten Außenminister.

Der nächste Anführer der freien Welt. Danke Facebook! Foto: imago | AFLO

Nebeneinander betrachtet geben die beiden Feeds einen Überblick über unterschiedliche, polarisierte Meinungen zu einem Thema. Das Problem dabei ist nur: Facebook-User sehen die Feeds nicht nebeneinander, sondern jeweils einen, der am Ende nur die eigene Meinung widerspiegelt. Der Autor Eli Pariser hat dafür den Begriff Filterblase erfunden und definiert sie als "das persönliche Informationsuniversum, das Sie online bewohnen—einzigartig und nur für Sie aufgebaut von den personalisierten Filtern, die das Web jetzt antreiben."

Die Professorin für Kommunikationswissenschaft, Katharina Kleinen-von Königslöw, sagte zu VICE: "Das Zentrale bei Facebook ist, dass die Motivation der meisten Menschen nicht ist, sich zu informieren, sondern die virtuelle Identität zu pflegen. Das führt dazu, dass die Leute Nachrichten, die geteilt werden, meist gar nicht lesen, sondern einfach aufgrund der Überschrift und des Bildes entscheiden, sich damit zu positionieren. Es geht nicht um Information, sondern um Positionierung und Identitätsarbeit."

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Laut zwei italienischen Studien, die sich mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien im Internet beschäftigt haben, sind die Fronten verhärtet. Facebook-Nutzer vernetzen sich mit Leuten mit den gleichen Interessen und geraten damit in Filterblasen, die sich immer nur noch auf sich selbst beziehen: Laut der Studie kommt es zu "Bestätigungsverzerrung", Wissenslücken werden mit dem aufgefüllt, was man ohnehin schon glaubt. Wenn User mit Fakten konfrontiert werden, die ihrem Weltbild widersprechen, passieren gleich zwei Sachen. Ersten ignorieren sie die Fakten einfach und zweitens bestärkt das Ganze ihre ursprüngliche Meinung.

"Facebook hat einen gigantischen Einfluss auf die politische Meinungsbildung. Zwei Milliarden Menschen am Tag werden durch Facebook erreicht."

Und besser wird es so schnell auch nicht. Vor den US-Wahlen wurde in den USA ein Facebook-Eintrag, in dem behauptet wurde, dass der Papst sich für Trump als Präsidenten ausspricht, fast eine Million mal geteilt—die Nachricht, dass das alles nicht stimmt, nur 33.000 Mal.

Auf dieser Seite des Atlantiks sieht es nicht sehr viel besser aus. In Deutschland nutzen fast zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen Facebook als wichtigste Informationsquelle, und damit mehr als Fernsehen oder Zeitungen. Die AfD hat auf Facebook fast 300.000 Likes. SPD und CDU selbst zusammengerechnet nur 237.000. Auch hier verbreiten sich Posts mit erfundenen Horrorgeschichten über Flüchtlinge wie Lauffeuer und werden so zur gefühlten Wahrheit der besorgten Bürger. Die wiederum bewegen sich dann zwischen den Facebook-Seiten von AfD, Compact (88.000 Likes), KenFM (270.000 Likes) oder der Jungen Freiheit (116.000 Likes) und tragen Halbwahrheiten, platte Lügen und Vermutungen immer weiter. Ohne Realitätsbezug.

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Julius van de Laar hat 2008 und 2012 bei den Präsidentschaftskampagnen von Barack Obama mitgearbeitet und berät heute politische Organisationen und NGOs in Deutschland. Er sagte zu VICE: "Facebook hat einen gigantischen Einfluss auf die politische Meinungsbildung. Zwei Milliarden Menschen am Tag werden durch Facebook erreicht. Problem dabei ist, dass es anders als bei journalistischen Medien wie der New York Times oder der Washington Post bei Facebook kein Editorial-Board gibt, das die Beiträge auf deren inhaltliche Richtigkeit prüft. Auf Facebook sieht der journalistische Beitrag genau gleich aus wie die Lüge und das ist sehr gefährlich."

Faktenprüfung lehnt Facebook jedoch ab, das Unternehmen sich nicht als Medienhaus, sondern als reines Tech-Unternehmen. Ob ein Post jetzt pure Propaganda, falsch oder qualitativ hochwertig ist, interessiert nicht. Was viele Likes generiert und oft geteilt wird, sehen immer mehr Menschen. Gleichzeitig weiß Facebook, was der jeweilige Nutzer sehen will. Und der besorgte Bürger will Neuigkeiten darüber lesen, wie Flüchtlinge Kinder fressen, oder dass Hillary Clinton einen internationalen Kinderporno-Ring leitet.

Die Situation ist also vertrackt. Die Kommunikationswissenschaftlerin Kleinen-von Königslöw sieht Probleme darin, Journalismus und Populismus auf Facebook voneinander strikt zu trennen: "Nur weil ein Beitrag populistisch ist, heißt das noch nicht, dass die Information ganz schlecht ist. Man könnte allerdings auf jeden Fall automatische Bots und Linkfabriken löschen, in denen populistische Inhalte mit Links produziert werden, die dann auf Werbeseiten führen. Das passierte im US-Wahlkampf, besonders im Trump-Lager."

Auch wenn die USA für die nächsten vier Jahre vermutlich ziemlich verloren sind, hat sie immerhin noch Hoffnungen für Deutschland: "Um Deutschland mache ich mir wesentlich weniger Sorgen. Nicht im Bezug auf die mediale Inkompetenz vieler Menschen, aber ich glaube, dass Politik und Medien bei uns noch mit ganz anderen Maßstäben arbeiten, vor allem auch bedingt durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Politiktradition."

Hoffentlich kein unbegründeter Optimismus.

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