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Popkultur

Von Aliens zur NWO: ‚Akte X‘ ist die falsche Serie zur falschen Zeit

Bedient die neue Staffel von ,Akte X' die gleichen Klischees, die man sich auch von Pegida und AfD anhören kann?
I want to believe, der Akte X Film von 2008. Imago | Entertainment Pictures

Bestimmte Dinge aus den 90ern sollten besser Teil der Geschichte bleiben, ohne unnötigerweise ein Remake, Reboot oder gar eine Fortsetzung zu erfahren. Akte X gehört unbedingt zu diesen Dingen.

Jan Freitag weist auf Zeit Online zurecht darauf hin, dass die Serie damals auf die ideologische Leerstelle reagierte, die der Untergang der Sowjetunion im Bewusstsein des globalen Westens hinterließ. Alles Schlechte innerhalb der eigenen Gesellschaften konnte nicht mehr als Entbehrungen im Kampf gegen den Kommunismus oder bloße sowjetische Propaganda erklärt werden.

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Esoterik, Verschwörungsideologien und andere irrationale Glaubenssysteme erlebten bei denen, die nicht sowieso schon daran glaubten, einen Aufschwung. Diesen Themen widmete sich Akte X und setzte als neuen Endgegner Extraterrestrier, also Aliens, wofür auch das X im Titel der Serie steht. Damit setzte die Serie einen stärkeren Fokus auf die mystische Komponente, das Fiktive stand im Gegensatz zum Realpolitischen der Zeit im Vordergrund. Im Vorspann, quasi die gesamte Serie im Kleinen, geht es hauptsächlich um UFOs.

Die Handlung bestand im Allgemeinen aus Aneinanderreihungen von Monster-of-the-Week-Episoden, die als großen Plot von einer Verschwörung von Aliens mit Hilfe von Politikern berichteten. Die FBI-Agenten Fox Mulder (David Duchovny) und Dana Scully (Gillian Anderson) untersuchen unaufgeklärte „paranormale" Fälle. Fox Mulder wird als naiver Kritiker von Herrschaftsverhältnissen dargestellt, was sich auch in seinem Motto „I want to believe" ausdrückt. Mit der Skeptikerin Dana Scully wird Mulder eine Partnerin an die Seite gestellt, die eigentlich das tun sollte, was heute gemeinhin Debunking genannt wird.

Viel zum Debunken bekommt Scully jedoch nicht, schließlich konstruiert sich der Showrunner Chris Carter eine alternative Realität, in der Aliens wirklich mit großen Verschwörungen eine Invasion vorbereiten. Nach neun Jahren, 202 Episoden und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde die Serie erst einmal abgesetzt. Obwohl Verschwörungsideologien einen neuen Aufwind erfuhren, hatten Aliens als Strippenzieher im Hintergrund ausgedient. Faktenbasierte Ermittlungsserien, wie etwa CSI und ähnliche, übernahmen das Feld.

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Von Aliens zur NWO

Dem versucht die zehnte Staffel nun beizukommen. Der aktuelle Trend zu Verschwörungserzählungen wird durch den Schwenk von den Aliens zur Weltverschwörung aufgegriffen. In gewisser Weise nimmt sich die Serie der gestiegenen Öffentlichkeit von Verschwörungsideologien der letzten 15 Jahre zunächst selbstironisch an. Zu Beginn von S10E01 („My Struggle", im Deutschen: „Der Kampf") surft Mulder im Internet und sinniert darüber, dass Aliens zum Teil der Popkultur geworden sind (nicht zuletzt durch die Serie Akte X). Seine Lebensaufgabe sei in Folge dessen zur Punchline in Lateshows verkommen.

Die abgeklebte Kamera von Mulders Laptops versinnbildlicht die Widersprüchlichkeit der Realität zwischen Verschwörungsideologien und den realen Überwachungsskandalen nationaler Geheimdienste. Im Netz verfolgt er eine rechtspopulistische Sendung, die sich der Verkündung der „Wahrheit" verpflichtet fühlt. Ihr sehr wohlhabender Moderator Tad O'Malley (Joel McHale, Jeff Winger aus Community) bittet schließlich Mulder und Scully, ihm bei seinem Vorhaben behilflich zu sein. Auch hier erfolgt ein selbstironischer Kommentar auf den eigenen Sender FOX und dessen Sendung The O'Reilly Factor um den rechtskonservative Moderator Bill O'Reilly, an dem sich die Rolle des Tad O'Malley orientiert.

Zunächst sind Mulder und Scully skeptisch, schließlich wird Mulder jedoch durch das Alien-Entführungsopfer Sweta von der Sache O'Malleys überzeugt. Spätestens ab hier beginnt die problematische Talfahrt in den Abgrund der Verschwörungsideologien. Die Serie hat an dieser Stelle das Potential verschenkt, einem verschwörungsaffinen Publikum nahezubringen, dass es die eine zentrale Weltverschwörung nicht geben kann. So hätte der Ausstieg Mulders aus dem verschwörungsideologischen Sumpf, in den er sich im Laufe der letzten Jahre begeben hat, mit Hilfe Scullys durchaus eine spannende Story sein können. Stattdessen wird durch die Allianz mit den Rechtspopulisten Tad O'Malley klar, dass dieser Zug für immer abgefahren ist. Mulder kann man sich nun als Stammleser des Kopp Verlages vorstellen. Als würde Dr. Axel Stoll (promovierter Naturwissenschaftler) für das BKA arbeiten.

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So verkündet Mulder voller Stolz, dass er nun alles klar sehe: Die Welt wird von einer Verschwörung von „denen da oben" gesteuert. Damit meint er nun aber nicht mehr geografisch Aliens, sondern politisch eine kleine Machtelite. Die Geschichten um die Aliens waren lediglich eine False-Flag-Operation. Sie sollten die Menschen von den wirklichen Verantwortlichen ablenken. Der Masterplan könnte so 1:1 aus den antisemitischen Protokollen der Weisen von Zion stammen, getrieben von der „Gier der Unternehmen" und dem „dunklen" Ziel, zuerst Amerika und schließlich die ganze Welt zu übernehmen. Dabei soll der Gruppe „multinationaler Eliten" jedes Mittel recht sein: Wettermanipulationen (HAARP, Chemtrails!!11!1!), Versklavung der amerikanischen Bevölkerung durch den Patriot Act, FEMA Camps (Zeltlager der Bundesagentur für Katastrophenschutz), die Übernahme der Nahrungsmittelproduktion mit dem Ziel, die Bevölkerung zu mästen, zu betäuben und zu vergiften, um sie zu kontrollieren und auf die Rolle von einfachen Konsumenten zu reduzieren etc.

Mulder und sein Verbündeter O'Malley präsentieren ein Best-of der aktuellen Verschwörungsideologeme. Dazu werden reale Bilder von Polizeigewalt, Edward Snowden, Julian Assange und Protestdemonstrationen eingespielt. Realität und Fiktion verschwimmen unter dem Dach der großen Weltverschwörung. Und Scully? Sie sieht zunächst die Gefahren dieser Behauptungen. Letztlich muss sie sich jedoch der Maxime der Serie unterordnen, dass dies alles der Wahrheit entspricht. Und so schwenkt auch die Skeptikerin auf die verschwörungsideologische Linie ein.

Selbstbestätigung für die Querfront

Mit dieser Thematik ist Akte X die falsche Serie zur falschen Zeit. Die Mähr von der großen Weltverschwörung (Neue Weltordnung, NWO) befördert antisemitische Stereotype und der ursprünglich kritische Blick auf gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse wird getrübt durch die verschwörungsideologische Ausrichtung der eigenen Weltwahrnehmung auf benennbare Schuldige. Damit trägt diese Ideologie den Impuls zur Vernichtung der Schuldigen bereits in sich. Wie Scully es formuliert: „Someone has to stop these sons of bitches." Im Jahr 2016 hat die Ideologie von der NWO, in Deutschland mit der besonderen Ausprägung der Weltverschwörung gegen die Deutschen, eine beachtliche Anzahl von Anhängern. Die Radikalisierten laufen montags für die Reinheit der Deutschen und gegen die „Lügenpresse" durch Dresden und andere Städte, sägen als Alternativ-Partei und Alternativ-„Presse" an der menschenrechtlichen Verankerung des Grundgesetzes und fluten das Netz mit Hasskommentaren.

Die Serie Akte X trägt die Bilder von der NWO in die Wohnzimmer von Millionen Menschen. Dies könnte lediglich als Verschwörungsporn abgetan werden: Was wäre, wenn das wirklich alles stimmen würde? Das Problem ist, dass Verschwörungsideologen zu solch einer Abstraktionsleistung gar nicht mehr fähig sein wollen. Sie sehen in solchen Sendungen lediglich die Bestätigung ihres ideologischen Weltbildes. Dabei ist die zehnte Staffel von Akte X kein Counterspeech, kein Plädoyer für eine befreite Gesellschaft, sondern macht sich, indem Tad O'Malley letztlich als echter Kämpfer für die „Wahrheit" dargestellt wird, zum rechtspopulistischen Sprachrohr.

Die Vermischung von dokumentarischem Material mit fiktiven Spielszehnen während der Präsentation des großen Weltverschwörungsplanes verstärkt diesen Eindruck noch und macht bereits die erste Episode problematisch. Akte X ist spätestens mit der zehnten Staffel rechts abgebogen und wirkt in Zeiten des erfolgreichen Rechtspopulismus ihm gegenüber verstärkend. Mit dem dazugehörigen deutschen Werbeslogan „Bist du bereit für die Wahrheit?" wäre sicher auch Jürgen Elsässers verschwörungsideologisches Compact Magazin zufrieden.