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Wahlen 2015

Die wichtigsten Erkenntnisse der Wien-Wahl

Es ist vorbei. Wir haben zehn Erkenntnisse zusammengeschrieben, die du wissen solltest.

Foto von Florian Voggeneder

Da es in diesem Artikel um eine aktuelle Wahl geht, liegt es in der Natur der Sache, dass sich immer noch laufend einzelne Dinge ändern. Updates sind unten gekennzeichnet.

Die Wien-Wahl ist vorbei. Im Laufe des Montags werden noch die Wahlkarten ausgezählt, das wird aber eher nur kleinere Verschiebungen bringen. Das heißt, dass die Plätze alle feststehen und es für uns an der Zeit ist, sich zu fragen, was wir aus diesem hitzigen Sonntag—und allem, was zu ihm geführt hat—eigentlich gelernt haben. Hier die wichtigsten Infos und Erkenntnisse. (Anmerkung: Der Artikel wurde gestern Abend geschrieben. Wo sich etwas geändert hat, sind die Updates vermerkt.)

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1. Es gab noch viel weniger Duell als erwartet

Angekündigte Revolutionen finden nicht statt. Vor allem wenn seit Wochen alle darüber reden, dass sie nicht stattfinden. Die SPÖ hat sich hinter ihrem alten Schlachtross und Gutsherren Häupl versammelt. Und nicht nur die SPÖ, auch ein bisschen Wien selbst: Viele Grüne und Schwarze berichteten aus dem Wahlkampf, dass die Leute dieses Mal dann doch den Bürgermeister (wichtig: nicht „die SPÖ", sondern „den Häupl") wählen würden. Offenbar war es vielen Wienern wichtig, dass Strache nicht Nummer 1 wird. Damit hat ja auch die SPÖ selbst gespielt und „Bei dieser Wahl: Dr. Michael Häupl" plakatiert. Der Tenor, den man in Wien oft hörte: Ein letztes Mal SPÖ.

Das Kalkül ist aufgegangen: Die SPÖ hat ein respektables Ergebnis eingefahren, die FPÖ ist unter Erwartungen geblieben. Grüne und der ÖVP sind beide groß genug, um als Koalitionspartner durchgehen zu können, aber eben auch nicht mehr. Wobei Kalkül natürlich gemeiner klingt als es gemeint ist: Man nimmt Häupl die Abneigung gegenüber den Freiheitlichen klar ab, und die Positionierung in der Flüchtlingsfrage war mutig. Das ist kein Trick, aber trotzdem stehen dahinter natürlich auch taktische Überlegungen.

2. Das Ergebnis der FPÖ ist besser als es jetzt scheint

Manchmal ist die Fallhöhe eine Bitch. Im Freudentaumel über die drei bis vier Prozent, die die FPÖ hinter den Erwartungen zurückliegt, sollte man aber nicht übersehen, dass die FPÖ klar zugelegt hat. Sie hat mit Simmering und Floridsdorf zwei Bezirke übernommen, mit der Donaustadt fast noch einen dritten. Gudenus wird Vize-Bürgermeister. Das ist ein extrem gutes Ergebnis, auf dem die Partei in Wien weiter wachsen kann und das der Stadt zu denken geben sollte. Das fällt jetzt nur deshalb unter den Tisch, weil zuvor ein Kopf-an-Kopf-Rennen ausgerufen wurde.

3. Die Meinungsforschung hat versagt

Dass Umfragen vor der Wahl daneben liegen, ist man ja eigentlich schon fast gewohnt. Es liegt auch in der Natur des Untersuchungsgegenstandes Mensch, dass sich nicht alles immer so einfach vorhersagen lässt. Deshalb ist es oft gar nicht so fair, auf die Demoskopen einzuprügeln. Man nimmt nämlich gerne deren Zahlen für die Sonntagsfrage—die Sätze, die sie etwas leiser hinterher schicken („Das ist eine Momentaufnahme"; „Es gibt noch xy Prozent Unentschlossene") werden deutlich weniger gehört, weil sie den starken Schlagzeilen oft im Weg stehen.

Neu war, dass die Wahltagsbefragung (also das, was eine Stunde vor der ersten Hochrechnung kommt) sowohl vom Institut SORA (für die APA, mit diesen Zahlen haben sowohl der ORF als auch Puls 4 gearbeitet) als auch ARGE Wahlen (für ATV) so weit daneben lag. Zwar waren sie unterm Strich nicht so schlecht, weil sie die kleinen Parteien recht genau vorhergesagt haben. Aber trotzdem: In der entscheidenden Frage an der Spitze war das nicht mehr in der Schwankungsbreite. Peinlich für die Institute, peinlich für die Medien, die so eine Stunde lang völlig falsche Zahlen kaputt analysierten. Besonders interessant: Bisher galt es als fast unmöglich, die FPÖ zu überschätzen, weil sich ihre Wähler oft nicht zu der Partei bekannt haben. Das hat sich offenbar geändert.

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Wenn die Institute bei den Zahlen, die sich überprüfen lassen, so daneben liegen, lässt das nichts Gutes für die Statistiken erahnen, für die es keine objektive Überprüfung gibt.

Man muss zu diesen „Wahltags/Nachwahlbefragungen" etwas wissen: Es ist—anders als der Titel suggeriert—nicht so, dass sich da hundert Mitarbeiter vor die Wahllokale stellen. Das wäre unbezahlbar. Das sind Befragungen, die zwischen Mitte dieser Woche und heute am Telefon durchgeführt wurden. Die Zusammenstellung und Gewichtung dieser Fragen ist Aufgabe der Meinungsforschungsinstitute. Dementsprechend haben sie in diesem Punkt auch versagt. Nach den Gründen wird man forschen müssen, einige mögliche haben die Kollegen vom Standard aufgelistet.

Wer jetzt hingeht und fragt, warum wir nicht komplett auf Wahltagsbefragungen verzichten, hat zwar Recht, sieht aber das viel größere Problem nicht: Die „Was wählen Frauen/Junge/etc.?"-Grafiken und andere tolle Statistiken basieren alle auf den Wahltagsbefragungen. Wenn die Institute bei den Zahlen, die sich überprüfen lassen, so daneben liegen, lässt das nichts Gutes für die Statistiken erahnen, für die es keine objektive Überprüfung gibt.

4. Die NEOS haben die wichtigste Wahl seit 2013 gewonnen

Hätten die NEOS den Einzug in den Gemeinderat verpasst, wäre das eventuell der Anfang vom Ende des Projekts gewesen. Wo, wenn nicht in Wien (und Vorarlberg) soll diese Partei denn stark sein? Es war im Nachhinein wahrscheinlich ein bisschen unfair, dass die Medien die NEOS als Zitterpartie beschrieben haben. Seit zwei Jahren hat sie jede Umfrage im Gemeinderat gesehen. Knapp, aber ja.

Die Partei wird in Wien allerdings vorerst keine besondere Rolle spielen. Man braucht sie nicht als Koalitionspartner, also werden sie die kleinste Oppositionspartei sein. Die NEOS blieben in Wien unter den Ergebnissen der Nationalratswahl. Das muss aber nichts heißen. Man wird sehen, wie sich die NEOS in Wien entwickeln, wenn es mal kein Duell an der Spitze gibt oder die ÖVP eventuell doch wieder erstarkt.

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5. Die ÖVP hat ein gewaltiges Problem

Selbst in Döbling und Währing verliert die Partei auf Gemeinderatsebene knapp 10 Prozent. In ganz Wien gibt es nur noch sechs Sprengel mit einer Mehrheit für die ÖVP. Dass Juraczka zurücktritt, ist eigentlich selbstverständlich. Auch wenn es auf Bezirksebene manche gute Nachricht gibt (Mickel hält die Josefstadt und legt sogar 3,5 Prozent zu, und auch Hietzing bleibt schwarz), ist die ÖVP Wien ein Scherbenhaufen. Es wird definitiv eine Lichtgestalt brauchen, sollte daraus irgendwann nochmal was werden.

(Update 12.10. 9 Uhr: Währung ist an die Grünen gegangen)

6. Die Grünen haben auch ein echtes Problem, man sieht es nur weniger

Die Tatsache, dass die Grünen leicht verloren haben (UPDATE 12.10., 9 Uhr: Bis gestern sah es so aus, als könnten sie mit Wahlkarten ihr Ergebnis halten), überdeckt ein im Grunde sehr schwaches Ergebnis. In Wien ist für eine Partei wie die Grünen alles unter 15 Prozent im Grunde schwach. Vor allem, weil sie in Wien so allgegenwärtig sind, dass sie sich großartig als Projektionsfläche und Hassobjekt eignet. Nicht nur, aber auch wegen ihrem stromlinienförmigen Wahlkampf.

Ja, sie gehen jetzt mit der „Leihstimmen"-Argumentation hausieren. Das ist auch sicher richtig. Wer die Grünen wählt, hat sicher keine unfassbaren Skrupel, sein Kreuz bei Michael Häupl zu machen, wenn eh Rot-Grün angestrebt wird. Das könnte sich jetzt rächen, weil sich überraschend auch Rot-Schwarz ausgeht.

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Duell hin, Duell her: Die letzte Wahl, bei der die Grünen signifikant zugelegt haben, ist auch schon eine Weile her. Irgendwie scheint das momentan gedeckelt zu sein. Die Grünen verweisen immer wieder darauf, dass sie bundesweit die Nummer 1 unter den Jungen wären. Die Partei muss hoffen, dass sich diese strategischen Investitionen in der Zukunft auszahlen.

7. Ursula Stenzel war die beste Wahlhelferin der SPÖ im Ersten

Überraschenderweise hier ein Hinweis auf meine Wahlempfehlung — Wolfgang Zeglovits (@internetmicki)October 9, 2015

Ursula Stenzel hat mit ihrem Wechsel die Innere Stadt wahrscheinlich rot gemacht. (UPDATE 12.10., 9 Uhr: Zumindest sah es gestern so aus; aktuell ist die ÖVP wieder vorne) Die ÖVP verliert 13,5 Prozentpunkte, gleichzeitig legt die FPÖ mit Stenzel nur 9 zu. Da musste die SPÖ gar nicht so viel machen, um plötzlich Erster im Ersten zu sein. Dass die „Löwin" einen roten Bezirksvorsteher in der Inneren Stadt ermöglicht, ist eine Ironie des Schicksals.

8. Rot-Grün ist wahrscheinlicher, auch wenn Häupl alles offen lässt

Die SPÖ ist kurzfristig in einer relativ komfortablen Lage, weil sie zwei mögliche Koalitionspartner hat. Letztlich ist eine Fortführung der rot-grünen Koalition aber wahrscheinlich. Es gibt nichts, was großartig dagegen sprechen würde.

9. Häupl ist jetzt alleiniger starker Mann in der SPÖ

Häupl ist jetzt quasi der einzig verbliebende starke Mann in der SPÖ. Wenn er will, kann er Faymann vor sich hertreiben. Wenn er will, kann er wahrscheinlich auch dessen Rücktritt erzwingen. Vielleicht will er das Ganze aber auch nicht. Viel wird von Häupls persönlichen Planungen abhängen und hier vor allem von der Frage, ob er tatsächlich noch eine ganze Legislaturperiode machen will. Es ist aktuell vieles denkbar, vielleicht regelt er auch nur noch seine Nachfolge und tritt relativ zeitnah zurück. Wie es aussieht, planen SPÖ und ÖVP nach den Wahlschlappen jedenfalls eine Regierungsumbildung. Wir bleiben gespannt.

10. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Fazit: Die Probleme der SPÖ haben sich mit dem heutigen Tag nicht verringert. Häupls Nachfolge ist nicht in Sicht, die FPÖ ist durch das Ergebnis kurzfristig ernüchtert, langfristig aber eher gestärkt. Es ist gut denkbar, dass wir in fünf Jahren wieder von einem Duell reden. Mit ein bisschen Pech sogar mit umgekehrten Vorzeichen.

Folgt Jonas auf Twitter: @L4ndvogt