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Analsex in der Schule und Bordelleinrichtung im Unterricht

Ein Antidiskriminierungsprojekt wird (wieder) zum Ziel besorgter Bürger.

Screenshot via Schule der Vielfalt

In den Schulen von NRW gibt es "sexualpädagogische Auswüchse". Das findet zumindest Yvonne Gebauer, schulpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion. Auch die WELT titelte am Sonntag: "Kinder sollen Analsex in der Schule spielen". Der Artikel greift die Kritik Gebauers auf, dass Themen wie Darkrooms oder Sadomasochismus eindeutig übertrieben für den Sexualkundeunterricht in Schulen seien. Der eigentliche Sinn des Aufklärungsunterrichtes, nämlich unter anderem auch zu erklären, dass Heterosexualität nicht die einzige Sexualität auf diesem Planeten ist, geht dabei allerdings unter.

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Hauptziel der Kritik sind Lehrmaterialien zum sozialpädagogischen Umgang mit verschiedenen Formen von Sexualität, wie sie das Netzwerk SCHLAU in Nordrhein-Westfalen und das Projekt Schule der Vielfaltherausgeben. Das liebste Beispiel der Kritiker ist schon seit Jahren das Buch Sexualpädagogik der Vielfalt. Dabei beschweren sie sich vor allem über Ideen aus dem Buch, auch sexuelle Praktiken und Gegenstände wie Vaginalkugeln zu thematisieren, wenn sich die Schüler dafür interessieren.

Besonders das Schlagwort "Puff für alle" aus dem Buch hat es den Kritikern angetan. Die meisten Artikel raunen allerdings nur darüber, dass die Kinder einen solchen Puff im Unterricht "bauen" sollten. SPON hat genauer nachgeschaut: Die Schüler sollen lediglich diskutieren, wie eine Einrichtung aussehen müsste, die "verschiedenen Lebensweisen und sexuellen Praktiken" gleichberechtigt einen Platz bietet.

An diesem Thema haben sich vor zwei Jahren schon andere Plattformen mit ähnlichen Sorgen abgearbeitet. Das Buch findet sich mittlerweile weder auf der Seite von SCHLAU noch bei der Schule der Vielfalt. SCHLAU hat bereits auf seiner alten Seite klargestellt, dass die angesprochenen Methoden nicht aufgezwungen würden. Das Projekt hat sich die Antidiskriminierungsarbeit zum Ziel gesetzt, nicht den Zwang, irgendwelche Praktiken zu üben. Auch die neue Seite betont ausdrücklich die Regeln "Freiwilligkeit" und "Kein Outing".

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Screenshot via SCHLAU NRW

Damit bekommen die Kinder einen sicheren Raum, in dem sie alles fragen können, was sie zum Thema Sex beschäftigt, und zwar nicht nur zum heterosexuellen. Alles, was mit persönlichen Erfahrungen oder eigenem Ausprobieren zu tun hat, soll für sie dagegen rein freiwillig bleiben.

Zu dem schwammigen Begriff der "Handreichungen", die explizitere Unterrichtsthemen vorschlagen, hat der Aktivist Manfred Bruns schon vor zwei Jahren alles gesagt und trat damit auch gleich aus der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS) aus. Damals hatte das DGSS-Mitglied Karla Etschenberg unter anderem in der taz, aber auch der neurechten Jungen Freiheit behauptet, solche Handreichungen würden Oral- und Analsexübungen für Siebtklässler im Lehrplan etablieren.

Bruns stellte klar, was seine ehemalige Kollegin unterschlagen hatte: dass weder der Bildungsplan für NRW noch offizielle Vereinsmaterialien diese Vorschläge enthielten und diese höchstens individuell von Sozialpädagogen geäußert wurden. SCHLAU NRW selbst betont in den FAQs, dass ein rein auf Sex ausgelegtes Konzept nicht durch die Prüfung gekommen wäre. Und auch in der frei zugänglichen Leseprobe von Sexualpädagogik der Vielfaltstehen die ausdrücklichen Voraussetzungen für eine Arbeit mit dem Buch: Vertrauen, Offenheit—aber vor allem: Freiwilligkeit.

Die konservativen Stimmen der Debatte kritisieren aber eben nicht die Methodik des Buchs, die Kindern die Möglichkeit gibt, sich konkret über ihre eigene Sexualität zu bilden. Es geht um den sexuellen Inhalt und die besprochenen Praktiken, die implizit den Stempel des "Perversen" und Abwegigen aufgedrückt bekommen. Aus dem Konzept der Offenheit wird dann schnell mal eine "Werbung für homosexuelles Handeln". Projekte wie SCHLAU können also noch so oft ihre Methoden offenlegen: Das Stigma der "Umerzieher" behalten sie trotzdem.