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Popkultur

„Ich sehe immer weniger ausgefallene Persönlichkeiten“ – Die neue Doku über Helge Schneider

,Mülheim Texas' zeigt einen Helge, der auf dem Motorrad durch Spanien fährt und alle sehr natürlich mit „Hola!" grüßt.
Alle Fotos von Petra Lisson

Helge Schneider ist in Österreich so etwas wie ein wandelnder Widerspruch—nämlich ein Deutscher mit richtig gutem Humor. Und nicht nur das, sondern auch noch ein echter Individualist mit einem unergründlichen Charme, der trotzdem (oder deswegen) seit Jahrzehnten Erfolg hat und ein bisschen schon zum TV-Adel gehört. Das ist natürlich eigentlich kein Ding der Unmöglichkeit. Aber den typischen Alemannen, Bajuwaren und Bewohnern südlich der Donau kommt diese Kombination aus Falco und Steffi Sargnagel irgendwie seltsam vor. Sie reagieren auf diese Mischung so, wie jeder außerhalb von Wien auf den Begriff „lieber Grantler" oder jeder innerhalb Wiens auf den Begriff „netter Wiener".

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Darum sind Helge Schneider-Filme immer gleich doppelt interessant. Sie zeigen uns das Bild „eines anderen Deutschlands", das keinen Autoritätsanspruch stellt und alles andere als großspurig ist. Wie in allen Helge-Streifen ist es ein kleines, aber nicht kleinkariertes Deutschland, ein Deutschland jenseits der Kameras der TV-Sender und Realitysoaps, wo die Identitätslosigkeit in Fußgängerzonen voller leerer Schlecker-Filialen nicht mit lautem Verkaufs-Gejohle kompensiert wird. Und wie bei jedem Schneider-Film ist auch diese Doku über Katzeklo-Helge alles andere als einfach nur dumm und klamaukig.

Die Regisseurin Andrea Roggon hat diesen großen Zwerg und vertrottelten Kontrollfreak namens Helge, der in diesem Gegenentwurfs-Deutschland lebt, begleitet und bis dato in Österreich nur dem Publikum am großartigen Crossing Europe Festival in Linz vorgestellt.

In Mülheim Texas (womit wir wieder beim Widerspruch wären) folgt sie dem begnadeten Entertainer und Musiker 4 Jahre lang—manchmal auf Schritt und Tritt, manchmal aus der Distanz und durch die Brille des Publikums. Am Ende hat sie es auf jeden Fall geschafft (auch dank des wirklich guten Schnitts), das Unmögliche zu beweisen: Helge Schneider ist kein professioneller Entertainer, sondern einfach nur unterhaltend, weil er sich selber gerne unterhält. Und ein beflissener Musiker ist er auch nicht—sehr wohl aber einer der talentiertesten und neugierigsten Improvisierer, die man sich auf einer Bühne vorstellen kann.

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Die Stärke des Porträts liegt darin, dass diese fantastische Person hier von einer souveränen Regisseurin begleitet, die sich nicht unsichtbar macht, sondern auch im Film vorkommt, aber dabei immer sie selbst bleibt, ohne ihm ständig künstlich Kontra geben zu müssen.

Kinostart in Österreich ist der 14. 5. Wir haben mit Andrea Roggon über Helge und das Westdeutschland, das es nicht mehr gibt, gesprochen.

VICE: Deine Mutter kannte ja Helge Schneider persönlich und konnte dir da auch irgendwie eine Rutsche legen. Aber wieso wolltest du gerade über diesen Mann einen Film machen?
Roggon: Mich hat der Freigeist interessiert, den ich in seiner Improvisation sehe und der sein Werk ausmacht. Der Wille immer alles aus einer anderen Perspektive anzuschauen und anzugehen. Er schafft es halt aus den Gegebenheiten, Situationen oder auch Begegnungen immer etwas Eigenes zu schaffen.

Hast du das Gefühl, dass solche Typen—also jetzt Männer und Frauen—seltener werden im Showbiz oder im öffentlichen Leben?
Auf jeden Fall. Komischerweise ist es zwar so, dass es zwar oberflächlich betrachtet immer wichtiger ist, ganz individualistisch daherzukommen, aber gleichzeitig sehe ich immer weniger wirklich ausgefallene Persönlichkeiten, die nicht nur behaupten eigen zu sein.

Hat Helge Schneider eigentlich schon einmal Werbung gemacht?
Nein, hat er nicht. Allerdings wurde einmal eine Taz-Werbung mit einer Szene aus seinem Film gemacht.

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In deinem Film Texas Mülheim wird ihm ja angeboten, mit seiner ganzen Familie in die neu eröffnete Tapas-Bar vorbeizukommen. Nicht als Star, sondern mehr als Kiezgröße. Nimmt er so etwas dann an—nach dem Selbstverständnis „weltberühmt in Mülheim"?
Naja, die Leute wissen schon, dass Helge Schneider berühmt ist. Bei vielen ist es jedoch so, dass sie sich darüber fast schon wundern. So nach dem Motto: „Katzeklo? Muss man mögen, aber ich finds ok was der macht … Er macht ja auch Jazzmusik, oder?" Oder wie ein Taxifahrer vor kurzem meinte: „Der ist ja berühmt, aber dass der sich nicht mal bessere Kleidung kauft, wundert mich. Der läuft ja immer rum wie ein Penner!"
Auf der anderen Seite—oder genau deshalb—ist er sicher auch in Mülheim geblieben, weil er eben da auch in Ruhe gelassen wird. Man grüßt ihn auf der Straße, und das freut ihn. Aber eben eher in so einem dörflichen, nachbarschaftlichen Rahmen so wie in der Szene im Film.

Dieses regionale, provinzielle Deutschland und diese vorsichtige, verschrobene Art von Helge Schneider ist ja etwas, das man in Österreich von Deutschen nicht so kennt. Hier kennt man ja eher diesen fordernden deutschen Urlauber, der großspurig über alles Bescheid weiß und über alles dozieren kann. Ist einem als Deutscher diese Diskrepanz bewusst?
Ich finde es schon mal interessant, dass es allein in Deutschland so viele unterschiedliche Sichtweisen auf ihn gibt. Ich habe das Gefühl, dass jeder seinen eigenen Helge hat. Also auch dadurch, dass er sich nicht festlegt. Ich muss auch ein wenig gegen dieses Wort „Kiezgröße" protestieren, dass du vorhin benutzt hast, weil „Kiez" eben aus Berlin kommt und das Ruhrgebiet und gerade Mülheim etwas ganz anderes ist. Dieses Westdeutschland, wie es einmal war, kommt auch in unserem Kultur und Bildungsfernsehen inzwischen viel weniger vor. Mülheim ist eine Arbeiterstadt gewesen. Die Menschen sind weniger prätentiös, denke ich. Es geht nicht immer darum, was du repräsentierst, sondern einfach um eine direkte menschliche Ebene. Das sind jetzt natürlich Verallgemeinerungen, aber für mich war es sehr spannend, diese Region besser kennen zu lernen. Stuttgart und Berlin—die beiden Städte, in denen ich mich mehr bewege—sind eben ganz anders.

Muss Helge eigentlich ständig Kompromisse mit den großen Playern, Managern, Musikproduzenten eingehen?
Also ich finde, er bleibt sich sehr treu. Allerdings so treu, das er zu nervigen Veranstaltungen gar nicht erst hingeht.

Am Anfang des Films sieht man ihn, wie er auf dem Motorrad fährt und alle sehr natürlich mit „Hola!" grüßt. Waren da wirklich Leute oder war das alles Helge-Show?
Doch, da war diese Spaziergängerin mit dem Hund. Solange man keine Deutschen trifft ist er ja einfach irgend jemand. Ich glaube, das ist ja auch das Schöne für ihn. Und ja, er grüßt alle Leute immer sehr höflich und dann freut er sich, wenn die Leute ihn kennenlernen wollen. Dabei spricht er übrigens immer Spanisch. Klingt auch immer super, denn da ist auch vieles einfach erfunden.

Das Projekt ist ja fast eine Langzeitstudie und lief über vier Jahre. Wie stehst du nach so langer Zeit dazu? Ärgerst du dich, dass du ihn nicht härter angepackt hast?
Nein, mit „härter anpacken" erreicht man bei ihm nichts. Eher das Gegenteil. Die Erfahrung, die er als Künstler oder auch im Umgang mit Medien hat, war schon am Anfang sehr groß. Er weiß ja auch aus eigener Erfahrung, wie so eine Produktion funktioniert. Im Moment überlege ich noch, ob ich das Projekt weiterführe. Ich kann es noch nicht abschließend beurteilen.

Warum?
Ich glaube, es ist immer noch ein Prozess, der nicht ganz abgeschlossen ist. Und es ist sogar so, dass sich daraus meine nächste Projekt-Idee entwickelt.