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Die längste Wahl der Welt

Für Andreas Khol reicht Demokratie nicht – aber was bedeutet das?

Mit dem Statement „Demokratie allein sichert die Freiheit nicht" inszeniert sich Khol auf Facebook als starker Mann. Und kassiert einiges an Kritik.

Die Sicherheit scheint der ÖVP sehr am Herzen zu liegen. Zumindest dann, wenn Verunsicherung gerade gesamtgesellschaftlich ein Thema ist und Terror einen guten Anlass bietet, noch mal an seine eigenen Agenda von mehr Überwachung und einem stärkeren Sicherheitsapparat zu erinnern—während man ganz nebenbei auf die Schwächen von Demokratie hinweist und mit Militarismus kokettiert.

So ungefähr lässt sich das Facebook-Statement des ÖVP-Präsidentschaftskandidaten Andreas Khol zusammenfassen, dass er am Mittwochmorgen zum Terror von Brüssel gepostet hat. „Demokratie allein sichert die Freiheit nicht" lautet der Claim im Bild; im Begleittext setzt sich Khol für „eine wehrhafte Demokratie mit einem funktionierenden Sicherheitsapparat" ein.

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Das lässt natürlich viel Platz für Spekulationen in jede Richtung. Während die einen darin eine Stärkung der Demokratie durch den militärischen Apparat verstehen, sehen die anderen eine Koketterie mit der österreichischen Ständestaat-Vergangenheit—und lesen die Ansage Demokratie alleine reicht nicht als implizite Forderung nach Alternativen. Das Satiremagazin Hydra überspitzte die Kritik sogar zu einer Dollfuss-Collage.

Dass Khol im Sujet eher wirkt, als würde er als Polizei- und nicht als Bundespräsident kandidieren, trägt nur weiter zur Kritik bei und schärft das Bild des konservativen katholischen Hardliners in Richtung militaristischer und polizeilicher Aufrüstung.

Das ist vieles, aber nicht neu. Bereits kurz nach den Terroranschlägen in Paris, als die Mehrheit noch trauerte und eine Minderheit den gedanklichen Kurzschluss zwischen Terrorismus und Refugees zog, versuchte sich die ÖVP in gezieltem Agenda-Setting, was Sicherheit und Überwachung angeht. Damals zog ÖVP-Obmann Reinhold Lopatka einen Kurzschluss zwischen Angst und Bürgerrechten auf der einen und Sicherheit und Überwachung auf der anderen Seite, als er am Samstagmorgen nach den Anschlägen postete:

Leider schränkt der notwendige Kampf gegen den Terror auch unsere Bürgerrechte ein.Wir müssen aber alles tun, um weitere Tote zu verhindern.

— Reinhold Lopatka (@ReinholdLopatka)14. November 2015

Schon das damalige Posting warf mehr Fragen auf, als es beantworten konnte. Zum Beispiel ließ Lopatka offen, welche Rechte genau wie tiefgreifend beschnitten werden müssten und auf welche Art das im Detail zu mehr Sicherheit vor Terrorismus führen soll.

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Gernot Blümel, Landesparteiobmann der ÖVP Wien, setzte noch eins drauf, indem er sich in der Zwischenzeit zwar für Freiheit aussprach—diese aber in bestem Neusprech direkt an den Sicherheitsapparat knüpfte, weil sie nur so in der Praxis funktionieren könne:

Freiheit und Sicherheit sind DIE Grundpfeiler unseres Zusammenlebens! Paris zeigt: es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit! — Gernot Blümel (@Gernot_Bluemel)14. November 2015

Dass gerade Paris das beste Anschauungsbeispiel war, um zu zeigen, dass mehr Überwachung und weniger Refugees keine Garantie für Sicherheit und gegen Anschläge sind, wurde in beiden Fällen ignoriert: Immerhin hat die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich weder die Angriffe auf Charlie Hebdo und eine jüdische Bäckerei Anfang 2015 verhindert, noch die Attentate im vergangenen November. Was beides jedoch nach sich zog, war die Ausrufung eines Ausnahmezustands, der bis heute nicht aufgehoben wurde und keine nachweisbaren positiven Auswirkungen hat, aber dafür einige sehr konkrete negative—wie das Verbot der Proteste gegen den Klimagipfel unter Berufung auf die Sicherheit.

Auch im Fall von Brüssel waren die Gefahren und sogar die möglichen Täter bekannt. Noch einen Tag vor den Bombenanschlägen sagte Belgiens Innenminister Jan Jambon, man wäre sich der erhöhten Terrorgefahr nach der kürzlich erfolgten Festnahme des Paris-Drahtziehers Salah Abdeslam im Klaren. „Wir wissen, dass das Ausschalten einer Zelle andere Zellen zu Handlungen animieren kann", sagte Jambon im Radio.

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Unsere Freiheit ist nicht durch Terrorismus gefährdet; ihre größte Bedrohung liegt darin, dass wir an der Demokratie zweifeln.

Verhindern konnte dieses Wissen die Anschläge nicht. Schuld daran sei aber laut einer Analyse des Guardian nicht zuletzt die Unterfinanzierung der belgischen Geheimdienste—und damit genau jene „Aushungerung" des Sicherheitsapparats, die Khol in seinem Posting kritisiert.

Allerdings ist das gar nicht der Punkt. Niemand stellt in Frage, dass Geheimdienste ausreichend finanziert sein sollten, damit ihre Arbeit mehr als nur homöopathische Wirkung entfalten kann—außer vielleicht jene, die gänzlich für ihre Abschaffung eintreten. Das Problem ist aber viel weniger die Anzahl der Polizeibeamten, als der Mangel an europaweiter Kommunikation und Vernetzung der Geheimdienste. Sicher, auch das ist mit Kosten verbunden, scheitert derzeit aber vor allem an der Bereitschaft.

Nichts davon findet man in Khols Statement wieder. Stattdessen liest es sich wie die sicherheitspolitische Entsprechung zum Satzbeginn „Ich bin ja kein Rassist, aber …": „Demokratie ist schön und gut, aber …" Der Punkt ist, dass Freiheit nicht in diesem Aber liegt. Ihre größte Gefährdung ist auch nicht jene durch den Terrorismus; die echte Bedrohung liegt darin, dass wir an der Demokratie zweifeln.

Markus auf Twitter: @wurstzombie