FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Ich wurde am 1. April überfallen (und es war kein Scherz)

Mit 200 Euro in der Tasche am 1. April auf der Straße überfallen werden? Manche Scherze sind so schlecht, dass sie nur das Leben schreiben kann.

An manche Dinge erinnert man sich so, als wären sie erst gestern passiert. Zum Beispiel an gestern, als ich im Restaurant fast an meiner Schüssel Nikujaga-Eintopf erstickt wäre. Oder an heute von vor 12 Jahren, als ich am 1. April 2003 von ein paar besonders lustigen Gesellen mit einer Vorliebe für schlechtes Timing (oder Witze auf Meta-Ebene) auf dem Weg ins Kino überfallen wurde.

Es war ein Dienstag, da findet nämlich jede Woche pünktlich zum Hauptabendprogramm das Sneak Preview statt. Einen Film, über den man vorher nichts weiß und von dem man am Ende oft nichts außer weniger Geld als vorher mit nach Hause nimmt. Genau wie bei dem Überfall davor. Spulen wir also ein paar Stunden zurück.

Anzeige

Ich gehe voller Vorfreude auf ein vermutlich mittelmäßiges Kino-Erlebnis die Wiener Mariahilfer Straße hinunter in Richtung Kino, als mich irgendein kleiner bulliger Typ, der aussieht als würde er drei Pullis tragen, um eine Zigarette anhaut. Mit einem kurzen „Sorry, Nichtraucher" ließ er sich nicht abwimmeln und kam noch einmal näher—diesmal, um mir zu sagen, dass er eine geladene Waffe unter seinem Trippelpulli versteckt hat und ich besser mit ihm mitkomme. Da „Junge auf dem Weg zum Kino erschossen" keine gute 1.-April-Schlagzeile macht (wer will schon, dass sein Tod nicht ernstgenommen wird) und das Kino ohnehin am Weg lag, komm ich mit.

20 Meter weiter stehe ich mit meinem Quasi-Kidnapper zwischen Kino und Esterhazypark und bin plötzlich von seinen Komplizen umzingelt: Rund um mich stehen plötzlich 4 bis 5 junge Burschen mit ausgeprägtem Oberlippenflaum. Es war wie in einem schlechten Film, oder meiner Volksschulzeit in Meidling.

Der Oberbösewicht spricht mich an und zum ersten Mal blicke ich ihm ins Gesicht. Sein kleiner kahlgeschorener Kopf sah vor lauter Pickelnarben so aus, als würde er mit seinen Wangen hauptberuflich Karotten reiben. Ich war fasziniert. Er versicherte mir noch einmal, dass er mich mit seiner garantiert tatsächlich vorhandenen Waffe erschießen würde, wenn ich nicht mit rauf in den Park komme. Also komme ich, weiterhin umzingelt von den Mariahilfer Marx Brothers, mit rauf in den Park.

Anzeige

Zu diesem Zeitpunkt fällt mir wieder ein, dass ich neben 20 Euro Taschengeld noch zuvor 200 Euro für Gewand von meiner ehrenwerten Frau Mutter bekommen habe. Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 2003, der Euro ist noch so frisch, unverbraucht und voller Hoffnung wie die damals 10-jährige Miley Cyrus und spätestens wenn man das Ganze dann noch mal 13,7603 in Schilling umrechnet, bluten 16-jährige Adrians aus der Nase und trauern um eine komplett neue Garnitur Fishbone-Klamotten.

„Ich weiß jetzt wo du wohnst, wenn du was sagst, bring ich dich um!"

Zuerst wechselt mein Nokia 3310 den Besitzer, dann muss ich mein Geldbörsel rausrücken. Der Boss der Bande zupft zuerst die Scheine aus dem Geldbörsel, bevor er akribisch jeden letzten Cent aus dem Münzfach in seine Hand schüttelt. Wo ich wohne will er wissen. Clever wie ein auf frischer Tat ertappter Schwarzfahrer füge ich an meinen tatsächlichen Bezirk die Zahl Eins hinzu—in Hietzing sollte ich sicher vor etwaigen Vergeltungsschlägen der Raubüberfalls-Mafia sein. „Okay, im 13ten. Ich weiß jetzt wo du wohnst, wenn du was sagst, bring ich dich um", versichert mir der Kerl mit der Mondlandschaft im Gesicht.

Als das Spektakel sein Ende nimmt, versuche ich mein Glück und möchte mein Geldbörsel zurück, in dem noch meine Movie Card mit Guthaben für das Kino steckt. „Dann kann ich wenigstens noch ins Kino gehen!" Mein neuer Erzfeind gibt mir also in einem Anflug von Großzügigkeit die Brieftasche zurück und ich vertschüsse mich ins Kino zu meinen Freunden, die dort, 10 Meter vom Park entfernt, auf mich warten.

Anzeige

Irgendwie perplex und aufgelöst erkläre ich meinen Kumpels, dass ich gerade überfallen wurde, und der Typ mir doch ernsthaft meine ganzen 200 Euro Gewand-Geld abgeknöpft hat. Demonstrativ reiße ich meine Brieftasche auf … um statt plakativer Leere inklusive Cartoon-Fliege auf 2 saftig grüne, große Scheine zu stoßen.

Spätestens hier wird mir das mit dem 1. April zu viel und ich fühle mich wie ein Teilnehmer der versteckten Kamera. Das Geld war nicht in einem Geheimfach, und 100 Euro-Scheine übersieht man wohl vor allem als Teilzeit-Krimineller nicht. Also hatte mein Räuber entweder einen plötzlichen Gesinnungswandel, wollte das Geld gleich „für später" in der Tasche lassen oder wurde durch den kolossalen Adrenalinschub, den man beim Überfallen eines 16-jährigen Kinogängers zweifelsohne am ganzen Leib erfährt, derartig aus dem Konzept gebracht, dass er das Hauptziel seiner Aktion aus den Augen verloren hat.

Danach lief alles relativ reibungslos ab: Ich bin im Kino eingeschlafen, danach waren wir noch kurz bei der Polizei, die sich übrigens nur einen Weit-Spucker vom Esterhazypark entfernt befindet, um Anzeige zu erstatten. Wer schon mal bei der Polizei war, weiß, was folgt. Es wird ein mühsames Protokoll über den Tathergang erstellt, bei dem man dem Polizisten, der aus einer Reihe an Rekordhaltern im Langsamschreiben stammen muss, auch noch jedes zweite Wort buchstabieren muss. Dann wird noch ein Phantombild von einer zerfurchten Kartoffel mit Kulleraugen gemacht und die Polizisten versichern mir, dass sie Ausschau nach „einem verdächtigen Mann südländischer Herkunft" halten werden, was wohl heute noch der universelle Polizei-Euphemismus für das, womit einige „Tschusch" meinen, ist. 12 Jahre später kann ich darüber nur lachen, auch wenn die Situation damals zumindest teilweise ein wenig zu angespannt für meinen Geschmack war. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fahndet die Polizei bestimmt heute noch nach verdächtigen Männern südländischer Herkunft und das zernarbte Kartoffelgesicht hat hoffentlich einen Job gefunden, der mehr seinen Fähigkeiten entspricht. An die Abmachung mit dem Umbringen hat er sich nämlich auch nicht gehalten.

Adrian schreibt auch auf Twitter über Kartoffelgesichter, Fishbone-Jacken und garantiert tatsächlich vorhandene Schusswaffen: @doktorSanchez


Foto via: Photopin | Kevin Steinhardt | CC