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Popkultur

Aufhören, wenn's allen zum Hals raushängt (oder halt Jahre später) #raabschied

Stefan Raab war der Thomas Gottschalk der Generation VIVA. Jetzt wurde er in die Garage gefahren.

Das Ende einer Ära besitzt fast ausschließlich Sentimentales. Alles Schlechte? Vergessen! Das Mittelmaß? Erhält Flügel! Und für die Highlights sind schnell nicht mal mehr Nobelpreis und Oscar gut genug. Dass Stefan Raabs Abschied von seinem über 17 Jahren nonstop betriebenen Motherboard TV Total dagegen so glanzlos und egal ausfiel, lässt tief blicken. Ein Abschied, der eben Jahre zu spät kommt. Für diese Erkenntnis hätte es die komplett faszinationsbefreite letzte Folge eigentlich gar nicht mehr gebraucht. Doch sie war bloß konsequent.

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Einig schienen sich alle Beteiligten nur in einem: Endlich ist es vorbei! Endlich den Thomas Gottschalk der Generation VIVA in die Garage fahren.

Die erste Sendung

Als ich noch eine Art Kind war, lud mich meine Schwester ein, eine Fernsehshow zu besuchen. Aufregend! Eine der ersten Sendungen TV Total wurde aufgezeichnet. Man konnte also vor Ort an den Gehversuchen des expressiven VIVA-Stars Stefan Raab im „richtigen" Fernsehen teilhaben. Wir schrieben das Jahr 1999. SMS war damals noch High Tech.

Im Studio wurde es dann ziemlich awkward. Als das Publikum Platz genommen hatte, kam die Regie und sortierte das Feld neu. Vermeintlich Hässliche mussten nach hinten, die Schönen wurden nach vorne gesetzt, Pärchen sahen sich getrennt nach ihrem TV-Total-Attraktivitäts-Quotienten. Der Ursprung des Begriff Lookismus (also die Benachteiligung einer Person aufgrund ihres Aussehens) lässt sich vermutlich wie die Pro7-Karriere von Stefan Raab auf Geschehnisse in jenem einstigen Studio am Kölner Rudolfplatz zurückführen.

In der Sendung selbst spürte man, wie sich Raabs Anarcho-Image noch gegen die seriöse Late-Night-Form aufbäumte. Im Talk warf er sich auf seinen damaligen Gast, Walter Freiwald (Dschungelcamp 2015!), das Sofa konnte beide nicht mehr tragen, es krachte. Das machte Eindruck. Der Typ wollte es wissen und schien nichts zu fürchten. Dass er den Betrieb länger als eine Saison überstehen würde, davon war zwar nicht auszugehen, aber für den Moment war das tatsächlich entfesselter Fun, man spürte, hier werden die Grenzen von TV-Entertainment deutsch neu vermessen, hier wird neu ausgehandelt, hier ist vorn.

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Die guten Jahre

TV Total überstand die erste Saison locker, sah sich sogar dermaßen gefragt, dass aus dem Montagssendeplatz plötzlich vier Folgen die Woche werden sollte. Nach einigen Jahren kamen dann die Spin-Offs dazu, Turmspringen, Wok, Stock Car, Springreiten, Wettwichsen und was es nicht alles gab. Königsdiziplin: Schlag den Raab (Letzte Folge Samstag 19.12.). Mitte der 00er war Raab so nicht nur Pro7 sondern quasi das komplette TV-Programm für alle jenseits des öffentlich-rechtlichen Rentnerprogramms. Respekt auf ewig vor diesem Takeover.

Ab dann wurde aus dem Erneuerer der Babo, seine Produktionsfirma Brainpool gab die Anweisungen, jeder seiner kompetitiven Gags hatte es mittlerweile zu einer eigenen Samstagabendshow geschafft.

„Doch alles, was besteht, ist wert, dass es zugrunde geht" (Faust, JW Goethe)

Auf den Triumph folgte unweigerlich der Verfall. Raab verwaltete seinen Laden, lange, allzu lang. Schwund an Gags, Schwund an Power, Schwund an Relevanz und nicht zuletzt: Schwund an Publikum. Die einst über drei Millionen regelmäßigen Zuschauer von TV Total—gegen Ende der 00er lagen sie unter der Millionengrenze. Immer weniger stolperte man selbst per Fernbedienung in das formatierte Geschehen in Raab-Land hinein und wenn es doch passierte, sah man sich jedes Mal schneller überzeugt, hier verpasst man nichts mehr—auch wenn man ganz fort bleibt.

Jetzt dankt Stefan Raab also ab. Die Sendung mit der Laufnummer 2243 am 16.12.2015 war die letzte.

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Er hat wirklich alles erreicht, hoch die saisonal ohnehin gerade verklebten Taschentücher. Doch wenn diese letzte Folge eins bewiesen hat, dann dass er sich und uns spätestens in den 10er Jahren keinen Gefallen mehr getan hat mit TV Total.

Die letzte Sendung

Eigentlich muss man Raab und seinem Team dankbar sein, die stullige Nostalgie, die nun doch bereit ist, von einem Besitz zu ergreifen, einfach nicht zu bedienen, nicht bedienen zu können. Der ausgebildete Metzger kalauert sich durch den vorgeschriebenen Monolog und hat nur mittelmäßige Pointen parat, wenn er die wirklich interessante Frage stellt, was denn nun für ihn kommen werde. Erste sehnsüchtige Gedanken schweifen beim Abschiedszuschauer hin zu Netflix, als alte Witze von Fips Asmussen aufgetragen werden „Ich kenne den Papst, er ist ein super Typ, aber sie ist ein Drache!"

Es ist, wie wenn man Oma im Altenheim besucht. Man hatte es sich fest vorgenommen, aber vor Ort schielt man dann doch schnell zur Uhr.

Und warum in der letzten Show der dauerbegossene Elton mit Sendezeit und Einspielern überhäuft wird, als wäre er der eigentlich zu Ehrende, wird wohl das Geheimnis der ebenfalls scheidenden Redaktion bleiben. Vielleicht kriegt er diese triste Sendung statt einer Abfindung?

So sieht sich jedenfalls zum allerletzten Schluss also noch mal die ungesunde Männerfreundschaft zwischen Stefan Raab und seinem Elton ausgestellt. Wenn die dazugehörigen Antik-Beiträge, die gefühlt ohnehin schon zu jedem Special und Jubiläum der Show rausgekramt wurden, die Quintessenz von TV Total darstellen sollen, dann fällt der Abschied halt eben wirklich leicht. Mit diesem Umstand hat man sich angefreundet.

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Doch als Stefan Raab nach spontanen wie unmotivierten Gesangseinlagen („Viva Colonia" und Ähnliches) dann endlich auf die ersehnte Abmod kommt, darf das ganze Sentiment doch kurz raus. Selbst wenn es erfolgreich nicht getriggert wurde durch das schale Fadeout gerade. Irgendwas, was lange läuft, geht zu Ende. Das drückt die Stimmung. Man weint ja auch, wenn die Schildkröte stirbt. Kein geistreiches, kein persönliches Wort zum Schluss. Doch immerhin ein paar Tränen vom einstigen Peiniger von Börti Vogts. Alles Schlechte? Vergessen! Das Mittelmaß? Gab es nie! Das Gute? Absolut genial, da kann Böhmermann noch so viel Streberpunkte sammeln. Wo ist sein verdammter Bambi für den Gewinn des ESC? Stefan Raab forever!

Gute Güte, verdammte Gefühle mal wieder. Hätte man Oma doch öfters im Altenheim auf Pro7 besucht …

Damit diese Schluss-Verklärung jetzt nicht um sich greift, sollte sich ins Gedächtnis gerufen werden, warum es gut ist, wie es jetzt ist. Beziehungsweise:

11 Dinge, warum wir Stefan Raab garantiert nicht vermissen werden

- Trotz beziehungsweise auch wegen seiner Hommage in der letzten Sendung: Elton! Die depressive Betriebsnudel soll einst mal der lustige Sidekick gewesen sein? Kaum vorstellbar. Ein Failed C-Promi, bei dem Tavor nicht anschlägt. Doch nun … nun ist er frei. Wie ein Hamster, den man im Wald aussetzt. Er wird seinen Weg finden—und mindestens einen sättigenden Kadaver für andere abgeben.

- Sich nicht auf Interviews vorbereiten und in Gesprächen nie zuzuhören, mag in seinen Zeiten als Herausforderer des Games einen gewissen Reiz besessen haben. Für einen Host war es auf Dauer viel zu wenig.

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- Beim BuViSoCo 2014 haben Revolverheld gewonnen. Das hat denen doch garantiert wieder Mut gemacht!

- Jacket, hellblaues Hemd, ausgeleierte Jeans, früher gern noch kurzärmelige Shirts über Longsleves. Raab ist seinem Look über Jahrzehnte treu geblieben. Leider!

- Lena! Meyer! Landrut!

- Georg Hackl!!

- Joey Kelly!!!

- Elton!!!!

Ach so, war ja schon. Aber eh schlimm für zwei.

- Raab kann sich auf die Fahnen schreiben, es geschafft zu haben, mit seiner Musik den ohnehin schon schlimmsten deutschen Film der 00er Jahre, (T)Raumschiff Surprise von dem grandios überschätzten Michael „Bully" Herbig noch ein Stück furchtbarer gemacht zu haben.

- Überhaupt die Musik. Stefan Raabs große Leidenschaft. Leider hat er zeitlebens auf die falschen Drogen gesetzt („Wir kiffen") und versucht, auf ewig seine komische Idee von weißem, funky Soul-Klamauk durchzudrücken. Seine Meisterschaft erlangte dieser stuhlige Sound in seinem Eurovision-Beitrag „Wadde hadde dudde da?", der im Jahre 2000 den 5.Platz belegte.

- Übrigens: Was kommt raus, wenn man sich Raabs versteinerten Geschmack Richtung 70er-Funkrock mit Berufsmusiker-Charme als etwas Gegenständliches vorstellt? Genau: Die Heavytones! Also die Begleitband der Show. Auf Wiedersehen bei der Betriebsfeier des hiesigen Kreisverbands der Hamburg-Mannheimer.

- Flüchtlingskrise 2015 und die entfesselten Kommentarspalten-Nazis. Joko, Klaas, Böhmermann—die inoffiziellen aber doch augenscheinlichen Erben von TV Total—positionieren sich. Und biten bewusst auch in der eigenen Zielgruppe, bei den eigenen Fans. Ihre Haltung wird ganz deutlich. Raab indes hat zum Thema absolut nichts zu sagen. Das freute sicherlich den ein oder anderen Spaßgesellschafter mit Hang zur Asylkritik unter seinen Fans. Bei Raab schien man mangels Platzverweis wohl noch willkommen. Und dass wo selbst Stephan Weidner von den Onkelz und Frei.Wild (!) ihre Anhänger mit Pro-Asyl-Postings fronteten. Einfach schwach.