Beckenbauer nackt, Supermodels und Arnold Schwarzenegger: Volker Hinz' Lebenswerk

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Beckenbauer nackt, Supermodels und Arnold Schwarzenegger: Volker Hinz' Lebenswerk

„Beckenbauer sieht ja eher aus wie der Durchschnittsdeutsche, bisschen Rettungsringe hat er auch. Aber gemeinsam bilden Franz und Pelé den ganzen Akt, Beckenbauers Hintern und Pelés schöner Penis, hinten und vorne."

Volker Hinz & Muhammad Ali, Santa Monica, 1984

Volker Hinz hatte bereits den Ruhestand angetreten, diesen eigentlich unmöglichen Zustand für einen Fotografen wie ihn. Er hatte sich vor drei Jahren hochoffiziell verabschiedet, pensioniert als letzter Vertreter der einstigen Armada von festangestellten Stern-Fotografen. Sein Werk hatte er damit den Automatismen des Kulturbetriebs zur abschließenden Bewertung überlassen und die fiel wohlwollend aus. Es gab eine Retrospektive seiner Magazin-Fotografie, ein dazugehöriges Buch, vielfache Lobpreisungen für einen, „der Jahrzehnte lang das Bild des Stern stark geprägt hat". Volker Hinz war im kollektiven Gedächtnis einsortiert worden als „der Stern-Fotograf".

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Doch dann veröffentlichte er diesen Hammer, einen 4,5 Kilogramm schweren Buchkoloss, In Love With Photography (Edition Lammerhuber, 2015), 371 Fotos, vorrangig Porträts von von ihm verehrten Kollegen, von Annie Leibowitz und Lee Miller über Helmut Newton, Ruth Bernard und Peter Lindbergh bis zu Joel-Peter Witkin. Fotografiert innerhalb der letzten 40 Jahre zeigen diese Fotos die zweite Seite des Pressefotografen, den Künstler Hinz, den flammenden Fan der ganz Großen.

Zum Interview hat er in seine Wohnung in Hamburg-Altona geladen, nicht weit von der Elbe entfernt. Die Tür öffnet ein grauhaariger Mann mit Pizzabäckerschnurrbart, Jeanshemd und einem enormen Bauch. Er bittet in die Küche, schenkt Pfefferminztee ein, schmeißt den Buchbrocken auf den Tisch und verkündet, dass wenig Zeit sei, schließlich dauere das „Durchblättern" des Buches, Foto für Foto, bereits eine Stunde, Erfahrungswert. Na dann los.

VICE: Was für ein Fotograf wollten Sie sein?
Volker Hinz: Ich sehe mich als Chronist meiner Zeit. Ich wollte immer schon die Großen kennenlernen, Muhammad Ali, meinen Freund Arnold Schwarzenegger, Franz Beckenbauer, Reinhold Messner.

Franz Beckenbauer sind Sie mit Ihrer Kamera einmal sehr nah gekommen. Ihr Foto von ihm und Pelé unter der Dusche ist ein Klassiker.
Es ist perfekt im Aufbau, vorne rechts die beiden, hinten links andere Duschende, die die Szene komplettieren. Ich finde das Foto deshalb so toll, weil Pelé so einen schönen Penis hat, den kann man wirklich zeigen. Und dann dieser Körper, das geht alles gut miteinander. Beckenbauer sieht ja eher aus wie der Durchschnittsdeutsche, bisschen Rettungsringe hat er auch. Aber gemeinsam bilden Franz und Pelé den ganzen Akt, Beckenbauers Hintern und Pelés schöner Penis, hinten und vorne.

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Sind die in diesem Buch porträtierten Fotografen Ihre Helden, die, denen Sie fotografisch nachgeeifert sind?
Man schaut sich permanent etwas ab, entwickelt seine eigene Kunst dadurch weiter. Es gab Zeiten, da bin ich im Anschluss an Termine noch in drei, vier gute Fotoausstellungen gegangen, einfach weil ich nicht genug bekam. Ich würde nicht von Helden sprechen, aber in mein Buch haben es nur Fotografen geschafft, die ich bewundere.

Wie schafften Sie es immer wieder, diese Bewunderung für einen Moment mit der nötigen Distanz zu versehen? Immerhin haben Sie Chuck Close vor einem Pissoir fotografiert, auf Ihrem Porträt von David LaChapelle springt eine nackte Dralle auf den Tisch und James Nachtwey, der sich selbst, etwas anachronistisch, stets als Reporterfigur in abgewetzter Jacke und perfekt gelegten Haaren zeigte, erwischen Sie, da wirkt er fast verletzlich, auf dem Boden sitzend.
Den Nachtwey wollte ich natürlich genau so haben. Das hat er mir später übel genommen. Volker, du hast mich ausgetrickst, hat er gesagt. Ich habe immer versucht, eine Person, eine Szene so zu fotografieren, dass das Foto einen Tag lang überlebt, das war der Maßstab. Ich wollte das eine, das perfekte Foto von jedem Porträtierten. Sobald ich es hatte, habe ich die Leute in Ruhe gelassen—besser wird es nicht.

James Natchwey, Berlin, 2001

Die ältesten Fotos sind von 1968, die jüngsten vom vergangenen Jahr. Warum haben Sie diese Fülle herausragender Fotografen-Porträts nie zuvor veröffentlicht?
Die Porträts habe ich nebenbei gesammelt, bei jedem Termin mit einer für mich interessanten Person habe ich sie zur Seite geholt und mein Bild gemacht. Die Aufnahmen waren dann Jahre lang in meinem Archiv, ein großer Raum im Büro eines Notars im Hamburger Osten, das ich nach meiner Pensionierung zu sortieren begann. Mein jetziger Verleger sprach mich damals auf der Photokina in Köln an, wollte ein Buch mit mir machen, kam einfach so an, so handshake-mäßig, das gefiel mir richtig gut. Und dann habe ich ein Feldbett im Archiv aufgebaut, mich regelrecht abgemeldet und nach einem roten Faden gesucht. Ich glaube, die Leute wissen noch gar nicht, was das für ein Buch ist. Es ist der Kern meiner Fotografie, mein Erbe an die Menschheit.

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Aber Ihr Verleger hat Sie darauf gebracht. Eine Zufälligkeit also?
Es ist ein Zufall, dass ich gerade jetzt diese Auswahl veröffentliche. Es gibt da schließlich noch weitere Serien, die möglich gewesen wären und bleiben. Dichter, Künstler und andere Größen, Luxus oder meine Kurzserie über Füße. [Lacht]

Werden Ihre amerikanischen Jahre von 1978 bis 1986 noch zu einem Buch, einer Ausstellung?
Ich hatte mich damals in Hongkong in eine Frau verguckt und sie zog nach Kalifornien, ich bin dann hinterher. Aus uns wurde zwar nichts, aber ich blieb acht Jahre in den Staaten. Über meine Fotos aus der Zeit habe schon mit dem Direktor des Museum of Modern Art in New York gesprochen, denn da müssen die Fotos hin, vor allem die aus der Nachtclub Area, wo sie damals alle waren, von Andy Warhol bis Sting. Er hat sich eine halbe Stunde Zeit genommen, beim Essen in der Kantine, zwischen all den anderen MoMA-Mitarbeitern. Ich habe später nie wieder etwas von ihm gehört. Dieses Anköddeln bei Verlegern ist eine relativ neue Erfahrung für mich. Ich mag das überhaupt nicht, es fühlt sich so nuttig an.

Fühlt es sich ebenfalls komisch an, dass unter Ihrem Foto von Herb Ritts, der die junge, immer gleich ausschauende Cindy Crawford umarmt, die Jahreszahl 1993 steht?
Nein gar nicht, auch Frau Crawford ist ja älter geworden. Kürzlich sprachen mich Bekannte auf das Foto an, sagten, sie würden es aufgrund des schrägen Horizonts sehr mögen. Mir ist das da zum ersten Mal aufgefallen, aber es heißt ja: Schräg ist modern.

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Cindy Crawford & Herb Ritts, Paradise Island, 1993

Haben Sie in den ersten Jahren anders fotografiert als nach den großen Brüchen, der Wende, dem Niedergang der großen Fotografie im Stern?Bösartiger war es früher, Helmut Kohl habe ich zwischen zwei Pferdeärschen geschossen, später dann den verträumten Sigmar Gabriel durch die Sitzlehnen im Zug. Kohl ging noch durch, den Gabriel fand der Chefredakteur dann schon zu negativ für die Leser. Damals war ich bereits einer der letzten fest angestellten Fotografen beim Stern. Vor ein paar Jahren habe ich noch Walter Jens fotografiert, kurz vor seinem Tod war das, da war er schon recht hilflos, saß da so in seinem Sessel und ich habe nach einem passenden Ausschnitt gesucht, taperte durchs Wohnzimmer und entdeckte dann seinen, über die Lehne blitzenden Hinterkopf als Motiv. Heute traut sich kein seriöses Magazin mehr, so ein Foto zu veröffentlichen.

Sie haben als 24-Jähriger in der Bonner Fotoagentur von Sven Simon, dem Sohn Axel Springers, angefangen. Schon kurze Zeit später ging es zum Stern nach Hamburg, damals die beste Adresse für Reportagefotografie.
Ich habe nie Lotto gespielt, aber meine Frau sagt immer, der Job beim Stern, das war mein Jackpot. Ich bin mal mit Bundespräsident Scheel um die Welt geflogen, in 14 Tagen. Von Köln ging es nach New York, UN-Hauptversammlung, dann San Francisco. Von da nach Hawaii, ich erinnere mich noch an die Bananenblätter, die sie im Sheraton Hotel an die Flurwände gemalt hatten. Danach Tokio, Gespräch mit dem Außenminister noch im Flughafen, dann ein Essen in Shanghai, am selben Abend nach Peking—da trugen noch alle Grün, das war noch das echte China. Dann Hongkong, Bangkok, den Shah in Teheran getroffen und wieder zurück nach Köln. Diese Reisen hätte ich ohne den Stern niemals gemacht.

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Konnten Sie gut mit Politikern?
Helmut Schmidt habe ich noch zum 90. groß fotografiert. Wir haben uns gut verstanden, haben kaum geredet und uns gegenseitig machen lassen. Auch mit Willy Brandt habe ich nie groß geredet, habe mich absichtlich distanziert. Gerhard Schröder haben damals ja viele geduzt, ich fand das schwierig. Man muss gut einschätzen können, wie viel man reingeben kann, denn für einen Fotografen gibt es keine Tarnkappe, man muss sich immer zu erkennen geben.

Willy Brandt & Robert Lebeck, Bonn, 1974

Sie waren bei den Terroranschlägen von Paris in der Stadt, besuchten die internationale Fotografie-Messe Paris Photo. Haben Sie von den Anschlägen etwas mitbekommen?
Die Anschläge fanden ja in Saint-Denis und im Marais statt. Ich saß zu dieser Zeit mit meiner Frau in einem Restaurant in der Nähe des Grand Palais. Mein Sohn rief aufgeregt an und fragte mich, ob es uns gut gehe. Als wir wieder im Hotel ankamen, machten wir den Fernseher an, aber im französischen Fernsehen wurden keine expliziten Bilder gezeigt, nur Krankenwagen und Blaulichter. Erst am Sonntag, vor dem Rückflug nach Deutschland, bekam ich ein Gefühl für das Ausmaß der Anschläge. Am Flughafen hatten wir uns erstmals ausweisen müssen, später kaufte ich dann eine Bild am Sonntag und sah die ersten Bilder.

Hätten Sie als junger Fotograf für derartige Fotos alles getan?
Ich war nie Kriegsfotograf, wollte auch nie ein Held sein. Ich war mal drei Tage in Ruanda, 1994 war das, als Armee und Milizen das große Abschlachten der Tutsi begannen. Damals waren da ja alle, der Nachtwey, der Turnley, genau wie jetzt in Paris, akute Fotografenballung. Da lagen dann die Leichen am Straßenrand, während gegenüber jemand Besorgungen machte. Das hat mir ein für alle mal gereicht.

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Andere Fotografen sind mit diesen Bildern groß geworden.
Stimmt, Sebastião Salgado zum Beispiel. Seine Negative habe ich auf meinem Rückflug nach Europa mit nach Paris genommen. Wenn Sie mich fragen: Das Elend sieht immer gleich aus. Das ist schrecklich und auch schrecklich langweilig.

Vanessa Beecroft, Berlin, 2006

Andy Warhol, New York, 1984

Karl Lagerfeld, Paris, 1978

Volker Hinz & Theodor Hinz, Hamburg, 2005

Joel-Peter Witkin, Albuquerque, 1986

Amanda Lepore & David LaChapelle, Berlin, 2006

Mary Ellen Mark, New York, 1997

Milla Jovovich & Peter Lindbergh, Mailand, 1998

Ruth Bernhard, San Francisco, 2000

Eliott Erwitt, Dublin, 1991

Chuck Close, New York, 2012

Monica Lewinsky, New York, 2001

© Edition Lammerhuber; Buchcover In love with Photography