FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Bewahrt YouTube die NPD vorm endgültigen Verschwinden in der Versenkung?

Das Verbotsverfahren, Konkurrenz von der AfD und immer mehr Bedeutungslosigkeit. Ob Videos da noch helfen können?

Screenshot vom YouTube-Kanal der Deutschen Stimme

Die NPD steht vor der politischen Bedeutungslosigkeit. Mit disqualifizierenden Aktionen manövriert sie sich immer öfter selbst ins Aus. Bei den anstehenden Landtagswahlen in Deutschland wird sie sehr wahrscheinlich in keines der Landesparlamente einziehen. Rechte Wählermilieus konnte mittlerweile die AfD für sich einnehmen. Und zudem haben die Nationaldemokraten ab März ein erneutes Verbotsverfahren des Bundesverfassungsgerichts am Hals.

Anzeige

Wie erkämpft man sich politische Wichtigkeit zurück? Die NPD versucht es mit der Propagandaplattform Deutsche Stimme. Eigentlich ist die Deutsche Stimme die hauseigene Parteizeitung. Der dazugehörige YouTube-Kanal wurde schon 2009 ins Leben gerufen, seit zehn Monaten aber tritt er mit moderierten Eigenproduktionen in Erscheinung. Seitdem stieg laut NPD die Auflage der Zeitung um 33%, die Abonnentenzahl schnellte auf 4.000 hoch, die beliebtesten Videos wurden fast 30.000 Mal angesehen. Das mag im Vergleich zu YouTube-Größen mickrig erscheinen, ist für die NPD aber ein Landgewinn, der sie zumindest wahrnehmbar bleiben lässt.

Aushängeschild und Postergirl von Deutsche Stimme TV ist Emma Stabel. Eine Berufsquereinsteigerin, die „über Umwege zur nationalen Bewegung gelangt" sei. Wie sie selbst erzählt, hat sie den frisch gewählten NPD-Vorsitzenden Frank Franz auf einer Veranstaltung kennengelernt, für nett befunden und beschlossen, mit ihm ein Medienprojekt zu gründen. Emma Stabel ist die Frau, die dem Kanal, wie die NPD selbst sagt, „ein attraktives und sympathisches Gesicht" verleiht.

Generell wirkt das Auftreten von Deutsche Stimme TV sehr bürgerlich, mehr Elternabend und Schrebergarten als rassistischer Hetze. Emma Stabel lächelt dem Wutbürger mit engelsgleichem Auftreten die Sorgenfalten aus dem Gesicht. Parteichef Frank Franz trägt bei Interviews gerne Einstecktuck im Jackett, nebenbei buhlt er auf Instagram um Wählergunst. Und auch der Verleger und Sendungsleiter Jens Pühse erscheint auf den ersten Blick wie ein ins Alter gekommener Chris Griffin aus Family Guy. Das Klischee vom radikalen Skinhead passt so gar nicht zu der selbst gewählten Außendarstellung der NPD.

Anzeige

Dementsprechend glattgebügelt gestaltet sich das Sendungsprogramm: Regelmäßig werden parteinahe Anwälte interviewt (Peter Richter, Ariane Meise) oder Historiker zitiert (Moritz Altmann). Frank Franz hält Neujahrs- und Weihnachtsansprachen, bei denen er seiner Gefolgschaft „innere Einkehr" über die Feiertage wünscht. Sogar ein Interview mit dem Front National-Gründer Jean-Marie Le Pen hat es auf den Kanal geschafft. Und mittlerweile gibt es eigene Formate wie „Nachgefragt!" oder „Faktencheck", bei denen Zuschauer Fragen einreichen können. Die YouTube-Plattform verkauft sich seriös und zuschauernah.

Zu den meist gesehenen Eigenproduktionen des Kanals zählt eine Rekonstruktion der Geschehnisse im sächsischen Heidenau, wo rechte Demonstranten im August vor einer Flüchtlingsunterkunft Brandsätze zündeten und Krawalle provozierten. Dabei werden O-Töne von zwei Bürgern mit Statements von Emma Stabel, Frank Franz und dem Heidenauer NPD-Stadtrat Rico Rentzsch zu einem Plattitüdengemisch verquickt. Am Ende ist klar: Die NPD demonstrierte friedlich, die Polizei sei für die Eskalation verantwortlich.

Dass sich eine 600-800 Personen starke Gruppe von der NPD-Demonstration abspaltete, um vor die geplante Unterkunft zu ziehen, wird nicht weiter hinterfragt. Man hätte kritisch reflektieren können, ob von einer so große Gruppe, die zuvor an einer von der NPD angemeldeten Demonstration teilnahm, auf der Reichsflaggen geschwenkt und „Wir wollen keine / Asylantenheime"-Rufe skandiert wurden, keinerlei Gefahr ausgeht. Das wäre aber zu viel Aufwand – und bleibt der Lügenpresse überlassen. Stattdessen wird die Kundgebung als friedliche Mahnwache dargestellt, bei der sich nur einige Wenige zum Asylantenheim aufmachten, um auf pazifistischer Mission zivilen Ungehorsam durchzusetzen. Ist klar. Was ebenfalls nicht zur Sprache kommt: Die Wortführer auf der Demonstration waren Mitglieder der verbotenen Kameradschaft „Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS). Unter den Festgenommenen, die Böller schmissen und Feuer legten, fanden sich zahlreiche polizeibekannte Neonazis, die der „Division Sachsen" angehörten. Sie wird vom Verfassungsschutz als „äußerst gewaltbereit" eingestuft. Aber all das findet in der Darstellung der NPD keine Erwähnung.

Anzeige

Dass die NPD nicht nur aus Messdiener-Knaben besteht, sondern gerade rhetorisch gerne die Stimmung aufheizt, wird im neuesten Video der Deutsche Stimme-TV deutlich, die die Februar-Ausgabe der Parteizeitschrift vorstellt. Unter den Autoren: Safet Babic, der sich sonst lieber mit dem Boykott von Speiseeis beschäftigt, unter anderem wegen schwerer Körperverletzung vorbestraft. Abgesehen davon glänzt die Zeitschrift mit Kampfrhetorik: Es ist von einem „Eroberungsfeldzug" und der „Kriegserklärung von Köln" die Rede. Ebenfalls populär: Umweltmetaphern, der „Asyltsunami" oder „Zuwanderungsströme" zum Beispiel. Und der beliebteste Vergleich bezieht sich auf Atomkatastrophen, wenn von einem „Hiroshima der Willkommenskultur" und dem „Super GAU" die Rede ist. Das ist Rhetorik, die Feindbilder aufbaut und zu Gewalttaten anstiftet. Wer sich solcher Begriffen bedient, zündelt und provoziert auf plump-populistischste Weise.

Dass das unschuldige Biedermeier-Image, welches die Partei sich mit Hilfe von Deutsche Stimme TV versucht aufzubauen, nicht ganz zu den Personen hinter den Kulissen passt, wird deutlich, wenn man die Beteiligten genauer unter die Lupe nimmt: So war Emma Stabel in der ARD-Sendung „Kontraste" vom 10. September zu sehen (ab 11:20). Mit einem Senegalesen zogen Reporter der ARD durch Straßen Ostdeutschlands. Kaum in Riesa angekommen, rief eine Frau, die der Moderatorin Stabel verdächtig ähnlich sieht, dem Afrikaner und seiner weißen Begleitung „Früher hätte man das Rassenschande genannt" zu.

Anzeige

Stabels Lebensgefährte ist übrigens Jens Baur, NPD-Stadtrat in Dresden und wahrscheinlich zukünftiger Landesvorsitzender in Sachsen. Baur wirkt eben so wenig wie Stabel oder Franz als Scharfmacher, kokettiert aber durchaus gerne mit Begriffen wie „Eurabia". In Sachsen veranstaltete er unzählige Demonstration gegen Flüchtlingsheime.

Ein Format, das sich auf Deutsche Stimme TV ebenfalls großer Beliebtheit erfreut: Der Faktencheck. Argumente von Zuwanderungs- und Parteiverbots-Befürwortern sollen widerlegt werden. Das Problem an der ganzen Sache: Die Mythen, die die NPD versucht zu entkräften (zum Beispiel: „Unter der Zuwanderern finden sich die viel benötigten Fachkräfte" oder „Zuwanderer haben oft einen wesentlich höheren Bildungsstand"), werden von keinem vernünftigen Menschen oder Medium so nach außen getragen. Es mag sein, dass durch Zuwanderung perspektivisch gesehen Fachkräftemangel bekämpft werden kann und einige der Flüchtlinge Universitätsabsolventen sind, aber in der zitierten Art und Weise wird die Aufnahme von Flüchtlingen so gut wie nie begründet.

Was bei der „Deutschen Stimme" hingegen nicht zur Sprache kommt: Humanitäre Gründe für die Aufnahme von Flüchtlingen. Es ist natürlich ein Dorn im Auge, sich einzugestehen, dass Menschen vor Krieg und Elend flüchten. Es ist ebenso unbequem einzugestehen, dass diese Menschen ohne offene Grenzen wahrscheinlich irgendwo zwischen der Türkei und Österreich verhungern oder erfrieren würden. Neben dem Verschweigen von Offensichtlichem werden auch gerne auf beinahe schon groteske Art und Weise Opfer und Täter vertauscht: Im Faktencheck wird an Übergriffe von Muslimen an Christen im thüringischen Suhl erinnert, aber die mehr als 1.000 rechtsradikal motivierten Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verschwiegen. Und an dieser Stelle sollte das Kind auch mal beim Namen genannt werden: Wer Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzt, deren Wasserleitungen beschädigt oder rassistische Graffitis sprüht, ist ein Rechtsradikaler. Wer dies billigt und verschweigt, ist nicht besser. Dass mehr als 90% dieser Straftaten bis heute nicht aufgeklärt wurden, ist ein Skandal.

Anzeige

Indem solche Straftaten aber konsequent verschwiegen werden, äußerte „Deutsche Stimme TV" klammheimlich Zustimmung für die Taten. Sie legitimiert Übergriffe auf die Schwächsten der Schwachen. Besonders perfide wird dies angesichts der Tatsache, dass die gleichen Hilfsbedürftigen in einem anderen Video auf widerlichste Art und Weise für eigene Zwecke instrumentalisiert werden. In der Zeltstadt im Dresdner Stadtteil Friedrichsfeld ziehen Stabel und Baur los, um nachzufragen, wie viel die Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten gezahlt haben, um nach Deutschland zu kommen. Nachzufragen, ob sie planen in ihre Heimat zurückzukehren. Das dient am Ende einem Zweck: aufzeigen, dass diese Menschen in Geld schwimmen. Auf unsere Kosten hier weiterleben. Sich langfristig in Deutschland ansiedeln. Unsere Sozialkassen belasten. Wenn man sieht, wie hier auskunftsfreudige und aufgeschlossene Flüchtlinge von Rassisten für eigene Zwecke missbraucht werden, könnte man kotzen.

Und so bleibt es dabei: Die Deutsche Stimme TV ist ein ekliges und verachtenswertes Propaganda-Instrument, mit dem man versucht, sich gegen den vollständigen Verlust medialer Wahrnehmung zu wehren. Hier werdeneinfache Antworten auf komplexe Sachverhalte gegebenen. Das alles geschieht unter dem Deckmantel eines demokratischen, bürgerlichen und besorgten Auftretens. Schaut man aber genauer hinter die Kulissen, kommt man nicht drum herum, die NPD als menschenverachtende anzusehen.

Einen weiteren Beweis dafür lieferte die NPD erst unlängst: In einem an den „geehrten Immigranten" gerichteten Grafikfilmchen erklärte man Flüchtlingen, dass sie in Deutschland nicht willkommen seien.

Für 2016 ist übrigens ein Ausbau der YouTube-Plattform geplant. Das Ziel sei es, vom Verbotsverfahren in Karlsruhe live zu berichten und ein „Gegengewicht zum Kartell der Mainstream-Medien" zu bilden. Vor diesem Hintergrund sind natürlich auch die Veröffentlichungen der Partei auf „Deutsche Stimme TV" zu sehen. Gerade das ist aber das Gefährliche an den harmlos erscheinenden Formaten: Nicht jeder Neonazi läuft heutzutage mit kahl geschorenem Schädel und Thor Steiner-Bomberjacke auf Demos mit und gröhlt „Frei! Sozial! Na-tio-nal!". Rassismus ist ein alltägliches Phänomen, das von Emma Stabel ebenso verkörpert werden kann wie vom besorgten Rentner. Nur eines sollte man nicht vergessen: Propagandamaterial der Deutschen Stimme TV ist immer noch der Stoff, aus dem NPD-Träume sind. Diesen gilt es klipp und klar als rassistisch und rechtsradikal zu benennen, egal wie seriös sich die Partei versucht nach außen darzustellen.