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Popkultur

Die Presse lügt. 'Boyhood' ist schlecht.

Die Filmkritik feiert Linklaters Boyhood wegen seines „faszinierenden Effektes“ und nennt das „überwältigende Ergebnis“ von 12 Jahren Drehzeit ein „Meisterwerk“. Aber hier ist man nicht vom Film begeistert, sondern nur vom Mythos seiner Entstehung.

Foto: IFC Films

Die Filmkritik feiert Richard Linklaters Boyhood wegen seines „faszinierenden Effektes" (Süddeutsche) und nennt das „überwältigende Ergebnis" von 12 Jahren Drehzeit ein „Meisterwerk", obwohl man weiß, dass man so einen Begriff eigentlich nicht verwenden dürfte (die ZEIT). Aber hier ist man nicht vom Film begeistert, sondern nur vom Mythos seiner Entstehung—eine Kritik am Lob.

Linklaters Ass im Ärmel war langer Atem. Es ist schon beachtlich, sich über ein Jahrzehnt an ein Projekt zu klammern. Wobei die Idee einen Jungen 12 Jahre lang punktuell einmal im Jahr am Set zu treffen uns allen hätte kommen können. Doch es braucht dafür einen gut organisierten Kopf und Durchhaltevermögen. Der Preis für die beste Regie bei der Berlinale wurde schon für weniger Aufwand vergeben, dennoch reicht eine ungewöhnliche Drehdauer nicht für einen spektakulären Film.

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Lehnt man sich aus dem Fenster und geht wirklich davon aus, dass es sich bei Linklaters Film um das Resultat einer neuen Technik, nämlich einer „revolutionären" Erzähltechnik handelt, kann die Presse ihn getrost in die „Meilensteine der Filmgeschichte" einreihen, deren außergewöhnlicher Stellenwert ja nicht selten etwas mit Technik zu tun hat. Soll Schneewittchens Apfel rot aussehen und Robin Hoods Strumpfhose grün, braucht es dafür Technik. Wollen wir den Jazz Sänger auch wirklich singen hören, auch. Und möchten wir ein und denselben Jungen alt werden sehen, geht das nur, indem wir das schöpferische Regiment der Zeit walten lassen. Eigentlich logisch. Aber Boyhood hat vergessen uns etwas zu vermitteln, das über die Tatsache, dass wir Schauspieler immer wieder ein Stückchen gealtert sehen, hinausgeht.

Nach fast drei Stunden Film hat die Hauptfigur Mason eine Reihe an verschiedenen Frisuren durchlebt, ist groß und pickelig geworden. Wir sehen ihn erwachsen werden. Jetzt kennen wir das schon aus Serien—nur halt nicht so komprimiert. Nach acht Jahren Sopranos wird aus dem kleinen dicken AJ ein schnurrbärtiger spätpubertärer Erwachsener und gerade WEIL sich diese Entwicklung im Schatten der Hauptstory abspielt, bekommen wir ein Gefühl dafür, was Kindheit ist, nämlich etwas das sich nicht erschließt durch die Vogelperspektive der Erwachsenen. Wenn man ein Beispiel wie Malcolm Mittendrin hernimmt, also eine Serie, bei der die Kinder den Großteil der Handlung dominieren und mit der Zeit auch altern, sieht man deutlich, was Boyhood für ein Kompromiss ist. Denn einerseits nimmt er seinen Protagonisten nicht ernst, lässt uns die Welt nicht aus seiner Sicht sehen, andererseits weigert er sich aber, eine andere Erzählhaltung einzunehmen.

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Foto: Matt Lankes | IFC Films

Der Film strotzt vor Lustlosigkeit. Und das liegt nicht an der fehlenden Story. Das Banale, das Alltägliche, das wunderbar lapidar Erzählenswerte der Nichtigkeiten kann so schön sein. Aber Linklater gibt ja nur vor, uns ins Nebensächliche zu führen. In Wahrheit verschwurbelt er sich mit gekünsteltem „Handy ins Bild"-Augenzwinkern und Coldpay-Goodfeel in seiner eigenen Zeitmaschine und setzt uns ein plumpes Klischee nach dem anderen vor. Man kann, wie die taz schreibt, während der Rezeption des Filmes nicht umhin, über seine eigene Kindheit, sein eigenes Erwachsenwerden nachzudenken, was nicht zuletzt mit den Referenzen aus vergangenen Tagen zu tun hat. Diese zeigen sich bald als billige Tricks. Ja stimmt, Aliyah war damals auch in meinem Wohnzimmer—Gosh, sein Leben, mein Leben—letzten Endes sind wir ja doch alle gleich. Dass die Musik in keine der überschwänglichen Kritiken Einzug gefunden hat, ist nur logisch, es wäre auch ziemlich schwer zu erklären, was an einem Radio Arabella Soundtrack, der oft nicht mal genug Zeit hat um ein Lied zu Ende zu spielen, so toll sein soll.

Damit wir uns also auch abseits der Frisur des Protagonisten zeitlich orientieren können, nimmt Linklater peinlich plakativ auf technische, popkulturelle und gesellschaftspolitische Phänomene Bezug. Wenn wir Mason auf der Treppe sitzend mit seinem iPhone videotelefonieren sehen, wissen wir, wie wir die Szene zeitlich einzuordnen haben. Das wäre an sich ok, nervt aber, weil Linklater es uns dermaßen reinwürgt.

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Ähnlich subtil sind auch die Querverweise, die über die Bush-Ära (Masons Vater sagt Bush ist scheiße), den Irakkrieg (Masons Stiefvater hat dort gekämpft) bis zur Obama-Kampagne (Mason und seine Schwester stellen Plakatständer auf) reichen. Dabei lässt Linklater keine Chance aus, das andere Amerika darzustellen. Das andere Amerika, also der liberale Gegenentwurf, dem sich Linklater zuzurechnen scheint, kann aber auch nicht anders, als patriotisch davon zu erzählen wie die Soldaten im Irak von jubelnden Zivilisten umringt Zuckerl und Fußbälle verteilen.

Vielleicht liegt ein Geheimnis des Erfolges von Boyhood in einer gewissen Zuversicht, die er Eltern vermittelt. Der Triumph des Lebens als Eltern, dass man es irgendwie und trotz aller Schwierigkeiten richtig gemacht hat, stellt sich ein, wenn nach der ganzen Krux mit den Kindern zumindest was Ordentliches herauskommt. Am Ende des Films steht deshalb ein junger Mann mit eigenständigem Denken und Handeln vor uns. Einer der ein bisschen kritisch ist, manchmal Drogen nimmt, auch ein bisschen sozial ist und ein bisschen Kunst macht.

Foto: Matt Lankes | IFC Films

Selten noch hat man so viele infantil schwärmerische Kritiken gelesen wie zu Boyhood. Linklaters Konzept scheint die Schreiberlinge genau dort abzuholen, wo sich der Mensch so gern herumtreibt: Im Feld der Wahrheitssuche. Der Kollege von der ZEIT fragt deshalb: „Kann man von einem Spielfilm sagen, dass jeder Satz darin echt ist?" Nun, ich weiß es nicht, ist dir das denn wichtig? Während der Standard feststellt, dass „der Zeitraum einer Kindheit, den der US-Filmemacher hier ausbreitet… wirklichkeitstrunkener [ist], als alle Versuche, die es davor gegeben hat", könnte man sich eigentlich durchaus auch mal die Frage stellen, was denn ohne diesen einen, vordergründigen Aspekt eigentlich übrig bleibt. Hier verliert sich das Feuilleton in Gefühlsduselei.

Nun ist das subjektive Gefühl ja nichts Schlechtes, aber man kann auch im Kinosaal sitzend sehnsüchtig an die langsam verstreichenden Sommernachmittage der Jungs aus Tree Of Life—bei Gott kein unantastbarer Streifen mit viel Ami-Pathos und sondergemeinschaftlichem Ende—denken. Auch uramerikanisch, auch mehr oder weniger nicht erzählenswert, aber hier hat sich ein Regisseur wirklich für die Szenen Zeit genommen. Das ist dann auch das erstaunlichste Versagen des Films, der sich außerfilmisch ein Jahrzehnt reinhängt, während die effektiven Filmminuten unter Zeitdruck leiden.

Apropos Jungs. Richard Linklaters Tochter herself spielt zwar die Schwester des Protagonisten, ist aber mit „Boyhood" offensichtlich nicht gemeint. Man könnte das Ding ja auch Childhood nennen. Aber vielleicht ist das die alte Harry-Potter Frage: Wäre der kleine Zauberer je so berühmt geworden, hätte er keinen Schniedel? Wir wissen es nicht. Manche Geschichten verkaufen sich eben besser, wenn man weiß, aus dem Buben wird irgendwann einmal ein richtiger Mann, und das am besten in drei Stunden. Das nächste Mal, wenn ihr in einem Film sitzt, der mit Coldplay-Musikuntermalung beginnt: Einfach rausgehen.