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Ist es legitim, die aktuellen Entwicklungen mit jenen der NS-Zeit zu vergleichen?

Wenn es um Nationalsozialismus geht, werden Äpfel oft nicht mit Birnen, sondern eher mit Maracujas verglichen.

Ich bin kein Fan von diesen Vergleichen, aber DAS erinnert an NS-Propagandaplakate. Unheimlich (daneben). — Hanna Herbst (@HHumorlos)14. Januar 2016

Seit der Silvesternacht von Köln haben wir ein paar Schlagzeilen zu lesen bekommen, die von einer neuen Klasse von Rassismus gegenüber Flüchtlingen und Migranten zeugen. Da gab es den Arzt, der sich weigert, Flüchtlinge zu behandeln, den Rechtsanwalt, der keine Ausländer mehr vertreten möchte, die „asylantenfreie" Bar und gleich mehrere Schwimmbäder, die einfach mal allen (männlichen) Flüchtlingen Hausverbot erteilen, weil sie negative Erfahrungen mit einigen von ihnen gemacht haben. Im Jahr 2016 scheinen wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz quasi in der Champions League des Alltagsrassismus angekommen zu sein.

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Angesichts all dieser Hausverbote für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe und der medialen Stilisierung von Migranten als krummnasige, alles kurz und klein schlagende Hottentottenbanden, fühlen sich mittlerweile gar nicht so wenige an das erinnert, was sich im Hinblick auf Propaganda und Stimmungslage in Deutschland und Österreich vor etwa 80 Jahren abgespielt hat. Deshalb greifen einige auch zu relativ drastischen Vergleichen. Armin Wolf zum Beispiel:

Arzt behandelt keine Asylwerber, Anwalt verteidigt keine Ausländer, Bar ist 'asylantenfrei'. Was kommt als Nächstes? — Armin Wolf (@ArminWolf)15. Januar 2016

Manche Leute brachte dieser Vergleich zum Ausrasten, weil sie ihn für komplett unangebracht hielten. Sogar Heinz-Christian Strache spielte sich (zur Belustigung vieler) als heldenhafte Stimme gegen die Verharmlosung des Nationalsozialismus auf. Aber egal, wie man es sieht: Vergleiche von aktuellen Ereignissen zu jenen der NS-Zeit sind eine sehr heikle Sache.

Aber nicht nur das. Ganz allgemein ist das Problem mit Vergleichen, dass sie viel zu oft gezogen werden und fast jedes dieser Male schwer hinken. Wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht, sind sie in vielen Fällen nicht mal richtige Vergleiche, sondern eher Totschlagargumente, die von linker wie von rechter Seite als ultimative moralische Verurteilung des jeweils anderen verwendet werden—oft in komplett absurdem Zusammenhang.

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So kommt es, dass Flüchtlings-Züge in Ungarn mit KZ-Deportationen verglichen werden, Radiohead-Frontmann Thom Yorke YouTube vorwirft, dass sie mit Kunst umgehen wie einst die Nazis, und im schlimmsten Fall sogar der oberste aller Rechtspopulisten behauptet, dass er und seine schlagenden Burschenschafter-Freunde die neuen Juden sind. Wenn es um den Nationalsozialismus geht, werden Äpfel oft nicht mit Birnen, sondern eher mit Maracujas verglichen.

Auf den ersten Blick hinken auch die Vergleiche zwischen den aktuellen Diskriminierungen von Flüchtlingen und Muslimen mit der systematischen Diskriminierung und Propaganda der NS-Zeit einigermaßen. Schon alleine, weil die Ausgrenzung und Diskriminierung von Juden in den 30er-Jahren in erster Linie nicht von rassistischen Einzelpersonen ausgegangen ist, sondern von oberster Stelle ausgingen und durch ein Regime teils legitimiert, teils verordnet wurden.

Wenn man sich die Sache ein bisschen genauer anschaut, ist die Analogie in diesem Fall meiner Meinung nach aber gar nicht so abwegig. Denn das NS-Regime konnte auch nur Fuß fassen, weil das gesellschaftliche Klima schon über Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich antisemitisch gefärbt worden ist, Juden praktisch unbemerkt entmenschlicht wurden und die Hemmschwelle immer weiter nach unten gerutscht ist, ohne nennenswerten Aufschrei jener Leute, die es für falsch hielten. (Vergessen wir nicht: Die rassistischen Tendenzen der damaligen Zeit gab es schon lange, bevor das NS-Regime begann, freie Meinungsäußerung komplett zu verhindern.)

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Dass die systematische Judenverfolgung und der Holocaust in ihrer Größendimension und der Qualität ihrer Absonderlichkeit einzigartig sind, ist wohl allen klar. Aber die gesellschaftlichen Mechanismen, die in den Zwanzigern oder Dreißigern zu diesem flächendeckenden Rassismus geführt und damit überhaupt erst das Fundament für all die darauf folgenden Verbrechen abgegeben haben, greifen immer mal wieder um sich, überall auf der Welt. Wenn man nicht in absehbarer Zeit wieder an diesen Punkt zurückkehren will, an dem so etwas zum Normalzustand wird, sollte man sich dieser Tatsache halbwegs bewusst sein.

Deswegen ist es auch nur logisch, für sich abzeichnende Tendenzen zuerst in die gar nicht so ferne Vergangenheit seines eigenen Landes zu blicken—auch, wenn das nicht unbedingt angenehm ist. Der Zeitpunkt, in dem man sich fragen muss, wie viel schlechter Muslime, Flüchtlinge und Migranten noch behandelt werden müssen, bevor es in Ordnung ist, festzustellen, dass ihnen ganz langsam eine ähnliche Rolle in unserer Gesellschaft zugeschrieben wird wie den Juden in den Dreißigern, sollte spätestens dann gekommen sein, wenn Flüchtlinge in einem städtischen Schwimmbad keinen Zutritt mehr haben. Wenn mir das vor ein paar Jahren jemand vorausgesagt hätte, hätte ich ihn nämlich für bescheuert erklärt.

Tatsache ist, dass ein angsteinflößend großer Teil der Menschen in unseren Breitengraden Rassismus aktuell nicht einmal mehr als Rassismus zu erkennen scheint, wenn er ihnen alles verallgemeinernd direkt vor der Nase herumtanzt und Flüchtlingen in Bars, Schwimmbädern oder Arztpraxen Hausverbot erteilt. Was entweder darauf hinweist, dass diese Leute ganz prinzipiell nie verstanden haben, was an Verallgemeinerungen und Diskrimierung falsch ist, oder dass ihre Toleranz gegenüber dieser Diskriminierung einfach gewachsen ist.

In beiden Fällen kann es nur richtig sein, auf die Dinge hinzuweisen, die vor 80 Jahren bei uns passiert sind, und auf mögliche Parallelen zu den Ereignissen heute aufmerksam zu machen. Die Umstände sind zwar (noch) nicht die selben—aber Vergleiche sind nicht erst dann angebracht, wenn zwei Dinge bereits identisch sind.

Allerdings wäre ein solcher Vergleich auch um einiges wirkungsvoller, wenn man die Nazi-Keule nicht bei jeder noch so kleinen und absurden Gelegenheit auspacken würde. Besonders dann nicht, wenn Leute womöglich auf reale Probleme unserer Gesellschaft mit Themen wie Migration und Integration aufmerksam machen, solange das in einem halbwegs erträglichen Rahmen passiert. Hebt euch die Hiebe für die Momente auf, in denen sie wirklich notwendig sind. Dann wirken sie auch besser.

Tori auf Twitter: @TorisNest