Das Foto-Objektiv im Innersten von L.A.'s Bandenkrieg

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The True Crime Issue

Das Foto-Objektiv im Innersten von L.A.'s Bandenkrieg

Der Zürcher Fotograf Andres Herren ist der erste Fotograf, der die Mitglieder von drei rivalisierenden Gangs der mexikanischen Mafia in L.A. fotografieren konnte.

Alle Fotos von Andres Herren, Text: Till Rippmann

Diesem jungen Mitglied der Rascals (einer „Subgang" der F13) werden schlechte Überlebenschancen eingeräumt, da er sich seine Gangfarben in die Visage hat stechen lassen: Er wird ständig als Gangster erkannt; sowohl von Feinden als auch von der Polizei.

Andres ist eine sanfte und bescheidene Persönlichkeit. Gleichzeitig ist er ein ziemlich wagemutiger Typ. Er interessiert sich schon länger für Gangs, als dass er fotografiert. Als er also vor einer halben Dekade mit Fotografieren anfing, war ihm schon klar, was sein grosses Lebensprojekt werden sollte. So suchte der Zürcher Anschluss an drei der berüchtigsten und gefährlichsten Gangs in Los Angeles und brachte es als erster Fotograf auf die Reihe, während einem laufenden Bandenkrieg hinter drei Fronten Bilder zu schiessen.

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Zuerst hatte Andres das zweifelhafte Glück, über Zufälle und Bekanntschaften an Vertreter der infamen Florencia 13 zu geraten. Eine der grössten und bekanntesten Gangs im Grossraum Los Angeles, die in letzter Zeit öfter Schlagzeilen macht, da sie einen Rassenkrieg gegen Schwarze führt. Die Florencia ist vor allem im Süden von L.A., also South Central, zuhause und hat neben ihrem selbstgebastelten Rassenkonflikt auch Krieg mit der 18th Street Gang. Wie der Name schon sagt, gründete sich diese rund um und an der achtzehnten Strasse in Los Angeles.
Die Gangster der 18th Street sind vor allem Einwanderer aus San Salvador. Ihre Hauptrivalen sind darum die Mitglieder der ebenfalls aus San Salvador stammenden Mara Salvatrucha 13. Die ausnehmend berühmte Mara Salvatrucha 13—kurz: MS 13—bezieht ihren globalen Ruhm nicht wirklich aus ihren Aktivitäten in Los Angeles, sondern aus jenen in San Salvador. Der eigentliche Kampf zwischen der 18th Street und der MS 13 findet also in der Hauptstadt von El Salvador statt, aber die Grundlage dieses Konflikts sind diverse Abschiebungen von Gangstern aus Kalifornien zurück in deren Ursprungsland. Der ka- lifornische Bandenkrieg wurde also nach San Salvador exportiert, wo er heute wie ein Flächenbrand wütet, da die dortigen Behörden der Herausforderung der „internationalen Bandenkriminalität" noch weit weniger gewachsen scheinen als die Kollegen in den Vereinigten Staaten.

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Die Mara Salvatrucha 13 bestand ursprünglich aus kiffenden Einwandererkindern, die gerne gemeinsam auf Heavy-Metal-Konzerte gingen, daher auch die oft gesehene Verwendung der „Teufelshand" als Tätowierung. Die Mitglieder der MS 13 wurden aber recht schnell erwachsen und weiteten ihr Aktionsfeld von rumhängen, Musik hören und high werden auf Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Bandenkrieg aus. Ganz ähnlich verhielt es sich bei der 18th Street. So entstand ein Mitglieder-Wettbewerb, der bis heute andauert. Natürlich ist es nicht ganz einfach, neue Mitglieder zu finden, wenn dein Aufnahmeritual darin besteht, dass du als Neuer 13 Sekunden lang verdroschen wirst. Die generelle Perspektivenlosigkeit für Jugendliche sü- damerikanischer Herkunft in den Vororten von Los Angeles dürfte da die Waage wieder ausgleichen und trotzdem neue Mitglieder zu den Gangs treiben. Aber im Vergleich ist die MS 13 noch die harmloseste: Für Neuanwärter der 18th Street gelten 18 Sekunden, für jene der Florencia gar 30 Sekunden. Danach wirst du als Gangmitglied nur noch dann verdroschen, wenn du Scheisse gebaut hast. Wenn die Verfehlung ganz arg wird, bekommst du eine Narbe im Gesicht verpasst, ein sogenanntes Puta Mark—oder du wirst gleich gekillt. Andres hat keine Puta Marks in seinem Portfolio, denn er „fotografiert keine Verräter", wie er scherzhaft meint.

Alle drei dieser Gangs sind eigentlich Teil des Dachverbandes der mexikanischen Mafia, die nahezu alle lateinamerikanischen Gangs kontrolliert. Daher die Zahl 13, die aztekische 13, oder der Buchstabe „M", die sich in den Namen der Gangs oder/und auf den Körpern der Mitglieder findet.
Die Background-Kontrolle durch die mexikanische Mafia wird im Übrigen aus dem Gefängnis ausgeübt, denn wenn eine Sache sicher ist, dann die, dass jeder Gangster früher oder später in den Knast kommt. Und dort sind alle Latinos wieder Freunde und hassen gemeinsam die Schwarzen und die Weissen, die sich und die Latinos wiederum gegenseitig hassen.
Im Knast geht der aufstrebende Gangster zudem bei den älteren Gangmitgliedern, die den Knast nicht mehr lebend verlassen werden, in die Ausbildung. Dort lernt der Schüler alles, was er über die staatlichen und die Strassengesetze wissen muss, über seine und andere Gangs und die Geschichte derselben. Hinter Gittern verdient er sich dann Tattoos wie „Sur" oder „Southside".
Am schwierigsten war es offenbar, jemanden von der MS 13 vor das Kameraobjektiv zu bekommen. Die Gang gilt in den USA seit den Anti-Terror-Gesetzen nach 9/11 als Terrororganisation. Darum wird die MS 13 also nicht nur von den lokalen, sondern auch von Bundesbehörden wie dem FBI andauernd beobachtet.
Andres erzählt: „Es war ein Spiessrutenlauf, bis ich die Typen endlich treffen konnte. Von einer Tankstelle wurde ich zu einem Hinterhof und dann in einen Wohnblock geschickt. Und kaum hatte ich die Typen endlich getroffen, fuhr auch schon ein Wagen der 18th Street vorbei, was um ein Haar zu einer Schiesserei geführt hätte. Im Gegensatz zu den Jungs von der F 13 und den Leuten von der 18th Street waren die MS 13-Jungs extrem nervös und gar nicht zugänglich. Sie können es sich mittlerweile nicht einmal mehr leisten, zu dritt auf der Strasse gesehen zu werden, weil sie sofort von den Cops eingepackt würden. Das basiert auf einem weiteren neuen Gesetz, das sich ,Gang Injunction' nennt. Das verbietet den Gangs, in ihren eigenen Revieren Präsenz zu markieren—ab drei Mitgliedern bist du eine Gang. Für dieses Bild haben die Leute also ihre Freiheit riskiert."

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Zwei Mitglieder der F13 mindestens der Typ oben ohne hat im Knast Lehrgeld gezahlt.

Andres war an eine Party von dem Typen rechts im Bild eingeladen, der ihn dann seiner Gang vorgestellt hat.

Jede Gang, die was auf sich hält, hat im Herzen ihres Reviers ein Wandgemälde zu ihren eigenen Ehren. Dieses hier ist von der „18th Street Gang“

Das Wandgemälde im Herzen des Reviers der Florencia 13. Der zugehörige Schriftzug wurde von den städtischen Behörden entfernt.

Dieser Vertreter der 18th Street hat den Über-Diss an die Innenseite seiner Oberarme tätowiert: Die durchgestrichenen Namen seiner Feinde. Normalerweise tut man so was nur auf Wänden.

Der Dicke hinten links im Bild, hört auf den Namen „Big Boy“ und wurde kürzlich verhaftet, weil er einer der grössten Crystal Meth-Dealer in Los Angeles sein soll. Sonst sei er eher wenig aufgefallen.

Viele Tattoos werden von Laien mit Haushaltsmitteln im Knast gefertigt. Die Farbe wird aus Asche und Baby-Öl hergestellt. Andres fragt sich, ob die relativ hohe Krebsrate unter Gangmitgliedern damit in irgendeinen Zusammenhang zu bringen ist.