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Das tödliche Experiment in Frankreich hatte nichts mit Cannabis zu tun

Dafür aber möglicherweise mit den Drogengesetzen.
Der Sitz der Firma Biotrial in Rennes. Foto: imago | PanoramiC

Letzte Woche erreichte uns die Meldung, dass ein Medikamentenversuch im französischen Rennes auf tragische Art und Weise geendet ist: Fünf Menschen sind ins Koma gefallen, eine sechste Person wurde für hirntot erklärt und ist mittlerweile gestorben. Ein behandelnder Arzt berichtete, die Patienten hätten zum Teil „tiefe, nekrotische und hämorrhagische Läsionen im Gehirn".

Was genau zu den gesundheitlichen Problemen der Probanden geführt hat, ist noch nicht abschließend geklärt, aber es liegt natürlich nahe, dass es an dem Medikament lag, das ihnen verabreicht wurde. Zuerst wurde gemeldet, es habe sich dabei um ein cannabis-haltiges Medikament oder wahlweise ein Medikament auf Cannabis-Basis gehandelt—was dem Fall möglicherweise noch mehr Medienaufmerksamkeit verschafft hat. Kurz darauf ruderte das französische Gesundheitsministerium aber zurück: Es handle sich nicht um ein Medikament auf Cannabis-Basis, sondern um eine Substanz, die auf das Endocannabinoid-System des Menschen wirkt.

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Die Firma Biotrial, die das Experiment im Auftrag des portugiesischen Pharma-Unternehmens BIAL durchgeführt hat, hat sich bis jetzt nicht dazu geäußert, welches Medikament konkret benutzt wurde. BIAL veröffentlichte schließlich ein Statement, in dem die Firma erklärte, es habe sich bei der Substanz um einen sogenannten Anandamid(FAAH)-Hemmer. Genauere Details wurden bekannt, als ein lokales Medium ein Dokument veröffentlichte, das die Probanden offenbar auf den Test vorbereitet hatte. Darin wird schließlich auch das genaue Medikament benannt, das aller Wahrscheinlichkeit für das Desaster verantwortlich war: BIA 10-2474.

Bei BIA 10-2474 handelt es sich um einen Anandamid, der dort wirkt, wo auch auch die meisten Hauptwirkstoffe der Cannabis-Pflanze wirken: Am Endocannabinoid-System. Künstliche Cannabinoide sind eigentlich FAAH-Hemmer. Damit sind die Gemeinsamkeiten aber auch schon erschöpft.

BIA 10-2474 sollte als Schmerzmittel erprobt werden und wurde seit dem 7. Januar in unterschiedlich hohen Dosierungen an 90 freiwilligen Testpersonen, bei denen es sich um gesunde Männer zwischen 28 und 55 handelt, angewendet. Die Schwierigkeiten seien bei sechs Personen aufgetreten, die täglich mehrmals eine Dosis erhalten hatten, berichtet die Webseite sciencemag.org. Erste Komplikationen seien am 10. Januar eingetreten, als der Patient, der mittlerweile gestorben ist, mit schweren Komplikationen, die die Ärzte an die eines schweren Schlages erinnerten, ins Krankenhaus kam.

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Fünf weitere der insgesamt sechs männlichen Testpersonen wiesen bereits ernsthafte Symptome auf, die Angaben der Ärzte zufolge irreversible Folgeschäden nach sich ziehen werden. Die anderen 84 Versuchsperson weisen bislang keine Symptome auf, stehen aber unter ärztlicher Beobachtung. Bislang ist noch völlig unklar, weshalb die Symptome nur bei fünf der insgesamt 90 Testpersonen aufgetreten sind. Derzeit steht nur fest, dass alle sechs Mitglieder der selben Testgruppe waren. Bislang werden eine falsche Dosierung oder eine giftige Charge des Medikaments als Ursache in Betracht gezogen. Die französische Regierung hat eine umfassende Untersuchung der Vorfälle angekündigt.

Ein Cannabinoid hat nicht immer etwas mit Cannabis zu tun

Eigentlich wurde hier eine ähnliche Substanz wie die, die man gemeinhin unter Legal Highs kennt, am Menschen getestet. Viele andere Pharmaunternehmen wie Merck, Pfizer, Johnson & Johnson und Vernalis haben vorher andere FAAH-Hemmer wie URB 937 MK-4409, PF-04457845, JNJ-42165279 und V158866 erfolgreich zu verschiedenen medizinischen Zwecken getestet.

Auch auf dem Schwarzmarkt gab es zum Beispiel URB-597 and LY-2183240, die umgangssprachlich Legal Highs oder auch künstliche Cannabinoide heißen. Auch bei denen handelt es sich ausnahmslos um FAAH-Hemmer. Der Name Cannabinoid ist auch in diesen Fällen ein wenig irreführend: Er hat nichts mit der Pflanze an sich zu tun, sondern beschreibt lediglich, wo der Stoff andockt, um seine Wirkung zu entfalten.

Es ist aufgrund der aktuellen Gesetzeslage fast überall auf der Welt weitaus billiger und viel unaufwändiger, solche Substanzen zu erforschen, als sich den vielen noch unzureichend erforschten, natürlichen Cannabinoiden zu widmen. Das liegt vor allem an der Gesetzeslage: Um natürliches Cannabis zu erforschen, bedarf immer noch zahlreicher Ausnahme- und Sondergenehmigungen. Allerdings ist an den natürlichen, aber illegalen Cannabinoiden, die in Hanf enthalten sind, bislang noch niemand gestorben—oder auch nur ins Koma gefallen.