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Lies, du Opfa!

​Demokratie und Meinungsfreiheit

Demokratie und Meinungsfreiheit werden vor allem von Menschen beansprucht, die sich sonst nicht viel darum kümmern. Und beanspruchen meint hier Materialermüdung, Abnützung und klebrig machen.

Maximilian Zirkowitsch ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Als Bezirkowitsch hat er im Wien-Wahlkampf die Einwohner erfreut, die Medien verstört und Armin Wolf verärgert, weil er mit dem angeblichen Wolf-Sager „Ich kenne diesen Mann nicht" auf Facebook warb. Sein Wahlkampf in Wien Fünfhaus warf Fragen über Satire in der Gemeindepolitik auf und gab Antworten, die uns noch mehr irritierten. Jetzt ist Maximilian Zirkowitsch zurück im Rampenlicht—und zwar mit dieser

zweiwöchentlichen Kolumne auf VICE. Also: Lies, du Opfa!

Demokratie und Meinungsfreiheit werden vor allem von Menschen beansprucht, die sich sonst nicht viel darum kümmern. Und beanspruchen meint hier Materialermüdung, Abnützung und klebrig machen.

Tatsächlich berufen sich diese Menschen auf Demokratie und Menschenrechte, meinen aber etwas völlig anderes. Aber eins nach dem anderen. „Diese Menschen" klingt so arrogant, als wäre ich besser als sie. Nun, zum einen bin ich das, weil ich klüger und schöner bin, zum andern hilft es vielleicht ihnen Namen zu geben. Manche Menschen nennen diese Menschen besorgte Bürger. Terry Pratchett hat das auch getan:

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„Ah", sagte Herr Nadel. „Ja. Ich erinnere mich. Ihr seid besorgte Bürger." Über besorgte Bürger wusste er Bescheid. Wo auch immer sie sich aufhielten: Sie sprachen immer die gleiche private Sprache, in der ‚traditionelle Werte' und ähnliche Ausdrücke auf ‚jemanden lynchen' hinausliefen. (Terry Pratchett: Die volle Wahrheit, 2000)

Und diese besorgten Bürger_innen sagen Banalitäten, zum Beispiel, dass Recht Recht bleiben muss. So weit, so egal. Dann kommt die Besorgnis: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen! Ich habe auch meine Meinungsfreiheit." So tun, als ob jemand (Sie wissen schon *zwinkerzwinker*) verboten hätte, Banalitäten zu sagen, um dann ungehemmt mit Unfug fortzufahren, lässt den Unfug als Meinung erscheinen. Meinung kann Unfug sein, aber Unfug ist fast nie eine Meinung. Abgesehen davon geht es ihnen nicht um Meinungsfreiheit, sondern um Demokratie. Sie wollen ja nicht die Freiheit, ihren Standpunkt zu verbreiten, sondern gehört werden.

Demokratie hat wenig mit Abstimmungen zu tun. Ein leicht verrückter aber gutmütiger Lehrer meiner alten Schule betrat einmal die Klasse, erkundigte sich, wie viele Buben (17) und viele Mädchen (15) im Raum wären und ließ dann abstimmen, ob künftig immer die Mädchen den Mist rausbringen sollten. Das halte ich nach wie vor für die heilsamste Lektion meiner Demokratieerziehung. Demokratie meint, dass alle gehört werden, weil alle etwas zu sagen haben. Meinungsfreiheit hat dann damit zu tun, sich auszutauschen und die Meinung zu verbreiten. Dass Recht Recht bleiben muss, kann man gerne zur Abstimmung stellen, freilich wird sich durch das Ergebnis wenig ändern. Wie denn auch? Es bleibt ja wie beziehungsweise was es war, ob man nun dafür oder dagegen ist. Wenn ich nun behaupte, zwei und zwei ist fünf, bin ich entweder ein Dummkopf oder ein Lügner.

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Die Lüge wird, egal wie oft wiederholt, nicht wahr.

Wenn es eine Lüge ist, ist es keine Meinung, und wenn ich blöd bin, werde ich bald eines besseren belehrt. Wenn man jetzt eine Lüge in die Welt setzt, also ganz bewusst etwas Unwahres sagt, dann doch weil man als besorgte_r Bürger_in etwas bezweckt. Vielleicht will man eine Stimmung aufbereiten, um die eigene Meinung besser verbreiten zu können. Oder man will verblöden. Oder man hält die Lüge nicht für verwerflich, weil es ohnehin sein könnte. In jedem Fall gewinnt die Lüge, wenn man hinterherschießt, dass sie auf Meinungsfreiheit ruht. Ruhen und Schießen sind dann auch die Optionen, die einem/einer nicht-so-besorgten Bürger_in als erstes durch den Kopf gehen.

„Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht." (Georg Büchner: Woyzeck, 1879)

Die Lüge wird, egal wie oft wiederholt, nicht wahr. Wahrheit ist im Meinungsstreit ja ohnehin eine eher nachrangige Kategorie, sonst wäre der ganze schöne Demokratiespaß reiner Zinnober und mehr Aufputz für das, was passieren muss. Deswegen muss man allen Versammlungen und Gruppen, die einer Meinung sind, mit Vorsicht begegnen. Meinung meint hier nicht nur, dass sie zustimmen, sondern es auch sagen und sich womöglich aus diesem Grund gefunden haben. Umgekehrt findet man leicht eine Gruppe, wenn man eine Banalität sagt („Recht muss Recht bleiben!") und so tut, als wäre das in Gefahr.

In Gefahren ist Demokratie gut, oder wie ihre Nutznießer_innen gerne sagen: „Ein hohes Gut" Gibt es auch Menschen, denen Demokratie schädlich ist? Jein, meine lieben Leser_innen, jein! Es kommt darauf an. Demokratien gibt es mehr als Leser_innen und fast so viele wie Menschen. Üblicherweise haben Menschen Erfahrungen mit zwei oder drei Demokratien gemacht und werden ohne lügen zu müssen, sagen können, welche Demokratie nach Erdbeere schmeckt und welche mehr nach Besorgnis. Recht mag Recht bleiben, aber es ist kaum auszudenken, was Demokratie und Meinungsfreiheit, sich selbst überlassen, anstellen!

Wer will, kann über diesen Aufsatz abstimmen lassen.