Der Anteil der Versuchsschweine an unserem Leben

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Der Anteil der Versuchsschweine an unserem Leben

Fabian Zapatka hat in einem Krankenhaus zehn Schweine begleitet, die für medizinische Tierversuche sterben mussten.

An einem Sommernachmittag im Jahr 2009 besuchte ich aus Neugier einen Stierkampf in Barcelona. Zusammen mit einigen wenigen anderen Touristen saß ich auf den fast leeren Rängen der Arena, ohne die Faszination für dieses rituelle Spektakel nachvollziehen zu können. Nach und nach wurden die Tiere unter der tiefstehenden Sonne gemetzelt. Einige Katalanen protestierten vor der Arena. Ich machte mich deprimiert auf den Heimweg.

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Mir blieb das Bild des sterbenden Tieres, das sich mit aller Macht gegen das sichere Ende auflehnt, über Jahre im Gedächtnis. Auch für unsere Gesundheit sterben täglich Tiere. Ich bin kein Experte, hatte mich zuvor nie wirklich mit dem Für und Wider und dem Zweck von Tierversuchen beschäftigt. Dann stieß ich zufällig bei einer Recherche in einem großen Uniklinikum auf die Tierversuchsstation. Es schien mir wichtig, mich diesem verdrängten Teil unserer Realität zu stellen und wählte das Thema für mein allererstes Buch Perspectives.

Über ein halbes Jahr durfte ich einen medizinischen Tierversuch begleiten. Ein Versuch, bei dem nach neuen Therapien bei schwerem Lungenversagen gesucht wird. Lunge und Herz der Schweine sind denen des Menschen sehr ähnlich, so dass die Ergebnisse des Versuchs an diesen großen Säugetieren sich am ehesten für den Menschen adaptieren lassen. Die hier forschenden Ärzte behandeln parallel menschliche Patienten mit schweren Lungenschäden, die oft aus ganz Deutschland eingeflogen werden und hier intensivmedizinisch betreut werden. Viele der Patienten haben dann schon einen langen Leidensweg hinter sich.

Als ich das erste Mal in den OP kam, lag ein Schwein bereits auf dem Behandlungstisch. Die Parallele zu einer OP-Situation auf einer beliebigen Intensivstation drängte sich mir auf. Und schließlich ist es unsere eigene Angst vor dem Tod und der Wunsch nach einem besseren, längeren Leben, der diese Schweine erst auf den OP-Tisch bringt.

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Ich war überrascht von der Empathie, die die Pfleger und Ärzte den Tieren entgegenbrachten. Um den genauen Ablauf der Versuchsreihe abzubilden, begleitete ich etwa zehn einzelne Versuche über zehn Tage. Für jeden einzelnen starb ein Schwein, so sind es eigentlich zehn Schweine, die in diesem Buch verewigt wurden.

Die Tiere wurden auf der Versuchsstation von Veterinären betreut. Gehalten werden sie in einem separaten Teil des Klinikums, in denen auch Mäuse, Hamster, Kaninchen und Ziegen in kleinen Gruppen von verschiedenen Züchtern aus der Region angeliefert werden. Bis zu Beginn des Versuchs kümmern sich Tierpfleger um die Tiere, die je nach Versuch auf der Station verbleiben—die Schweine etwa einen Monat.

Ich konnte sehen, wie die Pfleger und Veterinäre die Tiere mit großer Anteilnahme versorgten. Wie die Schwestern und Pfleger ihnen Namen gaben. Wie die Ärzte sie für den Versuch betäubten und überwachten, dass sie nicht zu Bewusstsein kommen. Sie erklärten mir, dass Stress bei den Tieren zudem das Ergebnis der Tests verfälschen würde. Die Ärzte habe ich als sehr konzentriert arbeitend empfunden. Sie führten bei dem Schwein einen akuten Lungenschaden herbei, um anschließend die Folgen im Versuch zu therapieren. Nach Abschluss des Versuchs wurde das Tier eingeschläfert—die Schwere des Lungenschadens hätte für die Tiere nach dem Aufwachen wohl größeres Leid bedeutet. Für andere Forschungen wurden den Schweinen anschließend alle relevanten Organe entnommen, bevor sie im Keller des Komplexes verbrannt wurden.

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Der Tod jedes der Tiere war für mich, wie auch für die Ärzte und Schwestern, ein trauriger Moment. Ich musste dort lernen, dass diese Forschung helfen kann, Menschen in Zukunft besser und effizienter medizinisch zu versorgen und zu behandeln. Viele der dort arbeitenden und forschenden Menschen fühlen sich von der Allgemeinheit missverstanden und dämonisiert. Aber gerade die Angst der Forscher, die im Verborgenen arbeiten, macht es fast unmöglich, mehr über diesen Teil unseres Gesundheitssystems zu erfahren.

Gerade die Doppelmoral, selbst von Tierversuchen zu profitieren, also beispielsweise Aspirin zu schlucken, scheint auch mir sehr schwer auszuhalten. Denn selbst neue Margen bereits zugelassener Medikamente müssen immer wieder neu getestet werden, bevor sie verkauft werden dürfen. Ich denke, dass kaum jemand, der mit dem eigenen Tod, oder dem eines geliebten Menschen konfrontiert ist, auf die moderne Medizin, von der die Tierforschung eben ein Teil ist, verzichten würde. Im Gegensatz zu den Unmengen an Fleisch, die jeden Tag konsumiert werden und den Massen an Tieren, die dafür sterben müssen, würde der Verzicht auf die medizinische Forschung an Tieren, einen herben Einschnitt für unsere Lebensqualität bedeuten. Diese Tiere sterben täglich für uns.

Ursprünglich war geplant, den Fotos ein Interview mit dem forschenden Arzt zur Seite zu stellen. Dieser hatte bereits eingewilligt, als in der FAZ, der Zeit und dem Tagesspiegel ganzseitige Anzeigen vom Verein „Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland" geschaltet wurden. Die Anzeigen lasen: „Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art – man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen". Dazu sah man ein Foto des Bremer Primaten-Forschers Andreas Kreiter mit einem fixierten Affen. Kreiter und seine Familie wurden daraufhin massiv bedroht. Ein Dialog über die Sinnhaftigkeit seiner Versuche kam nicht zu Stande. Leider stand der forschende Arzt nach Abschluss meiner Dokumentation nicht mehr für ein Interview zur Verfügung. Ich bedaure sehr, dass zu diesem Thema kein offener Dialog möglich zu sein scheint.

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