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Der Aufstieg und Fall des Studenten-Bankräubers, der wie Robin Hood sein wollte

Stephen Jackleys großes Vorbild war der Mann mit dem grünen Spitzhut und sein Ziel bestand darin, den Kapitalismus mithilfe „wohltätiger" Verbrechen zu besiegen.

Collage: Marta Parszeniew

Wenn Studenten irgendwann klar wird, dass alles Schlechte dieser Welt die Schuld des Kapitalismus ist, dann beschränkt sich die Rebellion normalerweise darauf, aufrührerische Flugblätter zu sammeln sowie Tweets zum Thema Banker-Boni zu schreiben. Stephen Jackley hat das Ganze jedoch etwas weiter geführt. Während sich seine Kommilitonen linksgerichteten Studentenverbindungen anschlossen und Plakate malten, machte er sich an die Planung von Überfällen auf Banken und Bausparkassen. Dabei nahm er sich auch vor, einen Teil seiner Beute für wohltätige Zwecke zu spenden.

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Jackley, der am Asperger-Syndrom leidet, war von Robin Hood besessen. Er sah den Mann mit dem grünen Spitzhut als eine Ikone des Antikapitalismus an und wollte mit der Nachahmung von Hoods Taten die Fehler des kapitalistischen Systems wiedergutmachen. Auf dem Höhepunkt seines kriminalistischen Schaffens ging Jackley sogar so weit und schrieb der örtlichen Zeitung Exeter Express & Echo einen Brief, in dem Folgendes stand: „Ich werde auch weiterhin von den Reichen nehmen und die Armen beschenken." Unterschrieben war das Ganze mit „RH".

Nach seiner Festnahme und Inhaftierung wurde Jackley in vieler Berichten und Artikeln als alles Mögliche dargestellt—vom gewalttätigen Psychopathen, der Antikapitalismus nur als Ausrede vorgibt, bis hin zum exzentrischen Loser, der in einer Fantasiewelt feststeckt. Die Realität ist jedoch etwas komplexer.

Jackley ist in East Devon als Sohn einer Malerin und eines Ingenieurs aufgewachsen. Seine Mutter war schizophren und wurde regelmäßig entweder von der Polizei oder von Sanitätern weggebracht. Jackley macht diesen Aspekt seiner Kindheit für seine Unfähigkeit verantwortlich, als Erwachsener Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen.

In seinen späten Jugendjahren kam Jackley dann zu einer Erkenntnis, die für viele Teenager typisch ist: Die Welt ist ein systematisch ungerechter Ort. Bei einer Reise durch Südostasien—sowieso schon ein seltener Luxus—wurde ihm diese Ungerechtigkeit in Form von Vier-Sterne-Hotels in der Nachbarschaft von Elendsvierteln ohne fließendes Wasser schließlich direkt vor Augen geführt.

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Wieder zurück in Großbritannien studierte Jackley schließlich Geographie an der University of Worcester und entdeckte Alkohol und Drogen (laut eigener Aussage vor allem Marihuana und Kokain) für sich. 2007 schmiedete er in seinem Studentenwohnheim schließlich den Plan, die Gesellschaft gerechter zu machen.

Zur Beziehung zwischen Asperger-Syndrom und Verbrechen gibt es bereits mehrere Studien. Experten sind sich jedoch nicht darüber einig, ob Menschen mit dieser Störung wirklich mehr dazu neigen, kriminell zu werden. Es heißt jedoch oft, dass das Ganze einen gewissen Einfluss darauf hat, wie man diese Verbrechen dann durchführt.

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Als ich diesen Umstand anspreche, meint Jackley, dass sich Asperger schon auf seine Entscheidung, die Raubüberfalle durchzuziehen, ausgewirkt hat: „Mir ist es ja nicht wirklich möglich, die Konsequenzen meiner Handlungen für andere Menschen zu verstehen." Einen genauso großen Anteil an dieser Entscheidung scheint jedoch auch der Wunsch gehabt zu haben, als Held dazustehen.

„Ich wollte mindestens 60 Prozent meiner Beute für Obdachlose und wohltätige Zwecke spenden", erklärt mir Jackley. „Ich sah mich selbst als eine Art Robin Hood an. Damit rechtfertigte ich auch mein Vorgehen. Insgesamt habe ich so um die 2.000 Pfund gestiftet. Das klingt jetzt vielleicht nicht nach viel, aber ich hatte wirklich vor, noch mehr zu spenden. Außerdem gab ich ja auch etwas an die Leute ab, die auf der Straße leben. Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber ich habe die Geldscheine zum Teil auch mit einem ‚RH' gekennzeichnet."

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Ganz zu seinem Leidwesen machte Jackley jedoch einmal das genaue Gegenteil seines eigentlichen Vorhabens. „Ich bin in ein Gebäude eingebrochen, das sich später als das Büro einer gemeinnützigen Organisation herausstellen sollte. Das war ein richtiger Albtraum. Ich zahlte ihnen das Geld dann schrittweise zurück—angefangen bei 250 Pfund bis hoch zu 750 Pfund", erzählt er. „Ich wollte diese Beträge dann immer weiter erhöhen, bis ich irgendwann bei 20.000 Pfund angekommen wäre."

Im Rückblick auf seine Taten scheint Jackley die Absurdität des Ganzen zu verstehen. Er kommt wie ein umgänglicher und entspannter junger Mann rüber und man kann sich gut mit ihm unterhalten. Dabei vergisst man auch schnell, dass einem da ein Verbrecher gegenüber sitzt, der mithilfe von Hämmern, Messern und Schreckschusspistolen Buchhalter sowie Bank- und Bausparkassen-Angestellte bedrohte. Seine Reue wirkt jedoch ehrlich. Zwar gibt er zu, dass seine Intentionen teilweise eigennützig waren, aber er bereut auch seine Taten und die Angst, die er bei den Augenzeugen seiner Verbrechen verursacht hat.

Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen Jackley in unauffälliger Montur

Nach einer Reihe von erfolgreichen Überfällen entschied sich Jackley dazu, für seine zukünftigen Verbrechen eine echte Waffe zu besorgen. Also reiste er in die USA, um sich eine Pistole zu kaufen, die er dann zurück nach Großbritannien schmuggeln wollte. Der Plan sollte jedoch sehr schnell nach hinten losgehen: Der Besitzer des Ladens, in dem sich Jackley für eine Waffe interessierte, war ein ehemaliger Polizeibeamte, der den gefälschten Ausweis des Studenten sofort erkannte.

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Nachdem der besagte Ladenbesitzer die Polizei eingeschaltet hatte, wurde Jackley von Beamten durchsucht. Dabei fand man dessen Studentenausweis—so wurden schließlich auch die britischen Behörden eingeschaltet und Jackleys Wohnung überprüft. Dort fanden die Polizisten dann diverse Gegenstände, die den Studenten mit den Raubüberfällen in Verbindung brachten: Waffen, Verkleidungen sowie Unterlagen zu vergangenen und geplanten Verbrechen. Auch eine Bombenattrappe befand sich unter diesen Gegenständen (Jackley behauptet jedoch, seine Absichten in Bezug auf die falsche Bombe nicht mehr zu wissen, weil er betrunken und high war, als er sie in seinem Zimmer verstaute).

Britische Zeitungen verpassten Jackley schließlich Spitznamen wie etwa „Robin-Hood-Räuber". Vorerst verurteilten ihn in Großbritannien jedoch nur die Medien, denn ein US-amerikanischer Richter brummte dem Studenten erst mal eine zehnmonatige Haftstrafe auf, weil der ja versucht hatte, eine Waffe mit einem gefälschten Ausweis zu kaufen. Im Laufe der darauffolgenden Monate wurde er dann von einem Gefängnis ins andere gebracht.

„Man fragte mich immer wieder, ob ich die Queen kennen würde. Außerdem kannten die anderen Insassen in Bezug auf Großbritannien eigentlich nur London", erzählt er. „Viele von ihnen waren eigentlich ganz nett. Den meisten Stress haben tatsächlich die Wachen gemacht."

2009 wurde der damals 23-jährige Jackley schließlich nach England überführt und vor dem Worcester Crown Court in 21 verschiedenen Punkten angeklagt—darunter Raub, versuchter Raub und Waffenbesitz. Er bekannte sich in 18 Anklagepunkten schuldig und der Richter verurteile ihn schließlich zu 13 Jahren Haft. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt und man kam letztendlich zu einem Urteil von 12 Jahren Gefängnis, weil die Revisionsrichter der Meinung waren, dass Jackleys Asperger-Syndrom unter Umständen dafür gesorgt hat, dass er sich den Konsequenzen seiner Handlungen nicht bewusst war. Damit war der Student auch nicht voll schuldfähig.

2014 wurde Jackley dann aus dem Gefängnis entlassen und mithilfe der Stiftung Prince's Trust hat er es geschafft, den Verlag Arkbound sowie sein eigenes Magazin Boundless ins Leben zu rufen. Darin geht es um nachhaltiges Leben und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Im Gespräch mit Jackley wird klar, dass es sich bei dem jungen Mann nicht um die desillusionierte Gefahr handelt, von der in der Presse berichtet wurde. Er ist jedoch auch nicht mehr der Student, der an sein Dasein als antikapitalistischer Retter glaubt und mithilfe von Verbrechen gegen die wirtschaftliche Ungerechtigkeit ankämpfen will. Laut seiner Aussage ist sein Leben seit der Haft sowohl schwer als auch aufschlussreich. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass er seine vergangenen Taten wiedergutmachen will. Robin Hood ist passé. Heutzutage versucht Jackley, mit Worten gegen die Missstände in unserer Gesellschaft vorzugehen—und nicht mehr mit Hämmern.

Stephen Jackley hat vor Kurzem ein Buch über seine Verbrechen veröffentlicht. Just Sky ist im Arkbound-Verlag erschienen.