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Vice Blog

Der Barcode des Bösen

Eso-Unternehmen werben neuerdings mit "entstörten Barcodes" gegen böse Energie. Ist die Esoterik damit im 21. Jahrhundert angekommen? Oder ist sie das Österreich unter den Glaubensrichtungen?

Laut Friedensreich Hundertwasser ist die gerade Linie gottlos und führt zum Untergang der Menschheit. Das ist zwar jetzt bestenfalls gefühltes Wissen, weil man aus wissenschaftlicher Sicht natürlich erst dann verlässliche Aussagen über den Untergang unserer munter herum fabulierenden Spezies tätigen kann, wenn dieser zumindest mal zu passieren begonnen hat.

Aber auch die Naturwissenschaften tendieren inzwischen dazu, Hundertwasser recht zu geben. Das Universum hat Falten, die Zeit verläuft nicht linear, die kleinsten (Sinn-)Einheiten der Welt sind womöglich wild vor sich hin vibrierende Würstchen und überhaupt kennt die Natur so etwas wie Geometrie und Symmetrie in unserem Sinne nicht. Die Botschaft ist klar: Die Natur ist nicht rational, nur unser westliches Weltbild ist es. Als Ausweg bietet sich einerseits "Zurück zum Ursprung" beim Hofer (für Konsumisten mit wenig Zeit) und andererseits eine Freizeit-Karriere im weitläufigen Feld der Esoterik (für Konsumkritiker mit wenig Verstand) an. Über ersteres gibt es nicht viel mehr zu sagen, über zweiteres leider jede Menge.

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Der jüngste Fall, mit dem die Granderwasser-Generation wieder ihr Faible für—aber eben auch: ihre Schwäche gegenüber—Fakten unter Beweis stellt, hat nun passenderweise mit (na?) geraden Linien zu tun. Genauer gesagt vielen geraden Linien, die sich gemeinsam zu einem Barcode formieren. Das, wozu man früher Strichcode gesagt hat, ist der neue Inbegriff des Bösen, weil er angeblich "negative Ausstrahlungen und in größerer Dosierung eine energetisch toxische Wirkung auf den menschlichen Organismus ausübt", wie nicht nur dieser Blog über bionische Balance behauptet.

Wie das im Detail funktionieren soll, wo doch Barcodes nichts weiter als Tinte auf Papier sind, braucht man sich eigentlich gar nicht erst zu fragen. Natürlich ist an der bösen Energie, die mittels Licht-Abtastung freigesetzt wird, genau so wenig dran wie an jedem anderen Räucherstäbchen-Mythos, der auf einer sehr freizügigen Verwendung des physikalischen Begriffs "Energie" in Verbindung mit einer sehr ausgeprägten Ignoranz gegenüber dem leisesten Hauch von Hintergrund-Recherche fußt.

Interessant ist aber, dass die Esoterik als Geschäftsfeld mit immer soliderem Selbstmarketing durch das aktuelle "Barcode-Meme" ein handliches kleines PR-Tool gefunden hat, mit dem sie abseits von recht analogen Wünschelruten und ziemlich antiquierter Videokassetten-Geistbeschwörung endlich auch im digitalen Zeitalter angekommen ist. Das erklärt auch, warum die Geschichte gerade wieder die Runde macht, obwohl der erste Eso-Artikel zum Thema bereits 1995 erschienen ist.

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Unter dem Titel BARCODES: Marks of the Beast publizierte damals Peter A. Lindemann seine Erkenntnisse darüber, dass jeder Barcode angeblich unsichtbar die Zahl 666 enthält. Genau wie die Behauptung von Friedensreich Hundertwasser ist auch das ziemlich griffiges gefühltes Wissen, das auf vorgeblich moderne Art eine Kritik an Fortschritt und Technologiegläubigkeit ermöglicht.

Erst im April hat das Thema eine kleine Renaissance im deutschen Feuilleton erfahren. Vor wenigen Tagen wurde es von DerStandard.at aufgegriffen, weil ein österreichisches Eso-Unternehmen seine Produkte nun mit "entstörten Barcodes" ausstattet (was so viel heißt wie: die Striche quer durchstreicht), auch wenn es laut eigenen Angaben dem Glauben an das Böse im Barcode "neutral gegenübersteht".

Der Barcode des Bösen mag vielleicht nicht neu sein und durchaus demselben Prinzip wie jeder andere esoterische Bullshit folgen—aber er ist der bislang beste Versuch, die Esoterik von kruden Katzenladys abzulösen und den (in manchem Fällen sogar unter 40-jährigen und nicht weniger komischen) Kids anzutragen. Genau wie jede fertig institutionalisierte Glaubensrichtung ist auch diese "Ersatz-Religion" besessen von dem, wogegen sie sich richtet, um die Selbstrechtfertigung ja nicht aus dem Blick zu verlieren.

Vielleicht kommt die Obsession der Esoterik mit dem Bösen ja auch daher, dass das Böse (zuerst in Gestalt der Nazis und später in Form der Netz-Nazi-Nachahmer) die Esoterik (in Gestalt von Runen, invertiertem El Schaddai-Mythos und der SS Schwarze Sonne) schon einmal für sich eingenommen hat? Vielleicht hat die Esoterik einfach Angst vor der erneuten Annexion und vegetiert jetzt als sowas wie das Österreich unter den Glaubensmodellen vor sich hin? Vielleicht ist die Esoterik das Äquivalent zum überängstlichen Opa, der im Alter plötzlich allen Religionen gleichzeitig beitritt, um sich gegen jede Form von Satan abzusichern?

Natürlich sind das alles Gedanken, wie sie sich nur ein Mensch machen kann. Der Natur der Sache kommt man damit auch nicht auf die Spur. Aber ich habe das Gefühl, dasselbe gilt für die Esoterik. Oder wie mein Vater sagen würde: "Sicher kannst du in die Natur hineinhören. Aber Antwort bekommst du halt keine."