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​Der Bäcker und die Wiener Gotteskämpfer

Im Sommer 2014 kursierte die Nummer eines Bäckers in der tschetschenischen Community in Wien. Er verkauft gebrauchte Autos in die Türkei und lässt Gotteskämpfer an der syrischen Grenze aussteigen.

Seine letzte Reise trat Yunus am Montag den 18. August in einem blau lackierten Mercedes-Benz A170 CDI an. Auf seiner Rückbank sitzen vier selbst ernannte Gotteskämpfer. Yunus nennt sie „Achi"—arabisch für „Bruder—obwohl er sie erst vor einer Woche kennengelernt hat. In Wirklichkeit heißen sie Bekchan, Timur, Mansur und Ela. Sie sind zwischen 17 und 28 Jahre alt und haben Yunus Nummer von einem Emir aus der Omar Al Faruk Moschee im 21. Bezirk. Jetzt sind sie bereit. Yunus ist es nicht.

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Die Geburt seines vierten Kindes hat die Abfahrt um drei Tage verzögert. Er denkt daran, dass er nach seiner Rückkehr in ein paar Tagen die Dokumente für das Baby abholen muss, während er den Motor startet. Er weiß nicht, dass er erst in vier Jahren in seine Wohnung zurückkehren wird. Mansur auf der Rückbank macht ihn nervös, weil er ständig mit seiner Freundin telefoniert. Yunus hält an der Shell-Tankstelle am Praterstern. „Nehmt eure SIM-Karten und Akkus aus den Handys",__ sagt er.

Dann fährt er in Richtung ungarische Grenze. Alles ist durchgeplant. Die vier selbst ernannten Gotteskämpfer haben weder Visum noch Dokumente, daher wird sie ein Schleuser namens „Emin" für jeweils 300 Euro illegal über die bulgarisch- türkische Grenze bringen. Yunus macht das nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal geht alles schief. Hinter dem blau lackierten Mercedes Benz fährt bereits das Anti-Terror Einsatzkommando der Cobra. Bevor die fünf Männer österreichischen Boden verlassen können, schlägt es zu.

Zehn Monate später ist Yunus F. Hauptangeklagter im größten IS-Prozess, der bisher in Österreich verhandelt wurde. Vermummte und bewaffnete Sicherheitsmänner bilden eine Mauer um ihn, fast wie bei einer Demonstration. Mit seinem Anzug, dem sauber rasierten Gesicht, klaren Augen und leicht schütterem Haar wirkt er in dieser bedrohlichen Szenerie Fehl am Platz. Acht Männer und eine Frau müssen sich mit ihm wegen des Verdachts der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung verantworten. Der Prozess endet am 19. Juni mit zehn Schuldsprüchen.

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Die Causa ist komplex und spielt an vielen Orten gleichzeitig. Hinter dem Schöffen ist eine Karte auf eine Tafel gepinnt, auf der rote, gelbe und grüne Striche von Wien über die Türkei und bis in die Grenzstadt „Gaziantep" eingezeichnet sind. Sie gilt als wichtiger Knotenpunkt für Neuankömmlinge, die sich einer syrischen Terrorgruppe anschließen möchten._„Dort warten schwarze Autos mit dem IS-Logo auf die Ankunft von neuen Kämpfern und bringen sie in Städte wie zum Beispiel Ar-Raqqa," sagt die Staatsanwältin._

Auch die neun Angeklagten wollten dorthin. Ein Auto hätte die Route über Südkärnten und Italien nehmen sollen, der zweite Wagen fuhr in Richtung Südosteuropa. Wie kam es dazu, dass ein Bäcker und vierfacher Familienvater zur zentralen Figur in einem Terrorprozess wurde? Wer waren seine „Kunden" und wie beziehungsweise wo nahm er mit Wiener IS-Sympathisanten Kontakt auf?

2015 wird das Jahr der Dschihadisten-Prozesse. Bei den bisher in Österreich verhandelten Terrorprozessen mit IS-Bezug lassen sich eindeutig drei „Trends" ausmachen. Erstens: der Islamische Staat, der in Syrien ein Kalifat ausgerufen hat, ist für Jugendliche aus allen gesellschaftlichen Schichten attraktiv geworden. Zweitens: neben kämpferischen und finanziellen, gewinnen logistische und psychologische Unterstützungstätigkeiten immer mehr an Bedeutung. Drittens: eine „virtuelle Rekrutierung" über Chats spielt im Vergleich zu Radikalisierungen in Moscheen eine ausschlaggebende Rolle in der Beweisführung.

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Mitte Mai saß ein 16-jähriges Mädchen ohne Migrationshintergrund auf einer Anklagebank am Landesgericht, weil sie SMS wie diese verschickt hatte: „Wie ist es dort im Kalifat außer wunderschön? Das interessiert mich extrem!" Solche Vorwürfe skizzieren uns ein völlig neues Bild eines „Terroristen": Junge Männer und Frauen in der Selbstfindungsphase, die auf der Suche nach einem Ort des Zusammenhaltes sind und ihn in einem religiös-fundamentalistischen Umfeld zu finden scheinen. Solche Fälle erschweren der Justiz, eine klare Grenze zwischen jugendlichem Leichtsinn und einer Straftat zu ziehen.

Was waren das für junge Männer und Frauen, die in den von Yunus F. organisierten Autos gesessen sind? Die acht männlichen Angeklagten sind zwischen 17 und 28 Jahre alt und zum Großteil tschetschenische Flüchtlinge. Einige sind Familienväter und mehrfach vorbestraft, andere stecken mitten in der Schulausbildung oder haben ein abgeschlossenes Medizin- oder Chemiestudium. Zum Beispiel Angeklagter Nummer Neun, ein 21-jähriger Tschetschene namens Timur S., der aus einer gut situierten und bürgerlichen Familie aus Grosny stammt und 2005 mit seiner Mutter und seinen Schwestern nach Österreich geflüchtet ist. Bis zu seiner verhinderten Ausreise besuchte er einen Aufbaulehrgang der Vienna International Business School.

Oder Malika S., die einzige Frau im Gerichtssaal, die im Sommer 2014 mit ihrem Mann Hizir (Angeklagter Nummer 3) hochschwanger nach Syrien ausreisen wollte und vor einigen Monaten in U-Haft entbunden hat. Auf ihrem Handy fand der Verfassungsschutz belastende Fotos und Videos. Gesteinigte Menschen mit einem Sack über den Kopf, Massenhinrichtungen und Erschießungskommandos sind darauf zu sehen.

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Die Frau trägt einen Tschador, ist zierlich und spricht viel zu leise in ihr Mikrofon: „Ich wollte in Frieden in einem Land leben, in dem die Scharia herrscht." Zuvor gab sie in einer Einvernahme an: Wir hätten in Al Raqqa oder Manbi wohnen wollen. Wäre mein Mann zur Terrorvereinigung Al-Nusra gegangen,_ wäre ich ihm auch gefolgt._ Die Rolle der Frau im Kalifat gilt in der Propaganda der IS als besonders verzerrt. Thomas Schmidinger von der österreichischen NGO „Netzwerk Sozialer Zusammenhalt" betreut Familien, deren Kinder bereits nach Syrien gezogen sind oder sich gerade radikalisieren. _„Es ziehen deutlich mehr Männer in den Dschihad—etwa drei- bis viermal so viele. Wir wissen aber, dass sich derzeit auch eine Hand voll Österreicherinnen dort befinden",_ erzählt er.

Sie würden Assad vermutlich nicht als Terroristen bezeichnen. Dafür ist für sie Osama-Bin Laden ein Terrorist.

Auch im Fall Yunus F. zeigte sich, dass alle reisewilligen Personen ein realitätsfernes Bild von der Lage in Syrien hatten. Ob das zur Verteidigungslinie gehört hat oder auf tatsächlichem Unwissen basierte, ist schwer einzuschätzen. Als ich die Videos gesehen habe, wollte ich dort leben. Die Filme haben mir sehr gut gefallen. Man lebt dort gut und hat keine Probleme. Es gibt dort Alles, auch Krankenhäuser", sagte etwa Hizir B. Eine Zeugin erinnert sich: „Yunus hat von Syrien immer wie von einem Paradies gesprochen."

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Dass das Leben im Kalifat nicht nur im Internet sondern auch in Wiener Moscheen romantisiert wird, beweist die Rekrutierung eines weiteren Jugendlichen, der Teil der Reisegruppe rund um Yunus F. war. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt zwei Mittelsmänner namens Mujiburahman A. und Caner Y., die Nummer des Bäckers an reisewillige Jugendliche vermittelt zu haben. Letzterer wartet derzeit in der Josefstadt auf seinen Prozess. Ersterer befindet sich auf freiem Fuß.

Der Autohändler Yunus gibt in seiner Einvernahme Mitte August 2014 zu Protokoll, dass er _„nicht wisse, wer seine Nummer weitergegeben habe"._ Das würde heißen, dass er in die Sache „reingerutscht" sei und hinter den Mitfahrgelegenheiten kein ausgeklügeltes System steckte. Zwei Quellen deuten darauf hin, dass dem nicht so war.

Yunus F. wurde über Tage von einer Spezialeinheit der Cobra observiert. Laut dem Observationsbericht des Verfassungsschutzes, der VICE exklusiv vorliegt, hat sich Yunus F. Mitte August 2014 mit dem mutmaßlichen IS Sympathisanten Yildirim C. (35) persönlich in einem Geschäftslokal getroffen.

Ein weiterer Beweis fällt etwas konkreter aus: So schilderte einer der Mitfahrer im Rahmen seiner polizeilichen Einvernahme, wie er über Mujiburahman A. in der Omar Al Faruk Moschee in Wien bewusst an F. weitervermittelt worden war. Damals soll er ihm den IS in einer sehr positiven Art näher gebracht haben, indem er erklärte, dass nicht bloß Kämpfer sondern auch Ärzte und Mechaniker im Kalifat gebraucht werden."

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F. war offensichtlich Logistiker, während das Anwerben und Rekrutieren in den Aufgabenbereich weiterer Mittelsmänner fiel. Auffällig ist, dass er in der Szene nicht als Salafist sondern Autohändler bekannt wurde. „Da ich schon sehr lange arbeitslos bin, handle ich sei einiger Zeit mit PKWs, die ich nach Bulgarien oder in die Türkei bringe und dort weiterverkaufe. Die Fahrzeuge wurden von mir regelmäßig auf Personen aus meiner Moschee angemeldet ", meint F. während seiner polizeilichen Einvernahme.

Das erste Fahrzeug, das er aus Wien nach Istanbul brachte, war laut ihm ein hellgrün lackierter Mercedes E250CDI Baujahr 2001. Yunus macht knapp 1.500 Euro Gewinn und beginnt ab sofort regelmäßig Autos anzukaufen. Um das Geschäft aufzubessern, kassiert er von jedem Mitfahrer zwischen 100 und 300 Euro. War der Transport aus Geldnot erfolgt oder steckte ein ideologisches Interesse dahinter?

Auch hier scheint das von der Staatsanwaltschaft ausgewertete Material eine klare Sprache zu sprechen. Gegenüber der Polizei erklärte sich F. im August 2014 wie folgt:

Auf die Nachfrage ob mir bewusst ist, dass der Islamische Staat eine terroristische Vereinigung ist, gebe ich an, dass ich das als Moslem anders sehe. Die meisten dort kämpfen gegen Assad und das halte ich für eine gute Sache. Ich kann jedoch nicht mitansehen, wenn einzelne Personen dort den Menschen die Köpfe abhacken. Sie würden Assad vermutlich nicht als Terroristen bezeichnen. Dafür ist für sie Osama-Bin Laden ein Terrorist.

In einem Handychat mit einer gewissen „Schwester Hawa" prahlt F. damit „bereits 20 Mujaheddin (Anm.: Islamische Widerstandskämpfer) nach Syrien gebracht zu haben". Einem Emir namens „Ahmed al-Schischani" schreibt er: „Ich habe sieben Mujaheddin nach Gaziantep gebracht, wurde aber von der Polizei erwischt. Ich habe Probleme bekommen aber ich bringe sie noch mal." Einer weiteren Frau namens Lisa O. schickt er eine Warnung, „dass sie mit drei Jahren Gefängnis rechnen müsse, wenn sie aus Syrien nach Österreich zurückkehre". Die Chatpartner „Schwester Hawa" und Lisa O. sind zwei von mindestens acht Reisenden, die es mit der Hilfe von F. Anfang Juli 2014 in das Herrschaftsgebiet des IS geschafft haben und sich nach seiner Aussage immer noch dort aufhalten.

Wenn man in der ehemaligen Bäckerei von F. steht, glaubt man nicht, dass hier laut Verfassungsschutz immer wieder Anwerbungsgespräche mit IS-Sympathisanten stattgefunden haben sollen. Es ist ein heller, moderner Laden mit vielen Stammkunden aus der Nachbarschaft. Wiener Zucker steht neben „Karadeniz" Tee, Krapfen neben Baklava und Gazi-Jogurt neben Milka Schokolade. Der Laden wirkt, als wäre er von einem Österreicher und einem Türken zeitgleich eingerichtet worden „Wir glauben an die Justiz. Unsere Familie hat nichts mit dem IS zu tun", sagt ein Verwandter. Er klingt optimistisch und ruhig. Eine Woche später wurde Yunus F. zu 3 Jahren Haft verurteilt.

Folgt Franziska auf Twitter: @franziska_tsch