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Der britische Nazischlächter, der mit Schwert und Bogen in den Zweiten Weltkrieg zog

Dieses Jahr wurde Oberstleutnant John Malcolm Thorpe Fleming Churchill oder „Mad Jack" dafür geehrt, ein kaltblütiger Irrer zu sein, der mit Bogen und Schwert bewaffnet schreiend in die Schlacht stürmte.

Das Erste, was die Mitglieder der Nazigarnison auf der norwegischen Insel Vågsøy gehört haben müssen, als die britischen 3. Kommando-Truppen am 27. Dezember 1941 landeten, war die dröhnende Darbietung eines Dudelsacks. Ein Kommandosoldat stand an der Spitze des Landungsboots und spielte den schwungvoll-martialischen „March of the Cameron Men". Als das Schiff angelegt hatte, sprang er an Land, warf eine Granate auf die Deutschen, zog sein Schwert und stürzte sich lauthals brüllend ins Gefecht.

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Der erbittert kämpfende Soldat war der 35-jährige Lieutenant Colonel John Malcolm Thorpe Fleming Churchill. Der Auftritt bei dieser Schlacht, die unter dem Namen Operation Archery bekannt ist, war in seinem Leben jedoch keineswegs der bizarrste oder gefährlichste. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs überlebte „Mad Jack" mehrere Explosionen, entkam einigen Kriegsgefangenenlagern, nahm bei einem einzigen Angriff mehr als 40 Deutsche mit vorgehaltener Klinge gefangen und war 1940 der letzte Mann in einem modernen Krieg, der mit einem Langbogen tötete. Und das ist nur die Kurzfassung.

Für viele Kriegsjunkies und Verehrer von harten Typen sind die Taten von Mad Jack ein Inbegriff der Militärromantik. Mit überlieferten Aussagen wie „Jeder Offizier, der ohne sein Schwert in den Kampf zieht, ist unsachgemäß gekleidet" scheint er einer Abenteuergeschichte aus der Mitte des letzten Jahrhunderts entsprungen zu sein. Der Royal Norwegian Explorers Club sah in ihm ein Musterbeispiel seiner Zunft und bezeichnete ihn als einen der größten Abenteurer aller Zeiten.

Von Churchills Jugend ist nicht viel bekannt, außer, dass er 1926 im Alter von 20 Jahren seinen Abschluss auf der britischen Militärakademie Sandhurst machte, dann nach Burma geschickt wurde und dort ein paar Jahre lang mit seinem Motorrad durch die Gegend fuhr. Gelangweilt von dem langen Frieden verließ Churchill 1936 die Armee vorübergehend und arbeitete kurzfristig als Zeitungsredakteur in Nairobi, als Model und als dudelsackspielender und bogenschießender Komparse in Filmen wie Der Dieb von Bagdad und Der Lausbub aus Amerika.

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Am Ende des Jahrzehnts war er so besessen vom Dudelsackspielen, dass er den zweiten Platz bei einem militärischen Dudelsackwettbewerb gewann—was einen kleinen Skandal verursachte, weil ein Engländer so viele Schotten ausgestochen hatte. Im nächsten Jahr trat er für Großbritannien bei der Weltmeisterschaft im Bogenschießen in Oslo an.

Als die Nazis in Polen einmarschierten und der Krieg unmittelbar bevorstand, stürmte Churchill wieder aufs Schlachtfeld. Beim Rückzug der alliierten Truppen im französischen Dünkirchen Mitte 1940 kam sein Langbogen umgehend zum Einsatz. Mit Guerilla-Strategien und Überfällen erntete er Anerkennung für seinen Mut, den er auch mitten im Maschinengewehrfeuer nicht verlor. Als er von einem Turm im kleinen Dorf L'Epinette sah, dass deutsche Streitkräfte anrückten, kündigte Churchill seinen Angriff dadurch an, dass er einem Nazi-Feldwebel einen spitzen Pfeil durch die Brust schoss. Daraufhin eröffneten zwei Infanteristen in seinem Schlepptau einen Kugelhagel.

Im nächsten Jahr, 1941, meldete sich Churchill freiwillig, um sich den neu ausgebildeten britischen Kommandos anzuschließen, die nach Norwegen zogen. Nachdem er unbeschadet aus der Schlacht zurückkehrte, ließ ein britischer Sprengstoff-„Experte" aus Versehen ein Geschoss neben ihm hochgehen. Dabei gruben sich Scherben der Weinflasche, aus der er gerade trank, in seine Stirn.

Kurz darauf war er wieder auf den Beinen und beteiligte sich 1943 am Italienfeldzug, wo er sich eines Nachts zusammen mit einem Unteroffizier von einem deutschen Posten zum nächsten schlich und die Garden mit seinem Schwert überraschte. Am Ende der Nacht hatte er 42 Leute gefangengenommen und bekam kurz darauf den Orden für hervorragende Dienste verliehen.

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1944 wurde Churchill zur Unterstützung von Josip Broz Titos Truppen nach Jugoslawien geschickt, wo er einen Frontalangriff auf eine gut geschützte Stellung auf der Insel Brač anführte. Inmitten von Tieffliegerangriffen und Granatwerfern war er einer von nur sieben Männern, die das Angriffsziel erreichten. Nachdem er alle seine Kugeln verschossen hatte, war er der letzte Überlebende. Also spielte er „Will Ye No Come Back Again?" auf seinem Dudelsack, bis er durch eine Granatenexplosion von den anrückenden Deutschen bewusstlos wurde.

Angeblich sahen die Nazis aus Respekt vor ihm von ihrem Auftrag ab, ihn umzubringen. Wahrscheinlich half ihm jedoch auch die Tatsache, dass er für einen Verwandten von Winston Churchill gehalten wurde, weshalb er zu einem Verhör nach Berlin kam. Nachdem er keine wertvollen Informationen lieferte und ein Feuer legte, wurde er ins Konzentrationslager Sachsenhausen verlegt.

Dem Konzentrationslager entkam er bald, indem er sich unter einem Stacheldrahtzaun durchzwängte. Dann versuchte er, sich durch 200 Kilometer Feindgebiet an die Ostsee durchzuschlagen. Nur wenige Kilometer vor dem Strand wurde er erwischt und in ein anderes Lager gebracht, diesmal nach Italien. Wie zu erwarten, entkam er erneut, 1945, während eines Stromausfalls, und legte 160 Kilometer zu Fuß zurück.

Auf der Flucht kochte er sich in einer verrosteten Konserve Gemüse, das er von Feldern stahl, die von den Nazis beschlagnahmt worden waren. Schließlich stieß er auf ein amerikanisches Regiment in Verona, das er davon überzeugte, ein britischer Offizier zu sein.

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So altmodisch seine Ausrüstung erscheinen mag, auf dem Schlachtfeld erfüllte sie ihren Zweck. „Sowohl der Langbogen als auch das Schwert waren unter den richtigen Umständen extrem effektiv", sagt der britische Waffenhistoriker Mike Loades. „Mit beiden Waffen kann man verstümmeln und töten." Ausgehend von Bildern vermutet Loades, dass Churchill einen leichten Bogen mit einem Zuggewicht von unter 18 Kilo benutzte. Die Bogen im Mittelalter hatten dagegen 45 Kilo, moderne Kriegsbogen 80 Kilo Zuggewicht. „Unbewaffnete deutsche Truppen waren leichter verwundbar als rüstungstragende Männer im Mittelalter", erklärt Loades. „Deshalb braucht man keinen sehr schweren Bogen." Moderne Bogenjäger sagen, dass man mit einem 30-Kilo-Zugbogen leicht ein Reh aus einer Entfernung von 18 Metern schießen könne. Außerdem hat der Bogen den Vorteil, beim Schießen keine Geräusche zu machen.

Dennoch setzte Churchill seinen Bogen wahrscheinlich nicht für eine heimliche Kriegsführung ein. Er war dafür bekannt, seine Feinde mit fuchtelnder Klinge und Kampfgeschrei anzugreifen. Loades sagt, dass hinter diesem Draufgängertum eine Taktik stehen könnte, die dem Feind Angst vor dem unerwarteten Angriff eines Irren einjagt.

Der Nutzen dieser Taktik war jedoch beschränkt. „Bei der Infanterie-Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg musste man oft durch die Gegend robben und sich in Angriffspositionen manövrieren", sagt Loades. „Das Klappern eines Schwertes wäre in diesen Situationen nicht hilfreich … Deshalb bezeichne ich [Churchills] Verteidigung des Schwertes in der modernen Schlacht als romantisches Getue."

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Nichtsdestotrotz erkennt Loades Churchills Tapferkeit an und bewundert sie. Allerdings könnte die Tatsache, dass er überlebt hat, genau so viel mit seinem mutmaßlichen Irrsinn zu tun haben, wie mit seinem Geschick und seinem Mut. Millin, der in Der längste Tag verewigte Schotte, der an den Stränden der Normandie Dudelsack spielte, begegnete später deutschen Kriegsgefangenen, die ihn dort gesehen hatten. Sie erzählten ihm, dass sie ihn für wahnsinnig gehalten und deshalb nicht auf ihn geschossen hätten. Ähnlich könnte es auch in der Geschichte von Mad Jack so sein, dass Mitleid und Verwirrung einen ebenso großen Anteil hatten wie die Angst seiner Gegner.

Hinter Churchills Romantik und seiner Prahlerei verbirgt sich noch eine weitere düstere Wendung. Der letzte seiner berühmten Sätze ist ein kurzes Requiem auf das Ende des Krieges, den er so sehr geliebt hat. „Wären diese verdammten Amis nicht gewesen, hätten wir den Krieg noch zehn Jahre weiterführen können." Wie Loades richtig betont, weisen kleine Einblicke in Churchills Psyche darauf hin, dass sein Irrsinn nicht nur unterhaltsamer Stoff für Heldengeschichten war.

„Wenn man jemanden mit einem Langbogen erschießt und dann das Feuer eröffnet, deutet das nicht darauf hin, dass der Einsatz des Langbogens einen besonderen Vorteil mit sich bringt", sagt Loades, „sondern eher auf ein makaberes Interesse daran, jemanden mit einem Langbogen zu töten. Natürlich sterben die Feinde so oder so, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Ganze tatsächlich eine so ehrenwerte Abenteuergeschichte ist, wie es den Anschein macht."

Wenn zu Kriegszeiten bei Churchill psychopathische Anklänge zu erkennen waren, so konnte er sie später gut verdecken. Nach dem Krieg ließ er sich weiter von einem Abenteuer zum nächsten treiben. Er tauchte wieder kurz in Burma auf und ließ sich in seinen Vierzigern zum Fallschirmspringer ausbilden. Seine neuen Tätigkeiten brachten weniger Blutvergießen und manchmal sogar gewaltfreien Heroismus mit sich.

Zum Beispiel als er nach Palästina zog und zur Zeit der Gründung des Staates Israel einen medizinischen Konvoi bewachte und Hunderte jüdische Ärzte evakuierte. Jahre später mied er den aktiven Kampf gänzlich und zog nach Australien, wo er seinen Lebensunterhalt als Lehrer für Kriegsführung verdiente und sich seiner Liebe zum Surfen widmete.

Später kehrte er nach England zurück, um eigene Surfbretter zu entwerfen und auf der fünf Meter hohen Welle des Flusses Severn zu reiten. Nebenbei hatte er noch einen Schreibtischjob beim Militär. Als er 1959 in den Ruhestand ging, war Churchill gesetzt genug, um die letzten 37 Jahre seines Lebens zusammen mit seiner Frau auf Dampfschiffen die Themse entlang zu fahren, ferngesteuerte Kriegsschiffsmodelle zu bedienen und eine Familie zu gründen. Ob er an seinem erstaunlich friedvollen Lebensabend hin und wieder spaßeshalber seinen Bogen und sein Schwert hervorgeholt hat, bleibt im Dunkeln.