Der Feind in den eigenen Reihen: Vergewaltigung im US-Militär

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Der Feind in den eigenen Reihen: Vergewaltigung im US-Militär

Wir haben uns mit dem Fotojournalisten François Pesant über sein Buch ‚An Enemy Within' und sexuelle Gewalt von US-Soldaten gegen ihre Kolleginnen unterhalten.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von François Pesant

Bei seiner Arbeit an einem Artikel über Veteraninnen des US-Militärs stellte der kanadische Fotojournalist François Pesant 2012 fest, dass mehrere seiner Interviewpartnerinnen während ihres Dienstes von ihren männlichen Kollegen vergewaltigt worden waren.

Seitdem erforschen Pesant und die Journalistin Alexandra Geneste das Thema und sammeln Aussagen von Vergewaltigungsopfern sowie von Angehörigen von Soldatinnen, die nach einer Vergewaltigung Selbstmord begangen haben. Elf dieser Fälle sind zu einem Buch zusammengefasst worden, das den Titel An Enemy Within trägt.

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Ich habe Pesant kontaktiert, um mich mit ihm über dieses Projekt zu unterhalten.

VICE: Wann hast du mit der Arbeit an An Enemy Within begonnen?
François Pesant: Ich habe im Januar 2012 angefangen, als ich aus meiner Heimatstadt Montreal nach New York gezogen bin. Ich habe an einer Story über die Erfahrungen von Veteraninnen gearbeitet, die nach den Kriegen im Irak und in Afghanistan wieder ins zivile Leben zurückkehrten. Zwei der vier Frauen, mit denen ich mich getroffen habe, haben mir erzählt, dass sie im Irak vergewaltigt wurden, ohne dass ich gefragt hätte. Das Thema war mir völlig fremd und ich war zutiefst schockiert.

Ich habe ein wenig recherchiert und einen Bericht des Pentagons gefunden, der 19.000 Vergewaltigungsfälle auflistete, die im Vorjahr stattgefunden hatten. Also beschloss ich, mit meinem Redakteur zu sprechen und den Fokus meiner Story zu ändern. Der Artikel ist im Juni 2012 in Kanada erschienen. Danach habe ich mich weiter dem Thema gewidmet, weil ich das Gefühl hatte, dass es weiter erforscht werden muss, und dann habe ich mich mit Alexandra zusammengetan, die auch Journalistin ist.

Was war bei eurer Arbeit an diesem Thema die größte Herausforderung?
All diese Geschichten zu hören. Das völlige Fehlen von Gerechtigkeit hinterlässt beim Opfer genauso tiefe Spuren wie die Vergewaltigung selbst. Im ersten Fall, den das Buch behandelt, kommt ein Vater zu Wort, dessen Tochter Selbstmord begangen hat, nachdem ein Mann sie vergewaltigt hatte. Das zeigt, das sexuelle Gewalt nicht nur den Opfern selbst schadet, sondern auch ihrem Umfeld. In einem weiteren Fall geht es um eine Frau, die von ihrem Vergewaltiger schwanger wurde und keine Abtreibung bekam. Sie spricht über ihre Beziehung zu der Tochter, die durch Vergewaltigung gezeugt wurde.

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Sind alle erwähnten Vergewaltigungen im Irak und in Afghanistan passiert?
Sie sind in der ganzen Welt passiert. Manche der Opfer waren nicht im Kriegseinsatz. Eine der Frauen wurde während ihrer Grundausbildung vergewaltigt. Eine weitere auf einem Militärstützpunkt in Portugal. Jemand anderes wurde auf einer Militärbasis in den USA vergewaltigt.

Und manche der Opfer sind auch Männer. In dem Buch gibt es Aussagen von drei Männern, die von anderen Männern vergewaltigt wurden. Es ist sehr schwierig, Männer zu finden, die gewillt sind, über eine solche Erfahrung zu sprechen.

Sind in diesen Fällen auch Vergewaltiger vor Gericht gelandet?
Einer der Täter hat ein paar Monate im Gefängnis verbracht. Dann gab es einen anderen Fall, in dem der Vergewaltiger vor Gericht kam, doch während des Prozesses sind alle Beweise verschwunden. Das Spurensicherungsset, das das Opfer eingeschickt hatte, war fort. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, wurde der Mann währenddessen auch noch befördert—ich glaube, zum Sergeant.

Jedes Jahr gibt es etwa 25.000 Vergewaltigungen im US-Militär, doch nur 3.000 davon werden jemals gemeldet. Von denen landen wiederum nur 300 vor Gericht.

Wie hat das US-Militär auf euer Projekt reagiert?
Wir haben versucht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, aber wie du dir wahrscheinlich denken kannst, hatten sie keine Lust, uns zu helfen. In der US Army ist es in Kriegszeiten die Verantwortung des Majors, Vergehen innerhalb des Militärs zu ahnden. Wenn du vergewaltigt wirst, musst du es zuerst dem Major melden, und der darf dann entscheiden, ob der Fall vor Gericht kommt, ob du dich einfach wieder an die Arbeit machen musst, oder ob du sogar gefeuert bist.

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Die völlige Ungestraftheit der Täter ist das, was den Opfern am meisten schadet. Vergewaltigt zu werden, ist schrecklich, aber wenn man dann wenigstens in irgendeiner Form Gerechtigkeit erfährt, hilft das dabei, ein Gefühl der Kontrolle zurückzuerlangen und sein Leben weiterzuleben. Doch was in Wirklichkeit oft passiert ist Folgendes: Das Opfer wird gefeuert.

Wie ist es zur Zusammenarbeit zwischen dir und Alexandra gekommen?
Als ich nach New York zog, war sie die UN-Korrespondentin für Le Monde. Sie hatte bereits mit Soldaten und Soldatinnen gearbeitet und hat mir einige Kontakte verschafft. Obwohl wir bereits seit drei Jahren an diesem Projekt arbeiten, verbringen wir manchmal Monate damit, überhaupt nach einem Fall zu suchen, an dem wir arbeiten können, weil es keine offizielle Liste von Vergewaltigungsfällen gibt.

Irgendwann habe ich einen viermonatigen Roadtrip gemacht. Wir hatten keine Mittel, also habe ich mithilfe einer Kickstarter-Kampagne Geld gesammelt. Sie hat im Vorfeld Telefoninterviews geführt und danach einen Bericht über jede Story geschrieben. Dann bin ich zu den Interviewpartnerinnen gereist und habe jeweils drei bis fünf Tage mit ihnen verbracht, ein volles Interview gemacht, Fotos geschossen und das Material an Alexandra geschickt, die alles zusammengeführt hat. Jede Geschichte ist aus der Ich-Perspektive geschrieben.

Konzentriert sich eure Arbeit auf Frauen?
Ja, das tut sie. Ich habe auch schon an Projekten über Frauen in Kanada und Indien gearbeitet. Als ich mit der Fotografie angefangen habe, waren meine Hauptthemen Menschenrechte und die Umwelt. Dabei kamen unweigerlich immer wieder Themen auf, die vor allem mit Frauen zu tun hatten.

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