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Indigener Widerstand im kolumbianischen Bürgerkrieg

Wir waren Zeuge des gewaltlosen indigenenen Widerstands im Kreuzfeuer des kolumbianischen Bürgerkrieges.

Mitglied der Guardia Indígena vor den Bergen Caucas

Es ist genau halb 1 Uhr Nachts, als die FARC Attacken starten. Erst vereinzelte Maschinengewehrsalven, dann ein, zwei Bomben. Die Erde erzittert um uns herum, schreckt uns aus dem Schlaf. Eswald, ein einfacher Bauer, der mich mit seinen drei Kindern und seiner schwangeren Frau bei sich im kleinen Haus beherbergt, steht als erster am Fenster.

Eswald

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Dann kommen wir alle zusammen, die Frau hält sich ihren Bauch, die verängstigten Kinder ihre eigenen Schultern, als würden sie sich selbst umarmen. Wir versuchen auszumachen, woher die Schüsse kommen, Eswald zeigt den Sitz der Rebellen, den des kolumbianischen Militärs und erklärt, welche Raketen verschossen werden.

Man unterhält sich in einsilbigen Sätzen über die so nahen, tödlichen, Geschosse wie über ein Gewitter, zeigt mit dem Finger ins Tal, nickt sich gegenseitig Mut zu. Das Herz schlägt im Hals, in den Augen Angst, der geraubte Schlaf.

Ein bisschen weiter  den Hügel hinunter im Dorf beginnen einige Musiker zu spielen, auch von ihnen will niemand alleine sein, auch von ihnen will niemand die Schüsse der Maschinengewehre hören. Der melancholische Gesang über das Leid und die Kraft ihrer Vorfahren vermischt sich mit den erneuten Attacken, die jetzt auch aus einem benachbarten Tal hinüberschallen.

Das bleibt den Bewohnern Tacueyos, sobald geschossen wird: sich zusammenrotten und Angst teilen. Niemand liegt entspannt im Bett, wenn Bomben fallen, wenn das eigene Haus mehrere Einschusslöcher hat, wenn Nachbarn oder Familienmitglieder im selben Ort erst vor Kurzem ihr Leben verloren haben, nur wenige Häuser weiter.

Tacueyo und die Berge Caucas

Es ist meine erste Nacht im Norden der Cauca-Region, einem der Brandherde des Bürgerkrieges zwischen den Guerillakämpfern der FARC, dem kolumbianischen Militär und paramilitärischen Gruppierungen.

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Gezielte Tötungen, Massaker und Drohungen sind hier an der Tagesordnung, auch mitten in den Friedensverhandlungen zwischen Regierung und der FARC. Der vor kurzen wiedergewählte Präsident Santos führte seinen gesamten Wahlkampf mit dem Versprechen nach baldigen Frieden, einem Versprechen, dass die Bewohner von Tacueyo voller Skepsis aufnehmen.

Ihre Realität ist seit über 50 Jahren eine andere, von den Friedensverhandlungen bekommt niemand etwas mit. Die meisten der seit 1985 statistisch erfassten 636`184 Toten des Bürgerkrieges sind Zivilisten.

Gegen die von allen Seiten ausufernde Gewalt organisieren die indigenen Stämme Widerstand. Um ihre Ziele durchzusetzen reaktivierten die Lider (Stammesführer) der indigenen Widerstandsorganisation CRIC 1971 in Tacueyo eine unbewaffnete Selbstverteidigungsgruppe, die Guardia Indígena.

Seitdem agiert diese wie eine humanitäre Eingreiftruppe: Sie patrouillieren durch die Territorien, bauen vereinzelte Kontrollpunkte auf, beobachten die Gefechte, konfrontieren die Konfliktteilnehmer und bringen die Zivilbevölkerung bei Gefahr in Sicherheit.

Guradia Indígena von Tacueyo

43 Jahre nach der Neugründung der Guardia findet in diesen Tagen in Tacueyo ein großes Treffen aller indigenen Stämme der Cauca-Region statt. Der malerisch in die Weite der grünen Berge eingebettete Ort ist für sie die Geburtsstätte des bewussten Kampfes für ihre Identität.

Ein von Beginn an gewaltloser Kampf, der alle hier mit Stolz erfüllt. Der erst 18jährige Nelson ist heute hauptverantwortlich für den Schutz aller Veranstaltungsteilnehmer.

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Er lächelt: „Mittlerweile sind wir 25 000 Guardias in ganz Kolumbien, allein 7000 in Cauca“. Er lächelt ständig, doch seine dunklen Augen sind die eines Mannes, der täglich mit Angst, Tod und Gewalt konfrontiert wird, seine kantigen Gesichtszüge lassen ihn stets etwas zu ernst wirken. In einer großen Scheune planen die von weit angereisten Lider und Mayores (Stammesältesten) mit den anderen Teilnehmern die nächsten Aktionen des unbewaffneten Widerstandes. Im Wissen darum, dass einige von ihnen ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen werden. Wie so viele vor ihnen.

Schutzzeremonie der Guardia Indígena

Doch sie wissen auch, dass sie im Kollektiv stark sind. Auf dieser Einsicht fuße die Grundidee der Guardia Indígena, erklärt Nelson: „Wir agieren nicht alleine, wir agieren durch die Gemeinschaft und das macht uns stark“.

Das Motto lautet „Guardias somos todos“ (wir alle sind Guardias) und dementsprechend setzt sich die von Nelson befehligte kleine Gruppe aus sämtlichen Altersstufen zusammen. Völlig egal ob ein 10jähriger Junge oder eine 60jährige Frau, sie alle sind bereit zum Schutz ihrer Gemeinde ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Nelsons Finger klopfen auf den mit grünem und rotem Stoff behängten baston del mando, dem Erkennungszeichen der Guardia Indígena. Der traditionelle Holzstock symbolisiert Autorität über die indigenen Territorien und ist die einzige „Waffe“ der Wächter. In einem Krieg mag das wenig erscheinen, unbewaffnete Zivilisten gegen Maschinengewehre, doch in der Tat sorgte die Guardia seit ihrem Bestehen immer wieder für Aufsehen.

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Himmel über Tacueyo

Eine der bekanntesten Aktionen fand 2012 in Toribío statt, als monatelange schwere Gefechte die Kleinstadt erschütterten. Die Guardias forderten sowohl Militär als auch Guerillas wiederholt auf, aus Rücksicht auf die Zivilisten ihre Gemeinde zu verlassen.

Doch Argumente wollte keiner hören. Tausende Mitglieder der Guardia stellten darauf vier Guerilla-Kämpfer der FARC in den Wäldern, entwaffneten diese mit bloßen Händen und verantworteten sie vor einem indigenen Gericht. Am selben Tag stürmten sie einen Stützpunkt der Regierungstruppen mitten in Toribío.

Gemeinsam trugen die Guardias die zahlenmäßig stark unterlegenen Soldaten aus ihrer Gemeinde und blockierten den Weg zurück. Die Bilder der hilflosen Soldaten, weinend aufgrund der von ihnen selbst verschossenen Tränengasgranaten, gingen um die Welt . Der kolumbianische Staat um den damals noch als Verteidigungsminister agierenden Santos und die Presse interpretierten den Vorfall als Erniedrigung der Armee und verstärkten die Militärpräsenz in der Region.

Mitglieder der Guardia

Doch viel wichtiger als die großen Aktionen ist, dass die Guardia den Menschen hier in den abgelegenen Bergen Stück für Stück ein Gefühl der Sicherheit zurückgibt. Ein Gefühl, nicht tatenlos zu sein, sich zu organisieren, zu helfen, zusammenzuhalten.

Als ich am Ende des ersten Tages nachts 10 Minuten den Berg hinauf zum Haus meines Gastgebers Eswald laufen muss, begleitet mich Nelson mit sechs Mitgliedern der Guardia. Ich weiß, dass ganz nah in den umliegenden Hügeln FARC-Kämpfer stationiert sind und obwohl meine Begleiter vor allem ältere Frauen sind und nur den baston del mando bei sich tragen, fühle ich mich sicher.

Denn diese Nacht bin ich gemeinsam mit ihnen hier, tausche ich gemeinsam mit ihnen Angst und Machtlosigkeit gegen ein kleines, so wichtiges, Sicherheitsgefühl. Nur wenige Stunden später werden FFARC-Geschosse die Stille der Nacht zerreißen, wird das Schweigen der Machtlosigkeit den Ort von Neuen einnehmen.

Fortsetzung Teil 2: Machtlosigkeit und die Suche nach Frieden