FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

„Deutschlands größter Koksdealer“ hat mich auf seinen Geburtstag eingeladen

Die Party von Ronald "Blacky" Miehling, alias der "Schneekönig", war teilweise überraschend melancholisch. Das kann auch daran gelegen haben, dass die Hälfte der Gäste am nächsten Tag zurück in den Knast musste.

Ich stehe mitten in der Nacht auf der Terrasse irgendeiner frisch renovierten Villa, eine gute halbe Stunde vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt. Schon seit einer Weile nippe ich an meinem „Ballantines Cola" und höre einem Typen in einer weißen Windjacke zu. Der Typ gibt sich alle Mühe, mir genau zu vermitteln, was man fühlt, wenn man gerade ein Abhörgerät von der Drogenfahndung in seinem Auto gefunden hat.

Anzeige

„Ich saß mit meinem Fahrer in unserem ,Safe-Car' und war dabei ein gutes Versteck für mein Handy zu suchen", erklärt er mir. „Die Batterie und Sim-Karte waren raus, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen, dass das Ding meine Gespräche nicht mitschneidet. Also schau ich hinter so einer Karosserieverkleidung am Fussraum und hab auf einmal all diese Kabel in der Hand. Ich hab sofort Panik bekommen und geflucht. Mein Fahrer so: ,Thats not from this car!' Normalerweise hat er's nicht so mit Technik, aber diesmal hatte er leider Recht. ,Because this is Sony', zeigt auf den Rekorder in meiner Hand 'and this is Volvo'."

Schließlich konnte die Drogenfahndung ihn wegen der Aufnahmen aus genau diesem Gerät mit einer 70-Kilo-Ladung Kokain verknüpfen, die gerade auf hoher See abgefangen worden war. Jetzt sitzt er gerade die vier Jahre ab, die er dafür bekommen hat—aber heute genießt er seinen Freigang. Und ich frage mich, wie viele Jahre Knast bei dieser Party insgesamt zusammenkommen.

Denn das hier ist die Geburtstagsparty vom „Schneekönig", alias Ronald „Blacky" Miehling, der alleine schon knapp 28 Jahre hinter sich hat—mit kurzen Pausen, versteht sich. Miehling ist eine Legende der Hamburger Unterwelt, einer der wenigen Deutschen, die direkt mit kolumbianischen Großdealern zusammengearbeitet haben. Jahrelang ging das gut, aber irgendwann wurde er doch erwischt. Seitdem hat er ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben und wartet jetzt auf seine bevorstehende Entlassung. Als Vorgeschmack durfte er heute Abend seinen Geburtstag in Freiheit feiern.

Anzeige

Blacky und seine Jungs habe ich letztes Jahr durch einen Zufall kennengelernt und schon damals ein langes Interview mit ihm geführt. Auch nach dem Interview hatten wir immer mal wieder Kontakt. Trotzdem war ich ziemlich überrascht, als mich vor kurzem einer seiner Mittelsmänner anrief und mir erzählte, dass Blacky zu seinem 64. Geburtstag die Erlaubnis erhielt sogar die Nacht außer Haus zu verbringen und man daher eine kleine Party in der Villa Harburg plane. Ob ich nicht mit einem Fotografen vorbeikommen wolle? Tja, dachte ich, wollte Charlie in die Schokoladenfabrik? Klar wollte ich.

Als wir Tage später im Taxi auf den großen Parkplatz rollten, türmte sich die Villa Harburg regenbogenfarben angeleuchtet vor uns auf. Es war ein schöner Anblick und eine nette Geste von seinen Freunden, vielleicht, damit Blacky sich an alte Zeiten mit dicken Villen erinnerte—und die Jahre im Knast kurz vergaß. Unser Fotograf Grey und ich waren beide extrem gespannt, was uns da drin alles erwarten würde. Vor meiner Inneren Auge sah ich kleine Oompa Loompas die mit Tabletts voll Fishscale-Kokain durch die Räume schwirrten.

Am Eingang, seitlich vom Gebäude, lächelte uns aber erstmal eine nette Osteuropäerin entgegen und holte mich zurück zu den Tatsachen. Sie drückte uns beiden einen klaren und einen roten Shot in die Hand, bevor wir weiter in den mit Stuck verzierten Raum durften—ein guter Start.

Wir gingen in den„Mainfloor", einer Art Foyer des Hauses, vorbei an einem Tisch auf dem Blacky's „Gangster Wear" drapiert war—T-Shirts auf denen „Mama Coca" oder „Der Schneekönig" zu lesen ist. Als ich mich umsah, fiel mir auf, dass die meisten Anwesenden, ähnlich wie bei einer stilsicheren 80er Jahre Straßengang, irgendeinen seiner Slogans auf ihrem Körper trugen.

Anzeige

Und dann sah ich Blacky, auf dessen Rücken ebenfalls eine goldene Krone mit dem „Schneekönig"-Schriftzug darunter prangte. Er drehte sich um und begrüßte uns zu seiner Party.

„Freut mich, dass du her gekommen bist!", rief er mit seiner rauhen Stimme. Sein Händedruck war irgendwie noch stärker als bei den letzten Treffen. Ich glaube es lag daran, dass er sich wirklich auf die Nacht gefreut hatte. „Mich freut's, dass du zu deiner Party kommen durftest!", gab ich zurück.

Blacky lachte. „Ja, bis morgen Nachmittag. 17:00 Uhr muss ich wieder zurück sein. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Jungs sich heute Nacht noch selbst einladen, um mich besser im Auge zu haben." Das war vermutlich auch der Grund, warum ich bis jetzt noch keine wandelnden Tabletts gesehen hatte.

Als ich zu seinem Geburtstag mit ihm anstoßen wollte, verneinte er und meinte, dass er unter anderem auch noch einem „strengen Alkohol Verbot" unterliegt, an dass er sich halten müsse, um den Aufenthalt in der JVA Glasmoor nicht noch unangenehmer zu machen. Aber er gab Grey und mir ein Bändchen für die Open Bar, an der sich seine Freunde zulaufen lassen konnten. Und an der Theke waren sie endlich: Haufen kleiner Zipperbags, gefüllt mit weißem Pulver, mit denen einige der Gäste bereits liebäugelten.

Einer der Typen wagte sich vor. Er schüttete sich ein bisschen in die Kuhle zwischen Daumen und Zeigefinger und zog hoch. „Und?" fragte ich ihn. Er schüttelte enttäuscht den Kopf und warf den Beutel wieder auf den Tresen. Offensichtlich hatte Blacky sich einen kleinen Scherz mit Koffeinpulver erlaubt.

Anzeige

Mich interessierte, was für Typen zu so einem Geburtstag aufkreuzten, also sah ich mich ein bisschen um. Zu jedem der vom Leben gezeichneten Gesichter schossen mir sofort Geschichten in den Kopf. Ich plauderte mit dem einen oder anderen, um herauszufinden, woher sie Blacky kannten und was für einen Hintergrund sie hatten. Da Blacky sein erwachsenes Leben eigentlich nur in zwei verschiedenen Umgebungen verbracht hatte—im kriminellen Milieu und im Knast—war es kaum verwunderlich, dass seine Gäste auch aus eben diesem Dunstkreis kamen: Anwälte, ehemalige Geschäftspartner und Knastbrüder. Einer davon war der abgehörte und bereits verurteilte Kokainhändler, mit dem ich mich ab und an draußen unterhielt.

„Ich habe Blackys Buch gelesen, als ich das erste Mal im Knast war, und ihn dann später erst viel später in echt getroffen. Ist n feiner Typ", meinte er mit leicht nördlichen Schnack.

Ein anderer, relativ junger Gast, saß mit Kettchen, T-Shirt und Kippe in einem silbernen Ledersessel und erzählte mir, dass er Blacky erst eben so richtig kennen gelernt habe. Bisher hatte er nur Legenden gehört und wollte von ihm persönlich hören, wie er es damals an die Spitze geschafft hat.

Blacky setzte sich im Mainfloor in einen Sessel vor einem riesigen Portrait von sich selbst, dass von da an über ihm thronte. Beim genaueren Hinschauen erkannte man, dass es aus vielen kleinen Plastiklöffeln und -gabeln zusammengeklebt war—Gefängnisbesteck, wie mir der Künstler Hajo Latzel erzählte. Warum in schwarz, rot und gold? Weil Blacky „Deutschlands größter Kokainhändler" sei.

Anzeige

Irgendwann war Blacky an der Reihe, eine Rede zu halten. Auf dem Sessel sitzend bedankte er sich zuerst bei allen, die zu seinem Geburtstag gekommen waren, und las dann ein oder zwei Kapitel seines bisher unveröffentlichten Buches vor. Die Kapitel handelten vom Abschnitt nach seiner Zeit als Dealer. Vom Leben im Knast, oder besser: von Einsamkeit, Unterdrückung und Alkoholschmuggel in deutschen Justizvollzugsanstalten. Die Gäste hörten ihm zu, lachten oder klatschten ab und an, wenn sie ihm bei etwas zustimmten oder Situationen aus ihrem Leben wieder erkannten.

Blacky las unter anderem eine Passage vor, in der er beschrieb, wie er Glasmoor das erste Mal verlassen durfte:

„Eine Woche war vergangen, da hatte ich meinen ersten Ausgang—ohne Bewachung. Stand nun mit meinem Ausgangsschein vor der Anstalt. Konnte es irgendwie noch gar nicht richtig realisieren. Nach all den Jahren im geschlossenen Vollzug—jetzt war ich für zehn Stunden „völlig frei". Meine Kumpels warteten schon mit einem Auto vor der Tür. Doch etwas aufgeregt betrachtete ich während der Fahrt die „Freiheit". Nichts hatte sich verändert, nur Zeit war verschwunden, war einfach weg. Verloren? Konnte das auch schmerzlich im Spiegel erkennen. Da waren viele vergangene Jahre im Gesicht zu sehen, hatten dort ihre Spuren eingebrannt."

Nach diesen letzten Worten applaudierten alle gerührt. Bevor die Party aber zu melancholisch werden konnte, legte plötzlich ein DJ ein paar Instrumentals auf, und ein Hamburger Rapper bolzte seine Reime ins Mikrofon.

Anzeige

Abseits der Tanzfläche bildeten sich kleinere Grüppchen, deren Mitglieder sich nah vornübergebeugt miteinander unterhielten. Obwohl man so was in Clubs und Bars natürlich dauernd sieht, hatte ich hier ständig das Gefühl, dass dort „Business" besprochen wurde—vielleicht ging es auch nur um Autos und Frauen.

Alle paar Minuten lief irgendjemand zur Open Bar, und so langsam wurden alle betrunkener und ausgelassener. Auch Grey und ich hielten uns ran—und irgendwann merkte ich, dass die meisten Gäste sich bereits über die geschwungenen Treppen der Villa auf den Heimweg gemacht hatten. Blacky und seine Jungs saßen bereits eine ganze Weile in einem Separee hinter der Bar und tauschten Geschichten aus.

Es war auch für uns Zeit zu gehen. Nach einer herzlichen Verabschiedung torkelten wir in ein Taxi Richtung Pauli-Kiez, wo wir noch in einer dunklen Eckkneipe versackten.

Zwei Tage später tauchte dann auch noch dieser Schnappschuss auf Blackys Facebook-Seite auf, mit der Bildunterschrift: „Post aus Kolumbien!?".

Die JVA Glasmoor reagierte prompt mit einem Urintest. Sein Statement dazu: „Für wie doof haltet Ihr mich eigentlich und wann in meinen fast 28 Knast Jahren und den circa 5 Urinproben war mal eine positiv?!"

Behalt dein Humor, Blacky, ich hoffe, dass du deinen nächsten Geburtstag in „großer Freiheit" erleben kannst.