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Der weltweit größte Werbetexter war kein Mad Man

Der Gott der Werbebranche war absolut kein Don Draper. Er war schüchtern und hat sich vor Meetings nie einen reingestellt.

Die meisten von euch haben wahrscheinlich noch nie von ihm gehört. Anders als George Lois hat er nie damit gedroht, aus einem Bürofenster zu springen, wenn ein Kunde seine Anzeige nicht kaufen wollte, und er hat sich auch nicht die berühmte Schlagzeile von Jerry Della Femina, der für die Serie Mad Men Pate stand, „From those wonderful folks who gave you Pearl Harbour“ für eine Panasonic-Kampagne vorgeschlagen.

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Er ist ein Pfarrerssohn aus dem Mittleren Westen. Als Werbetexter war er schüchtern, nicht überheblich. Vor Kundenpräsentationen musste er sich übergeben—nicht wie Don Draper aufgrund von Alkohol, sondern aus Angst. Aus Angst, dass sein neuer Kunde nicht die Eier haben würde, seine Anzeigen zu kaufen. Für ihn ging es in der Werbung immer nur um eins: um Arbeit. Alles andere war ihm gleichgültig.

Wenn man im Internet sucht, findet man nicht viel über Tom McElligott. Er gab nur wenige Interviews und hat keine Wikipedia-Seite. Fallon McElligott Rice, seine erste Agentur in Minneapolis, machte sich in den Prä-Internet-Jahren 1981 bis 1988 einen Namen—und zur Zeit der Megafusionen, in der große Madison-Avenue-Agenturen andere große Madison-Avenue-Agenturen schluckten. Es war eine Entwicklung, die den Großteil der Kreativität und des Geistes der Werbebranche für immer zerstörte.

Mitte der 80er habe ich Seminare über Werbekonzepte an der New Yorker School of Visual Arts belegt und dadurch Zugang zu den Jahrbüchern der One Show gehabt. Die One Show verlieh damals den höchstrangigen amerikanischen Preis für Werbung, was sich wahrscheinlich bis heute nicht geändert hat. Damals waren die Jahrbücher im Grunde Jahrbücher für Fallon McElligott Rice. So gut waren sie.

Die Filzwände meiner ersten Arbeitskabine in einer Werbeagentur habe ich mit eben diesen Anzeigen von McElligott zugepflastert (einige von ihnen siehe unten), die ich ebenso sorgfältig wie egoistisch aus den Jahrbüchern herausschnitten hatte. Daneben klebte ich dieses Zitat von McElligott:

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„Ich würde die Intelligenz des Konsumenten eher überschätzen als unterschätzen.“

Von seinem freundlichen Gesicht solltest du dich nicht in die Irre führen lassen. McElligott war immer der klügste Mann im Präsentationsraum und ein erbarmungsloser Spekulant, wenn es um den Verkauf seiner Arbeit ging. Einen Eindruck von dieser Hartnäckigkeit bekommt man in einem Interview des Wirtschaftsmagazins Inc. aus dem Jahr 1986 (hier bestätigen sich auch die Geschichten über sein Erbrechen, die ich an der School for Visual Arts gehört habe). Der Journalist versuchte immer wieder, McElligotts Weltbild zu erschüttern—und musste schließlich aufgeben.

1988 verließ McElligott seine eigene Agentur, weil er offenbar unzufrieden mit der künstlerischen Leitung war. (Die Agentur, die er mit dem Account-Manager Pat Fallon ins Leben rief, gehört heute Publicis und hat nichtmal seinen Namen auf der Tür.) Er arbeitete eine kurze Zeit für Chiat\Day. 1991 wurde er in die Hall of Fame des One Club gewählt. Noch im selben Jahr gründete er in Minneapolis ein weiteres Unternehmen: McElligott Wright Morrison White, das jedoch bald scheiterte—vor allem aufgrund des Endes des kompetitiven Geistes, der die Werbebranche der 1980er geprägt und McElligotts Erfolg bedingt hatte. 1993 zog er sich noch vor seinem 50. Lebensjahr aus der Werbebranche zurück.

Hier ist ein Ausschnitt aus einem Interview, das er einem Werbestudent gab, nachdem er in den Ruhestand getreten war:

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„Lass dich nicht ablenken. Was zählt, ist Arbeit. Es gibt viele Dinge, die dir in die Quere kommen können, die deine Zeit und deine emotionale und intellektuelle Energie in Anspruch nehmen. Nichts davon zählt. Es bedeutet nichts. Das Einzige, das in diesem Stadium wirklich zählt, ist Arbeit. Arbeit ist alles. In meinen Jahren in der Werbung habe ich furchtbar viele Leute mit Potenzial gesehen, die durch Ablenkungen, Politik, Angst und die Frage, wer das größere Büro hat, viele Möglichkeiten verspielt haben. Du wirst das größere Büro bekommen. Du wirst Geld verdienen. Es wird alles so kommen, wie du es willst, aber manchen fällt es schwer, das mittendrin zu erkennen. Mittendrin scheint alles unglaublich kompliziert zu sein. Aber es ist überhaupt nicht kompliziert. Im Grunde ist es verblüffend unkompliziert. Alles, worum es geht, ist Arbeit. Wenn du arbeitest, werden die Leute es merken und du wirst bekommen, was du willst. Das ist alles. So einfach ist es.“

Dies gilt natürlich nicht nur beim Entwerfen von Anzeigen. Aber kommen wir nun zum Meisterkurs im Werbetexten.

Die berühmteste und wahrscheinlich erfolgreichste Kampagne von McElligott waren die „Perception/Reality“-Business-to-business-Printanzeigen für den

Die Anzeigen wurden in Marketing-Zeitschriften wie Ad Age platziert, um die Vorstellung der Medien zu ändern, dass es sich bei Rolling Stone-Lesern um stinkende, BH-verbrennende Hippies ohne Geld handele. Dabei verwendete McElligott sogar Duftkarten (es sei deiner Vorstellung überlassen, welche zwei Düfte er genommen hat).

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Was meinen selbstherrlichen Arsch betrifft, bin ich davon überzeugt, dass dies die beste Business-to-business-Kampagne der Welt ist. Die Idee, Vorstellung und Realität gegenüberzustellen, wurde in den letzten 35 Jahren bis zum Abwinken und mit weniger Erfolg wiederholt. Wenn du wissen willst, wie erfolgreich die Kampagne war, frag den Rolling Stones-Gründer Jann Wenner, wie stark seine Werbeeinnahmen gestiegen sind.

Diese Hush-Puppies-Kampagne ist der feuchte Traum eines jeden Kunden: Der Name des Produkts in jeder Headline, Aufnahmen des Produkts in jedem Layout. Gleichzeitig waren die Anzeigen witzig und enthielten das süßeste Markenmaskottchen der Welt. Gab es jemals eine bessere Werbekampagne für einen Schuh? Die für Nike in den 1990ern, von Wieden+Kennedy. Das war’s aber auch schon.

Zwei geniale öffentliche Anzeigen für sehr verschiedene Kunden. Links: ein Zitat von Stevie Wonder, das witzig, einprägsam und verdammt wirkungsvoll ist. Unter dem Bild steht: „Driving after drinking, or riding with a driver who’s been drinking, is a big mistake. Anybody can see that.“ Rechts: eine unanfechtbare Wahrheit für den amerikanischen Verband der Werbeagenturen (AAAA).

Mitte der 80er hat McElligott ein Whiskey-Unternehmen als Kunden an Land gezogen—ohne Budget für die Produktion. Kein Problem, wenn du ein verdammt gutes Konzept hast, einen großen Einfall. Diese Werbung weckt das dringende Bedürfnis, in die nächste Bar zu laufen. Und das mit Hilfe von Archivfotos. Genial.

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Die Episkopalkirche war einer der ersten Kunden von McElligott. Das hier ist die beste Anzeige, die jemals für eine Kirche geschrieben wurde. Punkt.

In den Anzeigen der 1980er verwendete die Tierrechtsorganisation PETA noch ihren vollständigen Namen. Die Anzeigen waren damals noch nicht der sexistische Müll von heute. Schockbilder in Bekanntmachungen zu verwenden, ist nicht immer sinnvoll, aber in Verbindung mit dem Text kann es funktionieren. Wie auch immer du zu Tierversuchen stehst—du kannst mir nicht erzählen, dass diese Anzeigen keine Wirkung auf dich haben.

Falls du dich fragst, was mit Fernsehwerbung ist—die hat McElligott auch gemacht, gut sogar. Aber nicht viele Fernsehspots sind online. Eine Ausnahme ist die Werbung für Penn-Tennisbälle. McElligott nimmt das Klischee der langweiligen Produktvorführung und stellt es in hysterischer Weise auf den Kopf (nimm ihm die Lachspur nicht übel). Diese Anzeige würde heute nirgendwo mehr durchgehen. „Kennst du eine, kennst du alle“—ein perfekter Slogan.

Zeitsprung zur Werbebranche im Jahr 2014. Der große Werbetexter ist tot und begraben. Er atmete schon schwer, als McElligott die Branche verließ, doch vor zehn Jahren fiel er tot um. Heute ist jeder ein „Kreativer“ (sogar diejenigen, der den furchtbaren „Native Advertising“-Müll „kreiert“ haben), und Kreative kreieren „Content“. Es ist ein glücklicher kleiner „NO HATERZ“-Kumbaya-Betrieb, der in Brainstormings etwas zusammenschraubt, das entfernt an Anzeigen erinnert. Zweiköpfige Teams aus Werbetextern und Art Directors—der einzige Weg, große Werbung zu schaffen—gibt es heutzutage nicht mehr.

Die obige Sammlung stellt nur ein paar Bruchteile aus McElligotts großen Werbeanzeigen dar. Dave Dye hat alle im Internet auffindbaren Printanzeigen von Fallon McElligott Rice zusammengestellt. Wenn du im Kreativbereich tätig bist, schau dir diese Anzeigen an, ganz besonders, wenn du einer von diesen Vollidioten  bist, die etwas mit Social Media zu tun haben. Hier und jetzt.

@copyranter