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Der olympische Fackellauf ist eine Erfindung von Joseph Goebbels

Beim aller ersten olympischen Fackellauf 1936, kam es in Wien zu massiven Ausschreitungen zwischen Nazis und Sozialisten.
Foto: WikiWissen

Als am 1. August 1936 die Olympischen Sommerspiele in Berlin eröffnet wurden, wurde damit gleichzeitig der Meilenstein für die sportliche Großveranstaltung gelegt, wie wir sie heute kennen. Nie zuvor gab es Spiele in einer solchen Dimension, nie zuvor so viele Teilnehmer, nie zuvor wurde das Sportereignis von so vielen Menschen verfolgt.

Drei Jahre lang wurde in Berlin die damals größte olympische Sportstätte der Welt errichtet und ein geheimes Trainingsprogramm für die Athleten des Deutschen Reichs entwickelt. Die Spiele sollten eine Machdemonstration der Nationalsozialisten werden und die vermeintliche Überlegenheit der "deutschen Herrenrasse" beweisen.

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Das Olympiastadion in Berlin während den Olympischen Spielen 1936. Foto: Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0 AT

Um Bedenken bezüglich antisemitischer Übergriffe und Äußerungen während der Olympischen Spiele aus der Welt zu schaffen und eine stärker werdende Boykottbewegung in den USA zu schwächen, willigte Adolf Hitler nach langem Hin-und-Her schließlich in die Forderung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nach einem "Quoten-Juden" unter den deutschen Sportlern ein. Er berief Helene Mayer, eine deutsch-amerikanische Fechterin mit jüdischen Wurzeln, in das deutsche Team.

Gleichzeitig wartete Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels mit einer ebenso kühnen wie perfiden Idee des deutschen Sportfunktionärs Carl Diem auf: Um den "Friedenswillen" des Deutschen Reichs zu demonstrieren, sollte in pseudohellenistischer Tradition ein Fackellauf quer durch Europa stattfinden.

Noch heute wird der mittlerweile traditionelle olympische Fackellauf vom IOC als "völkerverbindend" bezeichnet—obwohl schon der Weg der ersten, von Hitlers Waffenschmiede Krupp gefertigten, olympischen Fackel zum Spießrutenlauf wurde. Denn so alt wie die Idee der Nazis ist auch der Protest dagegen.

Nicht nur heuer haben bereits mehrfach Menschen versucht, die olympische Fackel aus Protest gegen die Spiele zu löschen. So nutzten zum Beispiel im Jahr 2000 Aborigines den Fackellauf, um gegen Diskriminierung zu protestieren. 2006 versuchten dann Globalisierungsgegner vor den Olympischen Winterspielen in Turin, die Flamme zu löschen. Auch der Fackellauf 2008 nach Peking war von internationalen Protesten begleitet. Und 2010 kam es zu teils gewalttätigen Protesten gegen die Winterspiele in Kanada. Auch gegen die Spiele 2014 in Sotschi gab es weltweit Demonstrationen.

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Doch auch 1936 kam es schon während des von den Nazis minutiös geplanten Fackellaufes zu Protesten und teils schweren Auseinandersetzungen. In Griechenland wurde die Olympiade im Volksmund nur noch als "Hitleriade" bezeichnet und griechische Kommunisten versuchten, die Fackel zu löschen. Auch in Jugoslawien und der Tschechoslowakei kam es zu Demonstrationen gegen den Fackellauf. In Prag gelang es Gegnern des NS-Regimes schließlich, die Fackel zu löschen.

Doch nirgendwo sorgte der olympische Fackellauf für mehr Aufmerksamkeit, als in Wien, wo die Fackel am Abend des 29. Juli 1936 eintraf. "Die Regierung hatte für diesen Tag große Feierlichkeiten […] angesagt, und die Nazi benützten diesen Umstand, um gegen die Regierung […] mit Sprechchören, Beschimpfungen und Liedern zu demonstrieren", schrieb die sozialistische Arbeiter Zeitung, die als eine der wenigen österreichischen Medien von den Vorkommnissen in Wien berichtete.

Der olympische Umzug in Wien. Foto: Wiener Bilder, 02.08.1936

In der Arbeiter Zeitung findet sich auch ein Augenzeugenbericht, der die Geschehnisse detailreich schildert. Schon am Vormittag des 29. Juli 1936 soll es in Wien Gerüchte über Demonstrationen gegeben haben, die für den Abend geplant waren. "Die Nazi hatten ihre Hauptkräfte auf den Ring und den Heldenplatz konzentriert. Sie hatten von den 60.000 Eintrittskarten einen Großteil aufgekauft und überall geschlossene Stoßtrupps und Sprechchöre verteilt", schreibt der Augenzeuge in der Arbeiter Zeitung.

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Tatsächlich kam es schon während des olympischen Umzuges am Ring zu ersten Aktionen der (in Österreich damals noch illegalen) Nationalsozialisten. Eine riesige Hakenkreuzfahne wurde mittels eines Böllers in die Luft geschossen und gleitete schließlich an einem kleinen Fallschirm über die Köpfe der Schaulustigen. "Mit ungeheurem Gebrüll wurde sie begrüßt", hieß es später in der Arbeiter Zeitung.

Gleichzeitig stimmten die in der Menge verteilten Gruppen von Nazis das Horst-Wessel-Lied an, riefen "Österreich erwache—Sieg und Rache", "Juden hinaus" und "Heil Hitler". Während die 1300 Mann vom Deutschen Turnerbund, einer deutschnationalen Bewegung in Österreich, jubelnd empfangen wurden, wurden nazifeindliche Verbände wie die Heimwehr oder der Reichsbund ausgebuht.

In der Heinestraße wurde ein alter Jude überfallen, geschlagen und ihm seine Barthaare ausgerissen.

Die Aktionen der Nationalsozialisten am Ring und dem Heldenplatz konnten erst durch das Eingreifen der Polizei beendet werden. "Unter ungeheurem Pfuigeschrei und einem wütenden Pfeifkonzert wurden nun von der Polizeikavallerie Attacken gegen die Menge geritten und solange mit dem Gummiknüttel dreingeschlagen, bis der Heldenplatz, der Ehrenfestplatz, von den Ehrengästen gesäubert war", schildert der Augenzeuge den Polizeieinsatz in der Arbeiter Zeitung. "Nach der Polizei trat die Rettungsgesellschaft in Aktion und schleppte dutzendweise die Verletzten auf Tragbaren weg."

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Trotz des massiven Polizeieinsatzes kam es in der Nacht noch zu weiteren Aktionen der Nationalsozialisten. Mit der Hand zum Hitlergruß erhoben und Parolen skandierend marschierten hunderte Nazis durch die Operngasse zum Getreidemarkt. Im Café Museum wurden Gäste attackiert, Stühle und Tische zerstört und auch das Café Orient in der Praterstraße wurde angegriffen.

Ebenfalls in der Praterstraße wurde der (nicht jüdische) Portier des Jüdischen Theaters misshandelt und in der Heinestraße wurde ein "alter Jude überfallen, geschlagen und ihm seine Barthaare ausgerissen", wie die Arbeiter Zeitung berichtete.

Die olympische Fackel wird an der ungarischen Grenze bei Kittsee von einer österreichischen Delegation in Empfang genommen. Foto: Wiener Bilder, 02.08.1936

Schließlich kam es auch noch zu Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Linken: Revolutionäre Sozialisten hatten bereits am frühen Morgen damit begonnen, in ganz Wien vier Millionen rote Zettelchen mit drei goldenen Pfeilen gegen Faschismus, Kapitalismus und Reaktion zu verteilen. "Stellenweise watete man förmlich in der roten Flut", schrieb die Arbeiter Zeitung.

Außerdem ließen die Sozialisten hinter den Mauern des Zentralfriedhofs rote Luftballone mit der Aufschrift "Freiheit" steigen und entzündeten am Gaußplatz ein rotes Magnesiumfeuer. Immer wieder gab es dabei kleine Scharmützel mit Nationalsozialisten und der Polizei. Am Floridsdorfer Spitz eskalierte die Lage schließlich, als sich dutzende Nazis und Linke eine wüste Schlägerei lieferten, die erst durch die Polizei gestoppt werden konnte. Mehrere Leute wurden verhaftet.

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Siegerehrung im Modernen Fünfkampf bei der Olympiade 1936. Foto: Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0 AT

Für Hitler waren die Aktionen seiner durch die Olympischen Spiele beflügelten Kameraden in Österreich alles andere als vorteilhaft. Erst im sogenannten Juliabkommen hatte sich Österreich mit dem Deutschen Reich darauf geeinigt, inhaftierte Angehörige der illegalen NSDAP zu amnestieren. Deshalb ließ das deutsche Propagandaministerium als Reaktion auf die Ausschreitungen in Wien verbreiten, dass die Demonstranten "schon nach ihrem Aussehen jüdisch-marxistischen Kreisen angehören dürften" und nur als Tarnung nationalsozialistische "Kampfrufe" verwendet hätten.

Dem IOC waren die Proteste gegen den Fackellauf in Griechenland, Jugoslawien und der Tschechoslowakei ebenso gleichgültig wie die Nazi-Aktionen in Wien und der offen vorherrschende Antisemitismus im Deutschen Reich.

Und auch dieses Jahr wurden die Proteste gegen Ausbeutung, Sklaverei, Korruption und Zwangsräumungen in Brasilien—wie schon in Sydney, Peking, Vancouver, und Sotschi—vom IOC gekonnt ignoriert. Glanzvoll verlief die Eröffnung in Rio. Glanzvoll verlief auch die Eröffnung in Berlin. Und während die Olympischen Spiele 1936 noch liefen, notierte Goebbels in sein Tagebuch: "Nach der Olympiade werden wir rabiat. Dann wird geschossen."

Paul auf Twitter: @gewitterland


Titelfoto: WikiWissen | CC BY-SA 3.0 DE