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LGBT-Teens in den USA: Mehr als 40% hatten schon mal Suizidgedanken

In Bezug auf fast alle Aspekte des persönlichen Wohlbefindens schneiden homo- und bisexuelle Schüler in einer Umfrage schlechter ab als die anderen Befragten.

Illustration: Kitron Neuschatz

Am 12. August veröffentlichte die US-amerikanische Behörde Centers for Disease Control and Prevention die Ergebnisse des 2015er "Youth Risk Behavior Surveillance Survey" (YRBS). Dabei handelt es sich um eine alle zwei Jahre durchgeführte Umfrage, mit der man das allgemeine Wohlbefinden von Schülern analysieren will. Dieses Mal gab es jedoch ein Novum: Man hat den Bundesstaaten und Schulen die Option offengelassen, auch Fragen zur Sexualität zu stellen. Das haben dann 25 Staaten und 19 große Schulen tatsächlich auch gemacht. So stellt die Umfrage auch die erste repräsentative Erfassung der Gesundheit der US-amerikanischen LGB-Jugend dar.

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Wie zu erwarten war, sind die Ergebnisse ziemlich niederschmetternd. In Bezug auf fast alle Aspekte des persönlichen Wohlbefindens schneiden die LGB-Schüler schlechter ab als die anderen Befragten. So gaben zum Beispiel 23 Prozent an, während einer Beziehung schon mal Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein. Bezüglich körperlicher Gewalt liegt dieser Wert bei 18 Prozent. Zum Vergleich: Bei heterosexuellen Schülern sind es 9 bzw. 8 Prozent. Mehr als 10 Prozent der LGB-Schüler sagten außerdem, dass sie im vorangegangenen Monat aus Angst mindestens einmal nicht zur Schule gegangen waren.

Am schockierendsten sind jedoch die Daten, die sich auf das Thema Selbstmord beziehen: 29,4 Prozent der LGB-Schüler versuchten, sich im Jahr 2015 umzubringen. Das sind fast fünf Mal so viele wie bei den heterosexuellen Jugendlichen. Und 42,8 Prozent haben zumindest über Suizid nachgedacht.

"Diesen Trend konnten wir bereits in mehreren kleineren Studien beobachten. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass homo- oder bisexuelle Jugendliche viel öfter mit einem schlechten Wohlbefinden zu kämpfen haben als gleichaltrige Heterosexuelle", erklärt Kristin Holland, eine Gesundheitsforscherin in der Gewaltpräventionsabteilung von CDC. "Die landesweiten Daten unterstützten diese Aussage nur noch weiter."

"Die Youth Risk Behavior Surveillance Survey zeichnet uns hier ein Bild der Ausgrenzung in allen Lebensaspekten von LGB-Schülern", sagt Dr. Ann P. Haas, eine Beraterin der American Foundation for Suicide Prevention. "Es dreht sich hier vor allem um die besagte Ausgrenzung—sowohl in Bezug auf das innere Selbstgefühl dieser Jugendlichen als auch auf deren Behandlung durch ihr Umfeld. Bei anderen Gruppen stellen wir in Bezug auf Suizid immer eine psychologische und emotionale Komponente fest. Diese Komponente ist hier sogar noch deutlicher."

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Manchen Leuten zeigen die Ergebnisse ganz neue Dinge auf, während sich andere in ihren Annahmen nur bestätigt sehen. Das Ganze wirft aber auch eine Reihe an alarmierenden Fragen auf, die sich darauf beziehen, dass wir das komplette Spektrum der Gesundheitsrisiken von LGBT-Menschen immer noch nicht ganz verstehen.

Zwar ist die Youth Risk Behavior Surveillance Survey die erste landesweite Umfrage dieser Art, aber sie enthält auch eine eingeschränkte Zusammenstellung von bundesstaatlichen und örtlichen Studien, die man mit verschiedenen Datenerfassungs- und Analyse-Methoden durchführte. Das verzerrt, wie die Regierung sexuelle Minderheiten evaluiert. CDC wollte uns leider auch nicht verraten, welche US-Bundesstaaten sich geweigert haben, den Schülern die Fragen zur Sexualität zu stellen, und warum. Und die neben dem YRBS bestehenden Datenerfassungen zum Thema LGBT-Selbstmord und -Gesundheit wirken doch recht planlos.

Zwar erfasst die aktuelle Studie die Selbstmordgedanken und -versuche von LGB-Jugendlichen, aber die CDC-Behörde kann dennoch nur wenige Fakten zur tatsächlichen LGBT-Suizidrate vorweisen. Das hat einen einfachen Grund: Auf Sterbeurkunden steht nur ganz selten die sexuelle Orientierung der Toten. Dazu kommt dann noch, dass man beim Youth Risk Behavior Surveillance Survey (auch bei der kommenden 2017er Version) keine Informationen zur Gender-Orientierung erfasst. Das bedeutet, dass Transgender (bei denen laut AFSP 41 Prozent schon mal einen Selbstmordversuch unternommen haben) für die CDC-Mitarbeiter quasi unsichtbar sind. Die New York Times berichtet allerdings, dass eine Frage zur Gender-Identität im YRBS schon 2017 testweise an den Start gehen soll.

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"Soweit wir das beurteilen können, sind diese erschreckenden Zustände heutzutage scheinbar immer noch genauso wahrscheinlich und präsent wie damals in 70ern."

Die genauesten Aufzeichnungen des CDCs in Bezug auf die Selbstmordrate von LGBT-Jugendlichen stammen aus dem sogenannten "National Violent Death Reporting System" (NVDRS). Dieses System sammelt Daten zu gewaltsamen Todesfällen in 32 US-Bundesstaaten. Im Laufe der kommenden Jahre will man laut Holland aber alle 50 Staaten mit einbeziehen. Dabei muss sich das NVDRS jedoch auf die Akten von Gerichtsmedizinern und der Polizei verlassen. Und das bedeutet, dass die sexuelle Orientierung oder die Gender-Identität nicht konsistent oder einheitlich erkennbar sind. Stattdessen stehen den Forschern nur von Strafvollzugsbeamten durchgeführte, psychologische "Autopsien" zur Verfügung, die auf verschiedenen Vorgehensweisen und auf der Einstellung der Beamten zu marginalisierten Bevölkerungsgruppen basieren.

"Das NVDRS sammelt seine Daten mithilfe der Berichte von Gerichtsmedizinern und Polizeibeamten", meint Holland. "Wenn ein Polizist Befragungen durchführt, um die Todesumstände besser zu verstehen, dann sprechen sie dabei meistens mit nahestehenden Verwandten, Bekannten und Nachbarn des Opfers. Das bedeutet leider auch, dass wir in unserer qualitativen Analyse nur auf das Wissen dieser Leute sowie deren Aussagen gegenüber der Polizei zurückgreifen können."

Die Eingeschränktheit dieser Daten macht die Arbeit von Beamten und Forschern im Bereich der öffentlichen Gesundheit recht kompliziert. Dabei liegt es gerade einigen dieser Menschen sehr am Herzen, dass man solche LGBTQ-Selbstmorde angemessen bearbeitet. Haas hat 2011 zum Beispiel an einer Studie des Journal of Homosexuality mitgearbeitet, bei der man herausfand, dass LGBT-Menschen ihr ganzes Leben lang anfälliger für Angststörungen, Stimmungsschwankungen und psychische Krankheiten sind. Ohne eine sorgfältige Datenerfassung von Seiten der Gesundheitsbehörden ist Selbstmord als lebenslanges Problem in den marginalisierten Bevölkerungsgruppen ein nur schwer zu erkennendes Muster. Und man kann so auch nicht wirklich verstehen, wie sich negative Einstellungen zur Homosexualität bis zu den Schulhöfen durchziehen können.

"Ich wünschte, es gäbe eine Längsschnittstudie, auf die wir uns hier beziehen könnten", sagt Haast. "Eine Zeit lang gingen Forscher auch davon aus, dass sich das kulturelle Klima verbesserte und Mitglieder der LGBT-Community nicht mehr mit den gleichen Einschränkungen und diskriminierenden Meinungen zu kämpfen hatten. Wir erwarteten, dass solche erschreckenden Zustände zurückgehen würden. Es ist schon erstaunlich, dass es nicht so eingetreten ist. Soweit wir das beurteilen können, sind diese Zustände heutzutage scheinbar immer noch genauso wahrscheinlich und präsent wie damals in 70ern. Genau sagen kann man das jedoch nicht."

Letztendlich braucht es eine verständliche und tatsächlich landesweite Datenerfassung, um das wahre Ausmaß der LGBT-Selbstmordrate in unserer sich ständig verändernden Gesellschaft erkennen zu können. "Ob das Leben jetzt besser oder schlechter ist als früher, hängt ganz davon ab, wo man sich befindet", meint David Bond vom Trevor Project, einer Organisation zur Selbstmord-Prävention bei homosexuellen Jugendlichen. So weist er auch darauf hin, dass man in vielen US-Bundesstaaten sogar mehr Anti-LGBT-Gesetze verabschiedet hat, seitdem die Homo-Ehe dank einer letztjährigen Entscheidung des Supreme Courts dort legal ist. "Wenn man als homosexueller Mensch in einer urbanen Gegend lebt, dann ist die Situation für einen besser geworden. Dort ist die Akzeptanz nämlich auf dem Vormarsch und es gibt immer mehr schützende Maßnahmen. In abgelegenen und konservativen Gegenden ist das jedoch nicht immer der Fall."

Indem sie Schulen und Kommunalverwaltungen dazu auffordern, LGBT-integrierende Maßnahmen zu treffen und Selbstmord-Präventionsprogramme ins Leben zu rufen, tun Lokalpolitiker und Organisationen wie eben das Trevor Project viel dafür, um das Leben von homosexuellen Jugendlichen zu erleichtern. So lange sich die Datenerfassung der CDC und anderer Behörden jedoch nicht verbessert, bleibt erstmal abzuwarten, ob die verstärkte Akzeptanz von LGBT-Menschen auch genau dort greift, wo sie am ehesten greifen muss—nämlich auf den Schulhöfen und abseits der Großstädte.