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Der SVP-Chefwerber hat uns erklärt, wie Politik funktioniert

Alexander Segert und seine Agentur GOAL haben unter anderem die Minarett-Plakate, das Minarett-Game, die Plakate mit den Schwarzen Schafen und die mit den Masseneinwanderungsstiefeln gemacht.
Alle Fotos von Claude Hurni

Als erstes fragte mich Alexander Segert, wie ich denn auf ihn gekommen sei. Eine Frage, die man selten hört, wenn man Leute interviewt. Meistens halten sich Menschen, die man zu Interviews trifft, selbst für wichtig genug. Das galt auch für alle SVPler, mit denen ich bisher (auf offiziellen Wegen) zu tun hatte. Egal, ob Herr Segert damit nur kokettieren wollte oder nicht: Seine Frage scheint absurd, denn Produkte aus der Agentur GOAL haben schon recht viel mit mir gemacht und mich während meinem ganzen Leben begleitet.

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In den letzten acht Jahren gehörten etwa die Raketen-Minarette, die aus der Schweiz ragen, die Schöfli-Plakate und die Masseneinwanderungsstiefel dazu. Und natürlich habe ich mich über diese Plakate aufgeregt, war teilweise sogar bedrückt, weil ich sie jeden Tag überall sehen musste. Aber ich nahm sie wahr und das auch sehr bewusst. Das gebe ich einerseits ungern zu, weil ich damit anerkenne, dass die aggressiven Plakate von Herrn Segert und der Agentur GOAL funktionieren. Andererseits gebe ich das natürlich gerne zu, denn der Kontrast ist so gross: Alexander Segert ist ein sehr sympathischer Gesprächspartner.

VICE: Wer leistet sich eine Kampagne bei der Agentur GOAL?
Alexander Segert: Das ist kunterbunt. Den grössten Anteil machen Verbände aus: EconomieSuisse, der Hauseigentümerverband, kantonale Gewerbeverbände. Für den Schweizer Gewerbeverband dürfen wir jetzt die Kampagne gegen die neue Billag-Mediensteuer führen. Dann auch eher linke Nonprofit-Organisationen. Ebenso auch kleinere Kampagnen für alle Bürgerlichen bis hin zur GLP. In der Parteipolitik vor allem seit über 40 Jahren für die SVP. In Österreich haben wir sehr erfolgreich für die FPÖ gearbeitet, in Deutschland machen wir ab und zu Sachen für eine Regierungspartei.

Alle Bilder von Claude Hurni

Ab welchem Betrag gibt es bei Ihnen denn eine Kampagne?
Auch Einzelkandidaten können sich uns leisten. Klar machen wir die grossen nationalen Kampagnen, aber es gibt auch was für's kleine Budget, so ab 2.000, 3.000 Franken können wir was auf die Beine stellen. Wir bieten unseren Kunden vor allem sehr viel Gedankenarbeit. Meiner Meinung nach trennt sich da die Spreu vom Weizen: Gute Kampagnen sind gut durchdacht, unabhängig davon, ob viel oder wenig Geld da ist.

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Also könnte sich auch ein Eric Weber GOAL-Unterstützung leisten.

Wie weit geht denn Ihre Arbeit? Kommt zum Beispiel auch ein Filippo Leutenegger zu Ihnen und fragt, ob es gut für ihn ist, wenn er mit seiner Vespa rumfährt?
Das gehört auch dazu. Jetzt dürfen wir die Ständeratskandidatur für Hans-Ueli Vogt machen. Da stellen sich Fragen wie: Wie positionieren wir den Kandidaten? Ländlich? Urban? Weltoffen? Was passt zum Kandidaten? Was ist die Zielgruppe, was spricht sie an, wie haben wir die grössten Wahlchancen? Da bekommt man schon ein relativ genaues Bild, ob es sinnvoll ist, mit der Vespa zu fahren—oder vielleicht an eine Party zu gehen.

Ist auch die Frisur ein Thema?
Mit Bart, ohne Bart, mit Krawatte, ohne Krawatte. Helle Farben, dunkle Farben. Das gehört alles dazu. Da machen wir Komplettbetreuung. Ebenso auch das Wording: Wie rede ich, was rede ich, mit wem rede ich.

Hans-Ueli Vogt ist schwul, Städter und Uniprofessor. Er ist kein typischer SVP-Bauer. Verändert sich das Personal der SVP?
Ich würde sagen, nicht gross. Man darf nicht vergessen, dass die SVP eine unglaublich offene Partei ist. Das klingt vielleicht komisch, aber wir als Werbeagentur können das sagen. Wir durften für die SVP Sachen machen, die keine Agentur für Kunden machen konnte. Die SVP ist immer auf der Suche nach neuen Wegen, neuen Geschichten und deshalb passt die Kandidatur von Hans-Ueli Vogt, denn er ist ein neuer Typ. Nicht wie etwa Toni Brunner, der Bauer ist und gerne einen Jass klopft. Es geht der SVP vor allem um gute Leistung, gute Performance: Vertritt der Kandidat die Themen der Partei, spricht er die Wähler an? Wenn Hans-Ueli Vogt jetzt homosexuell ist und in der Stadt wohnt, ist das kein Problem. Hauptsache ist, dass er eine gute Performance hat.

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Heute prägen Politserien wie Borgen oder House of Cards das Bild von Politik als Game. Hat die SVP dieses Spiel besser verstanden als andere Parteien?
Ich glaube, dass die anderen Parteien Mühe haben, so strategisch zu denken wie die SVP und so offen zu sein wie diese. Andere Parteien, wie die SP, sind dazu zu bieder. Sie machen seit hundert Jahren, was sie schon hundert Jahre lang machen und das sieht man an den mageren Wahlerfolgen. Die SP müsste angesichts der sozialen Fragen, die wir im Moment haben, bei 35 Prozent Wähleranteil liegen.

Gibt es eine linke Kampagne der letzten fünf Jahre, die Ihnen geblieben ist?
Nee … Das ist das Tragische. Man kann nicht mal sagen, sie sind grottenschlecht. Sie sind einfach fad. Es tut mir ja leid, ich würde gerne was Gutes sagen, aber Wahrnehmung funktioniert halt so: Uns bleiben vor allem auffallende Dinge, pointierte Kampagnen in Erinnerung und nicht der Einheitsbrei. Wenn man sich wahnsinnig über etwas aufregt, hat man sich wenigstens darüber aufgeregt.

So funktionieren bekanntlich viele SVP-Kampagnen.
Genau, wobei immer das Thema im Mittelpunkt stehen muss. Bei Ihrer Arbeit für VICE ist es ja gleich. Wenn Sie „Mein schönstes Ferienerlebnis" schreiben, klickt niemand drauf. Das ist das Problem der linken Parteien.

Es gab in letzter Zeit aber auch provokative linke Initiativen wie die Abschaffung der Pauschalbesteuerung oder die 1:12-Initiative.
Die Linke hat diese Neid-Bewirtschaftung gut gemacht. Das machen sie jetzt seit fünf, sechs Jahren. Das finde ich sehr interessant, aber es ist der Linken nicht gelungen, Mehrheiten zu schaffen. Alle Initiativen wurden erschreckend hoch abgeschmettert.

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Würden Sie eine Kampagne für den Gewerkschaftsbund machen?
Wir haben keine Scheuklappen—grundsätzlich sind wir für alle offen, die sich im Bereich der Legalität bewegen. Wir würden es mit unserem Hauptkunden, der SVP, absprechen, um eine Interessenskollision zu vermeiden. Aber es ist halt so: Wenn Sie Werbung für Alfa Romeo machen, wird es schwierig Werbung für Citroën zu machen. Deshalb haben wir da wenig Anfragen.

Sie haben gesagt, dass Sie sich im Rahmen der Legalität bewegen. Aber Sie standen auch schon vor Gericht, etwa wegen dem Minarett-Game in Österreich. Was machen Anklagen wegen Verhetzung mit Ihnen?
Eine Anklage trifft mich natürlich schon. In der Schweiz war das Spiel überhaupt kein Thema. In Österreich ist es dann überraschenderweise zu einer Anklage gekommen. Das wichtige ist, dass wir komplett freigesprochen wurden. Der Richter hat sich zudem auch dafür entschuldigt, dass er das Spiel voreilig verboten hatte.

Was würde sich denn nach einem Urteil verändern? Letzte Woche wurde das Generalsekretariat der SVP wegen den „Kosovaren schlitzen Schweizer auf"-Inseraten verurteilt.
Ich möchte dieses Urteil einer Einzelrichterin nicht kommentieren, zumal es auch unklar ist, ob die SVP das Urteil weiter zieht. Grundsätzlich muss Werbung auch mit Verkürzungen arbeiten und auch Tabuthemen ansprechen dürfen. Das macht politische Werbung interessant und gehört zum politischen Meinungsbildungsprozess dazu. Wenn wir jetzt wirklich was machen, was nachträglich als nicht gesetzeskonform eingestuft werden würde, würden wir es nicht nochmal machen. Das ist klar.

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Macht politische Werbung in der Schweiz überhaupt Spass?
Ja, sehr! Die Kunst ist es, sich auf eine längerfristige strategische Planung und Konzeptionierung einzulassen und die richtigen Themen langfristig zu bewirtschaften, denn der Schweizer Wähler tickt anders: Er ist viel konstanter, auch wenn dies langsam bröckelt und lässt sich nicht so schnell für eine neue Partei oder ein neues Thema begeistern. Deswegen gibt es in der Schweiz auch keine „Erdrutsch"-Gewinne oder -Verluste wie in anderen Ländern. Das liegt auch daran, dass Politik in anderen Ländern viel stärker auf Einzelpersonen —die alle paar Jahre wechseln—ausgerichtet ist. In zentralistischen Staaten sucht man sich immer eine Lichtgestalt, an der man sich orientieren kann.

In der Schweiz gab es 30 Jahre lang eine Überfigur: Christoph Blocher.
Natürlich braucht es immer gute Köpfe, die Politik verkaufen. Aber was wäre Christoph Blocher ohne den Kampf gegen die EU? Er bliebe ein erfolgreicher Unternehmer, sonst wäre nicht mehr viel da. Christoph Blocher ist nicht Christoph Blocher, weil er blendend aussieht oder ein Skilehrer-Typ ist, sondern weil er für Themen steht, die viele Menschen beschäftigen. Ob man die jetzt gut findet oder nicht, ist was anderes. Wichtig ist: Man muss den Mut haben, klare Positionen zu beziehen und diese dann auch offen zu vertreten. Der Erfolg thematischer Kampagnen hat sich auch bei den Regierungsratswahlen in Zürich gezeigt: Wir haben mit dem thematischen Slogan „Sicherheit und Stabilität" gearbeitet. Die anderen haben was gemacht wie „Frischer Wind" oder „Neue Gesichter". Das ist völlig banal. Sie wählen keinen Regierungsrat, weil er sagt, er bringe frischen Wind.

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GOAL macht aber auch Kampagnen mit Schwarzen Schafen, mit Raben, mit der Geiss Zottel, jetzt gibt es diesen Hund, ich habe grade seinen Namen vergessen. Ist das nicht auch banal?
Die Leute interessieren sich nicht wahnsinnig für Politik. Deshalb müssen wir was machen, das verständlich ist. Tiersymbole sind gut, weil wir alle Grimms-Märchen oder den Kaschperli kennen. So hat jeder von uns von fast jedem Tier eine gewisse Vorstellung, eine positive oder negative Einstellung dazu. Diese können wir mit entsprechenden Tiersujets gut ansprechen. Das Sprichwort vom Schwarzen Schaf z.B. kennt jeder. Nach der Abstimmung hab ich erfahren, dass bei einer Umfrage im Kindergarten alle Kinder etwas damit anfangen konnten, zum Beispiel: Zu Hause bin ich das Schwarze Schaf oder der Papi oder der Bruder vom Papi, der wird zu Weihnachten nicht eingeladen. Selbst Vierjährige haben das Plakat verstanden und das ist natürlich Gold wert.

Ich will Sie gar nicht fragen, ob die Rassismusvorwürfe damals gerechtfertigt waren, erwartet haben Sie die aber schon, oder?
Nee, das hat mich überrascht. Wenn es im Sprichwort heissen würde „das grüne Schaf", dann hätten wir ein grünes Schaf gezeichnet.

Benj auf Twitter: @biofrontsau

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