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Der wummernde Lockruf der Alkoholiker-Unis

Meine Uni hatte ihre eigene Pornodarstellerin. Und auch sonst gehörte sie zu den größten Party-Schulen der USA.

Fotos von Julian Niklas Pohl

Der junge Mann kämpft sich aus den Armen seiner Freunde frei, die ihn in Richtung seines Schlafgemaches zerren. Er will noch nicht ins Bett. Alles, was er noch ist und sein kann, drängt ihn zurück zur bunten Bühne und der lauten Musik. Gehen kann er nicht mehr, nur noch sehr schnell taumeln. Seine lachsfarbenen Khakis sind schlammverschmiert und sein mit griechischen Buchstaben besticktes Hemd völlig durchnässt, seine Augen sind klein und leuchten tiefschwarz. Auch nachdem sein wachsfarbenes Gesicht dreimal die Härte des nach Billigbier stinkenden Kopfsteinpflasters erprobt hat, will er einfach nur noch weiterfeiern. Es braucht viele kreischende Mädels, zwei Securitymänner, zwei Footballspieler und eine vierzigsekündige Kotzattacke, um ihn endlich zur Umkehr zu bewegen. In diesem Moment glaube ich, dass das Ende der menschlichen Zivilisation sehr nah ist.

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Ich studiere also momentan an diesem seltsamen Elitecollege in Amerika. Zufälligerweise landete ich an genau der Uni, die plötzlich selbst Menschen in Europa aus den Medien kennen, weil eine meiner Mitstudentinnen einen Beruf hat. Das hat man herausgefunden und manche finden das doof. Dabei hat diese junge Frau überhaupt nur das Verlangen danach, etwas Geld nebenbei zu verdienen, weil amerikanische Eliteunis eben einfach schweineteuer sind. Doch für die 60.000 Dollar, die du deiner geliebten Wissensfabrik jedes Jahr in den Rachen wirfst, bekommst du auch was geboten, so ist es ja nicht.

In seinem neusten Film Ivory Tower berichtet der Dokumentarfilmer Andrew Rossi über die Ursachen und Folgen der exponentiell wachsenden Studiengebühren und Studentenschulden in den USA. Rossi erzählt, dass es im Prinzip zwei gegensätzliche Finanzierungsstrategien für amerikanische Bildungsunternehmen gibt. Die wenigen Spitzenunis, deren Stiftungen groß genug sind, können sich eine „need-blind admission" leisten, sprich bei der Entscheidung über die Zulassung spielt das Vermögen der Eltern keine Rolle. Institutionen wie Harvard und Yale könnte theoretisch einen ganzen Jahrgang voller genialer Ex-Obdachloser zulassen. Passiert natürlich trotzdem nie.

Die meisten weniger gut betuchten Colleges allerdings—also vor allem die öffentlichen state schools—sind auf einen gewissen Anteil von Studenten angewiesen, deren Eltern bereit sind, die gesamten Studiengebühren zu bezahlen. Es ist keine Überraschung, dass die akademische Leistungsfähigkeiten dieser Studenten dann bei der Zulassung eine sekundäre Rolle spielen. Für Unis wie zum Beispiel die legendäre Partyschule Arizona State (ASU) klingt „strohdumm, aber stinkreich" verlockend.

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Wie für alles in den USA gibt es also auch einen Markt für „tuition"-zahlungswillige Familien mit geistig mittel- bis minderbemittelten Töchtern und Söhnen, um deren Kundschaft die Unis mit wachsendem Ehrgeiz konkurrieren. Für die nicht-ganz-so-Schlauen kommt es allerdings nicht so sehr auf die akademische Exzellenz der Wahlinstitution an. Bei der Wahl ihrer Lieblingsuni achten die verwöhnten Blagen besonders auf den Ruf des „Social Life“ an der zukünftigen Alma Mater. Hat die Uni ein berühmtes (und millionenschweres) Basketball- oder Footballteam, dann kann das schon einmal nicht schaden. Denn es ist wirklich geil, und das meine ich absolut ernst, jedes Wochenende umsonst Sport auf Profiniveau in rammelvollen Stadien miterleben zu dürfen—inklusive grenzdebilen Hardcore-Fans, die auch schonmal mehrere Wochen vor der Basketballarena campen, um beim Lokalduell die besten Plätze zu haben.

Ein ausgeprägtes „Greek Life“ mit besonders partywilden Fraternities und Sororities ist ebenfalls ein Muss. Denn wer zwängt sich nicht freudestrahlend in ein sexistisches Gesellschaftskorsett, dessen Normen direkt den schlimmsten Phasen des 19. Jahrhunderts entsprungen scheint? Ehre, Stolz, Brüderlichkeit—außerdem ab und zu selbstgebackene Kekse für die armen schwarzen Kinder in Afrika verkaufen, sich drei Mal die Woche in den eigenen Schoß kotzen und natürlich zu Semesterbeginn eine collegefilmreife Toga-Party schmeißen. So richtig schön griechisch eben.

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Für die ASU und andere Schulen ist es jedoch der größte Segen, einen Ruf als „Party School" wegzuhaben. Praktischerweise werden diese Saufschulen jedes Jahr nicht nur vom Playboy-Magazin sondern sogar vom Zulassungstest-Dienstleister Princeton Review und anderen seriösen Medien hübsch gerankt.

Holt die rosa Hosen raus! Gleich geht die Party los.

Der Belle-Knox-„Skandal" hat Duke vermutlich auch eher geholfen als geschadet. Jede Werbung ist gute Werbung. Denn zu meiner heiß geliebten Uni passt keines der zwei typischen Finanzierungskonzepte wirklich. Einerseits verfügt die Universität nur über etwa 6 Mrd. US-Dollar an Rücklagen, was neben Harvard (32 Mrd.), Yale (21), Stanford (19) und Princeton (18) etwas mickrig aussieht. Andererseits gilt Duke laut den neuesten Rankings als siebtbestes Colleges der Nation und akademisch möchte man sich schon seit Langem mit den berühmteren Unis messen.

Wenn ich mich auf dem Campus so umsehe, habe ich den Verdacht, dass die Duke anders als Harvard und Yale nicht ganz darauf verzichten kann, auch ab und zu den ein oder anderen Dumpfaffen zuzulassen, damit das Budget stabil bleibt. Um die partywütige Rich-Kid-Meute aus dem Süden sozial zufriedenzustellen, kleistert sich die Duke University ab und zu ganz gerne mit prolligem, aber sündhaft teurem Make-up zu. LDOC, der Last Day of Classes, das ist so etwas wie eine legendäre Traditionsparty voller „Spaß“ und Sauferei, mit der zukünftige Studenten auf jeder Campustour geködert werden sollen. LDOC ist im Grunde ein Konzertabend auf der Hauptwiese, der jedes Jahr um die 100.000 US-Dollar kostet, direkt aus den Taschen der Studenten. Der Löwenanteil geht für Künstlergagen drauf, denn jemand mit einem echten Namen muss es schon sein. In den vergangenen Jahren kamen Hochkaräter wie Macklemore, Steve Aoki, Kendrick Lamar und Ludacris nach Durham.

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Die Party selbst war dieses Jahr natürlich wirklich, wirklich beschissen. Das lag zum Teil am Lineup, dessen Headliner (Dillion Francis) vorher nur den wenigsten Seelen ein Begriff war. Primär war die Feier aber einfach nicht gut, weil sie einfach nicht gut sein darf.

Dillon Francis zahlt man also mehrere zehntausend Dollar, damit er einmal nach vorne geht und hübsch auf Play drückt. Und los geht's. Sein im Tourbus zusammengeflicktes Fabrikat von einem Set wurstet sich von Klischee zu Klischee und ist einfach von vorne bis hinten furchtbar.

Dillon Francis dreht an einem Knopf und ein Zuschauer findet das voll rockig!

„Work Hard, Play Hard“ heißt es also im Grunde. „Play Hard, Play Hard“, so sähe aber das ideale „Social Life" am College aus. Und genau das ist eben unmöglich, wenn man sich nebenbei auch noch um seine Noten schert. Dementsprechend spielt die Duke an der Spitze der College-Party-Szene im Grunde keine Rolle, genau wie die meisten anderen Privatunis. Da gibt es wirklich Besseres. Ein beeindruckendes Beispiel für die absurden Ausmaße der Festivitäten an den echten Party Schools ist Deltopia, ein komatöses Straßen-Rudelbums, das jedes Jahr zu Spring Break an der University of California in Santa Barbara stattfindet, und das von Niveau nur so überschwappt.

Den halbnackten Partymenschen wird Deltopia 2014 in besonderer Erinnerung bleiben, denn nachdem einem Polizisten ein Rucksack voller Wodkaflaschen um die Ohren gehauen wurde, verwandelte sich die Party in einen hübschen kleinen Bürgerkrieg mit über einhundert Festnahmen. Derartige Entwicklungen sind an den Party Schools [keine Seltenheit](http://www. huffingtonpost.com/2014/04/19/college-parties-riotn5154048.html).

Wer als Österreicher einmal in Amerika studiert hat, der kann Einiges über die Tausenden Unterschiede zwischen dem österreichischen und dem amerikanischen Hochschulsystem berichten. Vieles davon lässt ein „Aha, ja aber“ zu. Wäre Duke nicht so reich, hätte ich dort nicht die besten Professoren erleben können, denen ich je begegnet bin. Das selbstbestimmte Studentenleben in einer österreichischen Groß- oder Kleinstadt scheint grundsätzlich sehr verlockend, doch auch ein Leben auf einem Campus mitten im Nichts kann seine Vorzüge haben. Zwar kann in Österreich fast jeder studieren, ohne danach im sechsstelligen Bereich verschuldet zu sein—doch sind unsere Unis katastrophal unterfinanziert und die Profs noch viel katastrophaler unterbezahlt.

Keines der beiden Systeme ist perfekt, oder auch nur gesund. Keines ist ohne Einschränkung besser als das Andere. Doch zwischen all diesen wichtigen Erwägungen steht Eines fest: Wenigstens zahle ich meiner Hochschule keine Viertelmillionen Dollar, um mich dann vier Jahre lang zu Scheißmusik besaufen zu können. Das geht erstens billiger und zweitens hat das nichts mit Bildung zu tun.