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Die WM macht mich zu dem Deutschen in Wien, der ich nie sein wollte

Alle zwei Jahre versuche ich mich nicht mit denen zu solidarisieren, die ich sonst hasse.

Foto: Darcy Holdorf, via VICE Media

Mein Name ist Jonas. Ich bin männlich, Rheinländer, Musikjournalist, Fußballfan. Und nach mittlerweile knapp 8 Jahren irgendwie auch ein bisschen Wiener.

Zusätzlich zu diesen Identitäten bin ich auch Deutscher. Das ist für mich nicht besonders cool, nicht besonders schlimm und keine emotionale Sache. Es steht halt in meinem Pass. Es soll hier jetzt auch gar nicht um Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich, um Wiener und Piefke, um Maut und Studienplätze gehen. Sondern um die Schwierigkeiten, die sich als Deutscher, der hier lebt, arbeitet und sich eigentlich als recht gut integriert bezeichnen würde, alle 2 Jahre auftun, wenn ein großes Turnier ansteht.

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Ich bin grundsätzlich ein relativ emotionsarmer Fußballzuschauer. Ich jubele bei Toren, schreie bei spannenden Spielen und bin gelegentlich aufgeregt. Aber letztlich sehe ich das Spiel mit einem recht analytischen Auge und kann mit Siegen, aber auch gut mit Niederlagen leben. Ich erkläre mir das durch meine Sozialisation, die wie bei vielen in zwei Schritten verlief: Als ich das Spiel zu lieben lernte, war alles noch in Ordnung: Ich sah im damaligen Müngersdorfer Stadion Toni Polster spielen, weinte über das WM-Aus 1994 und freute mich über den EM-Sieg 1996. Als ich das Spiel dann später zu verstehen begann, war das leider in Deutschlands Aufbauphase, in der Menschen wie Erich Ribbeck und Rudi Völler einen Missstand verwalteten, den sie nicht zu verantworten hatten. Kurzum: Nicht zuletzt als FC-Fan bin ich fußballerischen Kummer gewohnt. Wenn man mir mit beschissenen, kindischen Sprüchen wie „Am Sonntag werden die Deutschen wieder weinen!“ kommt, zucke ich eigentlich nicht mal mit der Wimper.

Foto: Heinrich-Böll-Stiftung | Flickr | CC BY-SA 2.0

Natürlich war die Abneigung gegen die deutsche Mannschaft für mich nichts Neues, als ich nach Wien gekommen bin. Man weiß davon, und man kennt sie ja auch von anderen Ländern. Vor allem, wenn man wie ich in der Nähe der Holländischen Grenze wohnt. Aber in Holland ist es eine Abneigung, die nur in Relation zu eigenen Mannschaft Sinn ergibt. Man mag die deutsche Elf nicht, weil man Holländer und Fan der holländischen Nationalmannschaft ist.

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In Österreich begegnet man einer ganz anderen, genuinen Form der Abneigung, die man nicht kennt und anfangs nicht versteht. Im Grunde verstehe ich bis heute nicht, wie es sein kann, dass sich Menschen im Viertelfinale die Fahne des deutschen Gegners umhängen und sich ihm emotional verbunden fühlen können. Und das Ganze dann ein paar Tage und einer Runde später mit einer anderen Mannschaft genauso tun. Ich finde das nicht problematisch, ich check es nur einfach nicht.

Foto: Dominic Hallau | Flickr | CC BY-ND 2.0

Die Abneigung gegen Deutsche ist in Österreich gesellschaftlich akzeptierte Xenophobie, die man anders als andere Ausländerfeindlichkeit eben auch aus Professorensohn im siebenten Bezirk ausleben darf. Was man nicht zuletzt dann merkt, wenn man das Wort „Piefke“ gegen „Tschuschen“ oder „Türken“ austauscht, wie es Kollegen von paroli getan haben.

Ich bin grundsätzlich recht ok damit, auch weil ich weiß, dass die Position der weißen, gut ausgebildeten Deutschen innerhalb der Einwanderercommunity eine privilegierte ist. Das Jammern ist berechtigt, es ist aber ein Jammern auf recht hohem Niveau, was zu allem Überfluss ja auch nicht mal etwas bringt. Trotzdem: Es ist während den Turnieren schon noch mal eine andere Kategorie. Da brechen in Medien, in Foren und in den sozialen Medien alle Dämme, wie es ein Kollege hier schon mal beschrieben hat. Daran ist manch jubelnder, präpotenter Student aus Osnabrück nicht unschuldig, treffen tut es aber alle.

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Man ist dann in einem bizarren Dilemma gefangen: Man ist selbst genervt von den Eventfans, die in Farben und mit Fahnen durch die Straßen ziehen. Kein Geld der Welt würde mich in die Strandbar Hermann bringen. Und ja, ich weiß, dass es in Wien mehr deutsche Eventfans gibt als französische. Aber ich hab eben auch schon genug Spiele im Ausland geschaut, um zu wissen, dass Eventfans nirgendwo auf der Welt besser sind. Ich kann das Argument schon verstehen, dass deutsche Fans Österreicher mehr nerven, weil man sie versteht. Und man sich bei Franzosen eben wenigstens vorstellen kann, sie würden gerade tiefsinnige und angemessene Fangesänge ausprobieren. Das tun sie nicht. Besoffene Eventfans sind besoffene Eventfans, ob sie Deutsche, Italiener oder Spanier sind.

Foto: Frank Schwichtenberg | Wikimedia | CC BY 3.0

Und plötzlich verschieben sich Konfliktlinien und Fronten. Im Kopf zieht man die Linie weiter zwischen Menschen, die den Fuball lieben und solchen, die das Event lieben. Aber im Bauch passiert etwas, das man sich von sich selbst nie hat vorstellen können: Man solidarisiert sich plötzlich mit den Eventfans, weil sie auch Deutsche sind. Man freut sich, dass den scheiß Hatern in Internetforen und im Freundeskreis das Maul gestopft wird. Man wird zu dem Menschen, der man nie sein wollte. Man ist auf einmal Deutschlandfan, obwohl man doch eigentlich nur Fan der deutschen Nationalmannschaft sein wollte. Ich schaffe es zwar jedes mal das zu verhindern, aber nur knapp.

Am Sonntag ist die WM vorbei. Zwei Jahre Ruhe. Und der FC spielt ja nächste Saison auch wieder erste Liga.

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