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Refugees im Orbit

Refugees im Orbit: Die Aktivisten, das sind die anderen

Warum können wir mit mündigen Flüchtlingen eigentlich nicht umgehen?

Wir bringen euch dieser Tage unseren großen Sonderbericht über das Refugee Protest Camp Vienna, bei dem Flüchtlinge seit 24. November gegen Missstände im österreichischen Asylsystem protestieren: „Refugees im Orbit“ ist die Geschichte dieser Hilfesuchenden, die in ihrer Votivkirchen-Kapsel um den Planeten Wien kreisen und im (politischen und menschlichen) Vakuum langsam vor die Hunde gehen.

Mit dieser Erklärung, die nur auf Deutsch und als inoffizielle Übersetzung vorliegt, macht das Bundesinnenministerium klar, wie es weiterhin politische Debatten zu führen beabsichtigt: Durch Schreiben, die über eine bloße Benennung des Problems nicht hinausgehen. Ja, in der Kirche ist es kalt. Ja, das gefährdet auch die Gesundheit der Protestierenden. Aber die Lösung liegt aus Sicht der Flüchtlinge nicht im Nachgeben und auch nicht in einer Übersiedlung in ein warmes Ersatzquartier, obwohl dieses Angebot im Laufe des Protests sicherlich immer verführerischer klingen wird. Ich für meinen Teil will mir gar nicht erst ausmalen, mit welcher abgefuckten Form von polemischem Untergriff die politische Rechte jedes Zugeständnis der Asylsuchenden kommentieren würde: Von "Jetzt sind die Quartiere also auf einmal doch gut genug?" bis zu "Wenn ich eine bessere Wohnung will, demonstriere ich nächstes Mal auch einfach in einer Moschee!" ist so ziemlich alles denkbar, was die Schwarmintelligenz von Tausenden Propaganda-Ameisen in tagelanger Wuselarbeit zu produzieren in der Lage ist. Aber leider haben selbst jene Menschen, die ein bisschen weniger Pech beim Denken haben, noch ihre liebe Not damit, die Sachlage rund um das Camp in vollen Zügen zu verstehen. Und diese Not beginnt bereits bei dem einfachen Wort "Aktivisten".

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DIE AKTIVISTEN, DAS SIND DIE ANDEREN

Foto: Gregor Schamschula

Aktivismus, Asylsuchende, Asylgesetz: Das neue Triple-A von Austria hat für alle, die mit der Thematik nicht tagtäglich zu kämpfen haben, mindestens genauso viele Fragezeichen wie Buchstaben. Und kaum fängt man an, zu verstehen, was die eine mit „Aktivisten“ meint, schreibt der nächste bereits in einem völlig anderen Zusammenhang über sie. Denn was dem einen politische Aufwiegler sind, heißt für die andere nichts weiter als praktische Protesthelfer — und wie so oft ist keine der Bedeutungen unvorbelastet oder nicht parteilich gefärbt.

Selbsterklärend ist eigentlich auch, dass rund um das Refugee Protest Camp natürlich artfremde Protestbewegungen anzudocken versuchen, wie jedes Mal, wenn irgendwo plötzlich mediales Scheinwerferlicht hinfällt, wo zuvor keines war und junge Bewegungen und Demonstrierende die einmalige Chance wittern, es wie die alte militärische Avantgarde zu machen und schnell als erste das Schlachtfeld zu erkunden, bevor die Fußsoldaten von FPÖ und Krone den ganzen Boden für sich beanspruchen und schlagzeilenbrüllend zum Gemetzel durchstarten. Das obige Foto zeigt ein Transparent, das am 18. Dezember für gerade mal einen halben Tag in einer Guerilla-Aktion zwischen den Türmen der Votivkirche aufgehängt wurde. Die Botschaft lautet: Ist das Patriachat bei uns wirklich abgesch(l)afft? und hat genauso viel mit dem Protestcamp zu tun wie Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus mit einem Stück Fersenhornhaut.

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Der Grund, weshalb es hier trotzdem erwähnt wird, ist, naja, genau der. Denn die Aktivisten zu verschweigen, die sich wie Putzerfische an die Bewegung zu saugen versuchten, wäre ebenso blauäugig und kurzsichtig, wie die Behauptung der Kritiker, dass dies in irgendeiner Form als Beweis dafür zu werten wäre, wie sehr nicht alle und jeder in Wahrheit bezahlter Berufsdemonstrierender ist, der einmal alte Strickpullis oder einen frischen Topf Suppe in die Kirche gebracht hat.

EIGENVERANTWORTUNG VS. FERNSTEUERUNG

"Wir haben Anlass anzunehmen, dass es sich nicht vorrangig um authentische Inhalte der Flüchtlinge handelt“, erklärt das Innenministerium im Gespräch. Das ließe sich auch aus einer Namensliste der Protestierenden schließen, die dem Ministerium nach einem Runden Tisch am 21.12.2012 übermittelt wurde: „Nur ein Viertel bis 30 % der Streikenden sind tatsächlich aus Traiskirchen." Der Großteil seien aber "abgelehnte Asylwerber aus den Bundesländern."

Der ORF-Reporter und Flüchtlingsunterstützer Gerhard Tuschla sieht im amtlichen Unterbringungsort der Flüchtlinge alleine keinen Beweis für eine solche Instrumentalisierung: "Fast alle der Hungerstreikenden waren zu irgendeinem Zeitpunkt in Traiskirchen. Viele von ihnen waren nur zu Protestbeginn nicht mehr dort untergebracht." Das ist auch im Fall von Khan Adalat so, der zum Zeitpunkt des Protestbeginns längst aus Traiskirchen und einer anschließenden Unterbringung im Asylheim Hoheneich im Waldviertel "weitergeflohen" war: Um den gefängnisähnlichen Zustände zu entkommen, nahm er die Belastung einer Mietwohnung nahe St. Pölten auf sich, die er sich nur durch das Ausborgen von Geld leisten konnte. Beim Asyllager Traiskirchen handelt es sich um eines von theoretisch drei Erstaufnahmezentren in Österreich — das zweite Asylaufnahmezentrum (West) befindet sich in Thalham, das dritte am Flughafen Wien-Schwechat, wo jedoch nur der Teil der Flüchtlinge ankommt, der sich die Reise per Flugzeug leisten kann. Entsprechend viele Asylwerbende sind hier bereits in irgendeiner Form und für eine bestimmte Dauer untergebracht worden — was die Kritik umso absurder wirken lässt, der zufolge Flüchtlinge nicht gegen die Zustände im Lager demonstrieren dürften, nur weil sie zum Zeitpunkt der Demonstration bereits anderswo gemeldet sind. Mehr auf Seite 2 — inklusive einer Rede, bei der die Betroffenen selbst zu Wort kommen.

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Othmar Karas im Protestlager, Foto: CaritasVienna

Der Fokus auf die Frage nach der amtlichen Meldeadresse der Flüchtlinge lenkt jedoch weiter von den systemischen Problemen ab, die zum Alltag aller Asylwerber gehören — egal, ob diese nun in Traiskirchen untergebracht sind oder nicht. Zu diesem bürokratischen Detail-Fetisch gesellt sich die fast schon biblische Unterstellung, die Protestierenden würden sich mit ihrem Aufbegehren von Linksaktivisten fremdlenken lassen. "Dem Innenministerium sind Methoden der Instrumentalisierung wie Schlafentzug und die gezielte Verbreitung von Gerüchten bekannt", zählt Grundböck zwei Maßnahmen auf, die angeblich seitens der professionellen politischen Störer zum Einsatz kommen. Er verweist in diesem Zusammenhang — wie so ziemlich alle, die jemals eine Legitimation für diese Behauptung gesucht haben — auf die Caritas und ihren Direktor Michael Landau, der engen Kontakt mit den Asylwerbern Vorort habe. Ihm zufolge werden die Flüchtlinge ja ebenfalls "politisch missbraucht". Bürgermeister Häupl teilt diese Ansicht. Gleichzeitig verurteilt er das Vorgehen der vermeintlichen Drahtzieher als unmoralisch gegenüber den Asylwerbern: "Da dreht’s mir den Magen um, um es sehr freundlich zu sagen."

Das Ministerium spricht währenddessen auch von einer "Sprachrohrproblematik", wie Sprecher Grundböck ausführt: "Im Lager Traiskirchen sind rund 50 Nationen vertreten. Das macht die Unterscheidung schwierig, woher welche Anteile kommen." Aber der Ruf nach mehr Schutz für die missbrauchten Flüchtlinge vor der ideologischen Fernsteuerung durch professionelle linke Aufwiegler, wie Innenministerium und Rathaus ihn fordern, ist gleichzeitig ein Zugeständnis zu ihren Nöten: Denn nur, wenn die Lage der Asylwerber tatsächlich so schlecht ist, wie diese behaupten, kann eine vermeintliche Lenkung durch Linkslinke überhaupt erst unmoralisch und ethisch bedenklich sein. In der Kritik an der Instrumentalisierung steckt ironischerweise selbst der Versuch, einer neuerlichen Instrumentalisierung. Wieder einmal werden die Asylwerber zu (Diskurs-)Objekten degradiert und nicht als selbstständige Subjekte ernstgenommen. Das stört besonders diejenigen unter ihnen, die von Anfang an im Plenum saßen, um ihre eigenen Forderungen mithilfe von Studenten und Unterstützern zu konkretisieren. Aber der Fernsteuerungs-Verschwörungstheorie kommt man nicht bei. Michael Genner von Asyl in Not sagt dazu: "Man bemüht sich, der Hilfe von Aktivisten einen negativen Beiklang zu verleihen. Natürlich sind auch Menschen darunter, die politisch eine Meinung vertreten. Aber bei den Forderungen handelt es sich um tiefe Bedürfnisse der Flüchtlinge selbst."

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Genau das will trotz aller Bemühungen und Beteuerungen der Protestierenden, endlich als aktive Gestalter und nicht nur als Crashtestdummies im antikapitalistischen Unfalltestversuch gesehen zu werden, aber niemand so recht glauben. Die traurige Wahrheit ist, dass man daran wohl auch nichts ändern kann. Manche Menschen lassen sich ihre Meinung eben nicht gerne von Fakten kaputtmachen. Ihr Glashaus ist schusssicher und so CO2-übersättigt, dass ihnen nicht mal auffällt, wenn ihr Gehirn sie in den nächsten gedanklichen Clusterfuck führt. Das einzige, was ich tun kann, ist kleine nervige Kieselsteine gegen die Schutzwände zu werfen. Damit es sie irgendwann ausreichend nervt, damit sie den Kopf herausstrecken und in einem Sauerstoff-Flash doch noch eine epistemologische Erleutung erleiden. Darum soll hier zum Abschluss auch Platz für diejenigen gemacht werden, die genau solche Panzerglashaussitzer so ungern sprechen hören, weil es das Bild der missbrauchten Objekte zerstört. Diese Rede hielt Adalat Khan bei einer Matinee von SOS Mitmensch.

Das ist vielleicht kein gutes Englisch, aber wenn ihr mich fragt, zeigt das wenigstens den Willen zur Anpassung an den heimischen Standard der politischen Gegnerschaft.

MORGEN: EIN INTERVIEW MIT FLÜCHTLINGSHELFERIN UTE BOCK

Markus Lust auf Twitter: @wurstzombie


BISHER BEI REFUGEES IM ORBIT:

1: Die kleine Geschichte vom großen Aufstand

Start der Sonderreihe über das Refugee Protest Camp Vienna, wo seit 24. November Asylsuchende gegen Missstände im österreichischen Asylsystem demosntrieren.

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2: Das Protestcamp als Bestandsprobe für die Medien

Teil 2 der Sonderreihe über das Votivkirchen-Protestlager widmet sich der Frage, was die Krise der Flüchtlinge vielleicht auch über die Medien aussagt.

3: Die Forderungen und die Vorgeschichte

In Teil 3 der Sonderreihe geht es um etwas, worum es eigentlich IMMER gehen sollte: nämlich etwas mehr Einsicht und Hintergrundinformation in die tatsächlichen Motivationsgründe der Flüchtlinge.