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Reisen

Höllen-Engel aus Marrakesch

Die Fotos von Hassan Hajjaj zeigen weibliche „Bikergangs“, ihr überhebliches Auftreten, ihren einschüchternden Hohn und ihre unfassbare Coolness.

In seiner letzten Fotoserie tauchte der in London lebende marokkanische Künstler Hassan Hajjaj in die Bikerkultur von Marrakesch ein. Hassans Version der Hells Angels entwickelte sich aus einem persönlichen Erlebnis. Bei einem Fotoshoot in Marrakesch in den 90ern war ihm alles fremd: die Fotografen, die Kleidung, die Models. Nichts davon war wirklich marokkanisch. Die Serie des Künstlers kann als eine Aufarbeitung dieser Erfahrung aus den 90ern verstanden werden: als popkulturelle nordafrikanische Bilder, auf denen alles, was an lokale Traditionen erinnert, ironisiert wird—von den gepunkteten Abayas bis hin zu tarnfarbenen Djellabahs.

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Die Fotos porträtieren weibliche Bikergangs aus Marokko, ihr überhebliches Auftreten, ihren einschüchternden Hohn und ihre unfassbare Coolness. Sie bilden allerdings keine „richtige Gang“. Die Mädchen sind Freundinnen des Künstlers und verdienen ihr Geld normalerweise damit, Touristen auf dem Marktplatz mit Hennatattoos zu bemalen. In einer dunklen Gasse möchte man ihnen trotzdem lieber nicht begegnen. Diese Frauen sind krass. Sie sprechen bis zu fünf Sprachen, haben Kinder und arbeiten trotzdem zehn Stunden pro Tag. Ich habe mit Hassan über die Bikerkultur in Marrakesch gesprochen und darüber, warum die Frauen so hart drauf sind.

VICE: Wie bist du darauf gekommen, deine Freundinnen auf diese Weise zu fotografieren? 
Hassan Hajjaj: Ich arbeite schon seit Jahren so und möchte eine Besonderheit von Marrakesch aufzeigen. Auch wenn wir verschiedenen Kulturen und Religionen angehören, haben wir als Menschen viel miteinander gemeinsam. Es gibt eine Gruppe von Frauen, die auf dem zentralen Marktplatz, der bei Touristen sehr beliebt ist, Hennamalerei anbieten. Eine von ihnen hat mich zu dieser Serie inspiriert. Karima. Sie trägt ein Kopftuch und diese wundervollen Abayas und Djabellas, fährt aber gleichzeitig mit dem Motorrad zur Arbeit. Sie ist eine normale Frau, die acht oder zehn Stunden pro Tag arbeitet. Sie spricht vier oder fünf Sprachen, ist Mutter von zwei Kindern und hat ein eigenes Haus gebaut.

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Die Serie wirkt wie ein nordafrikanischer Modeshoot. Wolltest du den Traditionen eine Ehre erweisen, indem du sie mit Eleganz kombinierst?
Ich habe in den 1990ern bei einem Fotoshoot in Marrakesch gearbeitet, bei dem mir klar wurde, dass alles—die Models, der Fotograf, die Kleidungsstücke—aus dem Westen stammte, und Marokko einfach nur die Kulisse war. Von da an habe ich gesagt, dass es großartig wäre, meine Leute in ihrer Umgebung und mit ihrer eigenen Kleidung zu zeigen und dabei mit der Modefotografie zu spielen.

Wie würdest du die Bikerkultur in Marrakesch beschreiben? Gibt es hier überhaupt Bikergangs? Wie wichtig sind Motorräder?
Marrakesch ist tatsächlich eine Bikerstadt. Jeder fährt Motorrad. Frauen, Jugendliche, alte Männer, Familien, jeder. Sie sind ein Transportmittel, sie werden für die Arbeit eingesetzt. Ein paar der Motorräder haben wir von Freunden geliehen, aber meistens sind es eigene Motorräder. Es gibt keine richtigen Bikergangs.

Ziehen sich deine Freundinnen öfter in diesem Stil an? Kommt man leicht an diese Outfits heran?  
Marokkaner haben einen ausgeprägten Sinn für Traditionen und wir sind eine sehr farbenfrohe Nation. Aber die Outfits werden von mir entworfen: aus traditionellen marokkanischen Djabellas und Abayas und Babouche mit traditionellen Drucken und imitierten Markenartikeln von Märkten aus London und Marrakesch. Auch die Rahmen für die Fotos baue ich selbst, aus Produkten oder Dingen, die ich in Läden finde: Fantadosen, Konserven oder Hühnerbrühepackungen. Als ich in Marokko aufgewachsen bin, wurden so viele Dinge recycelt und wiederverwendet. Das ist irgendwie in meine Arbeit eingeflossen. Ich wollte die Wiederholung von Marken in einen etwas humorvolleren Kontext rücken. Oft beziehe ich mich auf etwas, das im Foto passiert, aber ich wollte ein sich wiederholendes Rahmenmuster schaffen, um in einem modernen Zusammenhang an die marokkanischen Mosaike zu erinnern.

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Was war das Ziel der Serie? Was war der beste Moment bei den Aufnahmen?
Ich bin beeindruckt von der Stärke [der Frauen] und will die Normalität ihrer Unabhängigkeit zeigen. Wenn diese Bilder in Paris oder Rom aufgenommen worden wären, hätte man mich wahrscheinlich nicht gefragt, was an der Bikerkultur der Frauen so einzigartig ist.

Wer wäre Mitglied deiner Bikergang, wenn du eine hättest?
In meiner Gang würden Frauen sein, wie du sie in der Serie siehst. Frauen, die von Natur aus diese Stärke, diesen stolzen Gang, diese Freiheit haben.