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Die Meldung, dass unter den Tatverdächtigen von Köln nur drei Flüchtlinge wären, ist falsch

Der Independent hat mit einem unüberlegten Tweet für ein sensationelles Gerücht gesorgt—oder bewusstes Clickbaiting auf Kosten von Fakten betrieben.

Am Montagvormittag veröffentlichte der britische Independent einen Artikel mit der Headline: „Only three out of 58 men arrested for Cologne sex attacks were recent refugees". Der ähnlich lautende Tweet, aus dem aber das essentielle „recent" gelöscht war, wurde hundertfach geteilt. Auch österreichische Medien wie Österreich und Wienerin übernahmen die Meldung—mit Schlagzeilen wie, im Fall von Österreich, „Fast keine Flüchtlinge unter Kölner-Sextätern".

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Die Nachricht kam überraschend, hieß es doch etwa vor einem Monat noch, dass die meisten der ermittelten Tatverdächtigen Asylwerber wären—was unter anderem zu einer Diskussion über die Verschärfung der deutschen Asylgesetze führte. Stutzig machte uns auch, dass der Independent keine Angaben zur Quelle der zahl „drei" machte oder verlinkte. Es wird lediglich aus einem Artikel der Welt zitiert, in dem jedoch nie die Rede von drei Flüchtlingen ist.

Schließlich fragten wir bei der Autorin des Independent-Artikels nach, woher sie die Zahl „drei" hätte und sie verwies uns auf die Seite des öffentlich-rechtliche Rundfunks für die frankophone Bevölkerung Belgiens (RTBF).

Im französischsprachigen Artikel von RTBF wird jedoch ebenfalls besagter Artikel aus der Welt als Quelle genannt und falsch interpretiert. So steht dort zwar richtigerweise, dass „von den 58 Verdächtigen nur drei aus einem Land im Krieg" wären, nämlich zwei Syrer und ein Iraker. Jedoch wird fälschlicherweise daraus geschlossen, dass unter den 58 Tatverdächtigen nur drei Flüchtlinge wären, obwohl auch der RTBF wenig später erklärt, dass die restlichen 55 tatverdächtigen Personen größtenteils aus Marokko und Algerien stammen, sich allerdings schon länger in Deutschland aufhalten. (Seltsamerweise scheint aber auch im Artikel der Welt schon ein Tatverdächtiger verloren gegangen sein—denn zu Beginn ist noch die Rede von 59 Verdächtigen, bei der Aufzählung nach Nationalität dann nur mehr 58; Deutsche inklusive.)

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Dass die größte Zahl an Tatverdächtigen aus dem nordafrikanischen Raum stammt und schon länger in Deutschland lebt, wird auch im Artikel des Independent erwähnt. Vermutlich bezieht sich das „recent" im Titel darauf. Trotzdem scheint diese essentielle Information im Independent erst im vierten Absatz auf—und im Tweet wie erwähnt gar nicht.

Auch wenn der Independent vermutlich nicht bewusst ein Gerücht streuen wollte, ist es ihm also doch gelungen; denn wie auf Twitter deutlich hervorging, lautet die Schlagzeile in den Köpfen mancher Leser jetzt nicht mehr „Only three out of 58 men arrested for Cologne sex attacks were recent refugees", sondern „Only three out of 58 men arrested for Cologne sex attacks were refugees".

Das ist falsch. Auf unsere Anfrage konkretisierte die Kölner Staatsanwaltschaft noch einmal, dass man gegen 73 Beschuldigte Ermittlungsverfahren eingeleitet hätte (15 davon sitzen in U-Haft). Darunter nach Stand vom Montag: 30 Marokkaner, 27 Algerier, 4 Iraker, 3 Deutsche, 3 Tunesier, 3 Syrer und jeweils ein Libyer, Iraner und Montenegriener.

Nachdem wir die Autorin darauf hingewiesen haben, wurde die Headline des Artikels im Independent geändert—jedoch ohne via Twitter oder einem Vermerk im Artikel auf die fälschlich verbreitete Nachricht hinzuweisen. Diese Art von tendenziöser Schlagzeilengestaltung spielt letztlich den Rechten in die Hände, die aufgrund solcher Fälle laut „Lügenpresse" schreien können—und in diesem konkreten Fall leider gar nicht unrecht haben. Der Vorwurf mag immer noch pauschalisierend, verkürzt und verschwörungstheoretisch sein; aber Einzelfälle, die solche Thesen befeuern, führen dazu, dass Medien sich mit Vorwürfen dieser Art zumindest konfrontieren lassen müssen.

Dabei sollte es auch mit dem Aufzeigen fragwürdiger Meldungen wie dieser nicht darum gehen, die Täter von Köln nach Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit oder ihrem Bleiberechtsstatus zu kategorisieren. Ein Arschloch bleibt ein Arschloch, egal woher es kommt (das gilt klarerweise für Inländer ganz genauso). Ebenfalls geht es nicht darum, irgendwelchen Medien oder Menschen, die diese Meldung weiterverbreitet haben, ans Bein zu pissen. Wir wollen im vorliegenden Fall lediglich darauf aufmerksam machen, wie schnell Gerüchte entstehen und wie sehr es—gerade bei so sensiblen Themen wie den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln—notwendig ist, Quellen kritisch zu lesen und zu hinterfragen. Für Medienkonsumenten; aber eben auch für Medienmacher.

Paul auf Twitter: @gewitterland