Die dummen Denkfehler der Verschwörungstheoretiker
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Die dummen Denkfehler der Verschwörungstheoretiker

Dass die Medien laufend berichten, ohne gesicherte Informationen zu haben, ist der perfekte Nährboden für Verschwörungstheoretiker.

Am Mittwoch wurden bei einem Anschlag auf die Pariser Satire Zeitschrift Charlie Hebdo 12 Menschen getötet. Weltweit kam es zu Solidaritätsbekundungen und Menschen gingen auf die Straße um die Toten zu betrauern, während in Frankreich die Suche nach den Tätern an ihrem Ende angelangt zu sein scheint. Klar sagen kann man in den ersten Tagen nach dem Massaker aber nur, dass vor allem die radikalen Kräfte von dem Anschlag profitieren werden—sowohl auf Seite der Rechten, die sich schon quer durch ganz Europa zu Wort gemeldet haben, als auch auf Seite des Islamismus. Die Gräben werden durch die Ereignisse in Paris nicht gerade kleiner. Abgesehen von der Tatsache, dass gerade eine weltweite Diskussion über die Pressefreiheit und Karikatur ausgebrochen ist, wissen wir eigentlich noch gar nichts. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass die Menge an gesicherten Informationen dem Ausmaß der Berichterstattung diametral gegenübersteht. Das ist auch ganz logisch, denn auch wenn gerade tausende Polizisten an dem Fall arbeiten, dauert es, bis die einzelnen Puzzleteile zusammengesetzt werden. Wir kennen das aus unzähligen Beispielen, vom Kennedy-Attentat über 9/11, die Madrid-Anschläge, bei denen zuerst die Eta verdächtigt wurde, bis hin zum Fall Hypo, wo Kommission nach Kommission versucht, Licht ins Dunkle zu bringen.

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Wir, die klassischen Medien und Journalisten, haben kaum gesicherte Informationen und berichten trotzdem dauernd.

Gleichzeitig stehen die Medien unter Druck, uns permanent mit Nachrichten zu versorgen, denn die Konkurrenz untereinander und zu den „neuen" Medien wie Twitter, YouTube und Facebook ist mindestens so groß wie unsere Nachfrage als Konsumenten. Die Berichterstattung muss 2015 vor allem schnell sein und an diesem Wettkampf beteiligen sich alle tagesaktuellen Medien, die online sind. Also tatsächlich alle—bis auf den Falter. Dementsprechend viel muss auch revidiert werden, weil in der Hitze des Gefechts oft falsche Informationen auftauchen und dank des Internets rasend schnell aufgegriffen und verbreitet werden.

Wir haben es Mittwoch Mittag gesehen, als es zuerst hieß, der Chefredakteur von Charlie Hebdo sei unter den Toten, dann, er sei in London. Und noch immer wird Stéphane Charbonnier sogar innerhalb eines Artikels einmal als Chefredakteur und einmal als Herausgeber bezeichnet. Auch war von einem Raketenwerfer die Rede, den die Terroristen bei sich gehabt haben sollen, was aber genauso später wieder revidiert werden musste. Dir Rolle des 18-jährigen, der am Mittwoch Abend verhaftet wurde, und zuerst am Attentat beteiligt sein sollte, ist noch immer nicht geklärt. Laut letzten Meldungen soll er ein glaubwürdiges Alibi für den Tatzeitpunkt haben. Wer sich die Zeit nimmt, findet online für ziemlich jede Behauptung einen Beleg eines seriösen Newsmediums und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass bei JEDEM Medium, das einen Live-Ticker betrieben hat, mindestens eine Falschmeldung dabei war. Teilweise sind die sogar noch immer dort zu finden, weil einfach die Zeit für Korrekturen fehlt.

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Wir, die klassischen Medien und Journalisten, haben also kaum gesicherte Informationen (woher auch, in dieser Ausnahmesituation) und müssen trotzdem berichten (ob wir wirklich müssen, ist eine Frage, die in den nächsten Tagen gesondert diskutiert werden sollte). Gemeinsam mit der Tatsache, dass das Internet jedem Idioten die Möglichkeit gibt, abstruse „Theorien" in die Welt zu ballern, ist das der perfekte Nährboden für die verschrobenen Logik von Verschwörungstheoretikern.

Aber statt die Falschmeldungen oder vorschnelle Berichterstattung als Beweis für die „Lügen der Systempresse" heranzuziehen, müssen sie als das gesehen werden, was sie sind: ein gemeinsames Rekonstruieren der Ereignisse und ein Herantasten an die Wahrheit. Dabei passieren natürlich Fehler, aber das ist auch unsere Schuld, weil wir SOFORT Informationen verlangen. Viel eigenartiger wäre es jedoch, wenn wir kurze Zeit nach dem Anschlag eine kongruente und in sich stimmige Erklärung präsentiert bekommen würden.

Genauso dumm ist es, die Tatsache, dass einer der Täter auf der Flucht seinen Personalausweis im Auto zurückgelassen hat, als Indiz für eine Verschwörung heranzuziehen. Manfred Klimek bringt das in seinem ironischen Facebook-Kommentar recht gut auf den Punkt. Denn natürlich ist das absurd—aber noch viel fucking absurder ist es, dass jemand wegen einer Karikatur beschließt, 12 Menschen zu töten.

Falls ihr euch näher mit den Verschwörungstheorien zum Anschlag in Paris auseinandersetzen wollt, könnt ihr auf MOTHERBOARD weiterlesen.

Hier findet ihr unsere gesamte Berichterstattung zu #JeSuisCharlie