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Wir haben nachgefragt, wie Obdachlose und Refugees miteinander auskommen

Während die einen Verständnis für die Refugees haben, machen sich andere Sorgen, selbst zu kurz zu kommen.

Wie fast alles, das mit Flüchtlingen zu tun hat und derzeit in den (sozialen) Medien diskutiert wird, ist auch das Thema „heimische" Obdachlose und Refugees ein emotionales und politisches zugleich. Bei einer Sondersitzung des Nationalrats Ende September, forderte etwa Robert Lugar vom Team Stronach die Regierung auf, „solidarisch" mit den 37.000 Obdachlosen in Österreich zu sein.

Die Zahl wirkt auch bei näherer Betrachtung noch aus der Luft gegriffen—konkrete Erhebungen gibt es nicht, bei der Caritas Wien heißt es jedoch: „Schätzungen gehen auf mehrere Hundert Obdachlose in Wien". Selbst wenn man „mehrere Hundert" Obdachlose auf Österreich hochrechnet, wäre man von 37.000 noch weit entfernt. 37.000 Obdachlose in Österreich würde außerdem bedeuten, dass knapp jeder zweihundertste Österreicher auf der Straße lebt.

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Auch die FPÖ hat das Thema für sich entdeckt. So heißt es in einer Aussendung der FPÖ Wien, dass zuerst einmal „die Wohnungsnot der eigenen Bevölkerung" bekämpft werden müsse, anstatt „30.000 Wohnungen für Fremde" bereitzustellen, während „einheimische Obdachlose für eine einzige Übernachtung in der Gruft vier Euro bezahlen" müssen. Auch hier nimmt man es mit der Richtigkeit der Angaben nicht so genau. Auf Anfrage von VICE bei der Notschlafstelle „Gruft" versichert man uns, dass die Übernachtung gratis ist.

Je genauer man sich damit auseinandersetzt, umso stärker gewinnt man auch den Eindruck, dass die Polarisierung von Geflüchteten und Obdachlosen viel eher von Parteien ausgeht als von den angeblich Betroffenen. Aber gibt es überhaupt Situationen, in denen Refugees und Obdachlose aufeinandertreffen? Und denken heimische Obdachlose tatsächlich, dass Flüchtlinge ihnen irgendetwas wegnehmen?

Auf der Suche nach der Antwort treffe ich im sechsten Wiener Gemeindebezirk den Wohnungssuchenden Gerald. Wir begegnen uns in einem Park ganz in der Nähe vom Haus des Meeres. Gerald lebt seit Jahren immer wieder auf der Straße—seit wann genau, weiß er nicht mehr (oder will es mir nicht sagen). Letzten Winter kam er in der Wohnung eines Bekannten unter, der mittlerweile aber gestorben ist.

Trotzdem ist er zuversichtlich, auch diesen Winter nicht auf der Straße verbringen zu müssen. „Wenn ich nichts finde, gehe ich halt mit den anderen mit oder woanders hin. Irgendwo gibt es eigentlich immer ein Platzerl", meint er. Wo genau die anderen hingingen, denen er sich eventuell anschließen würde, bleibt sein Geheimnis. Vermutlich meint er damit aber eine der etwa ein Dutzend Notschlafstellen in Wien.

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Die Flüchtlingssituation kenne er aus der Zeitung, einen Geflüchteten getroffen habe er aber noch nicht. „Sicher gibt es bei uns auch Ausländer, aber von denen die jetzt kommen kenn ich keinen. Aber ich glaub die bleiben ja auch nicht in Wien. Die sind da oben beim Bahnhof und dann fahren sie weiter", sagt Gerald.

Angst, dass die Refugees ihm etwas wegnehmen könnten, hat er auch nicht. „In Wien kümmert man sich ja eh ganz gut um uns. Die [Refugees] kommen eh nicht dorthin, wo wir was kriegen", meint er. Das bestätigt auch Michaela Sieger, Pressesprecherin der Caritas Wien: „Flüchtlinge werden ausreichend darüber informiert, an welche Stellen oder Einrichtungen sie sich wenden können und wo es freie Plätze gibt. Nennenswerte Anfragen von Flüchtlingen in der Gruft, P7 oder dem Tageszentrum am Hauptbahnhof gibt es nicht."

Ein komplett anderes Bild vermittelt die Geschichte von Peter. Peter ist Ende zwanzig und seit dem Frühling obdachlos. Seine Freundin hat ihn „aus der gemeinsamen Wohnung geschmissen", wie er mir erzählt. „Obwohl ich ja derjenige war, der die Miete bezahlt hat und sie den ganzen Tag nur faul war und mich betrogen hat, sobald ich bei der Tür draußen war", so zumindest Peters Wahrnehmung. Seinen Job konnte er anfangs noch behalten, Ende Juli wurde er aber gekündigt. Seitdem schläft Peter da, wo er gerade unterkommt. Momentan bei Freunden, im Sommer aber auch im Freien.

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Foto: Daniel Lobo | flickr | CC BY 2.0

Ein paar Nächte hat er auch in einer Notschlafstelle verbracht. „Das habe ich nicht lange ausgehalten und außerdem ist dort eh alles voll, wegen den ganzen Ausländern dort." Ihm selbst sei es schon passiert, dass er abgewiesen wurde und „stattdessen zwei Männer, die nicht Deutsch gesprochen haben" aufgenommen wurden. „Die haben nur ,Schlafen, schlafen' und ,Essen, essen' gesagt und schon hat man ihnen Tür und Tor geöffnet. Aber für unsereins bleibt da nichts übrig." Ob Peter das wirklich alles erlebt hat, ist schwer zu sagen. Während dem Gespräch fängt er immer wieder an, ganz allgemein auf „die Ausländer" und seine (mittlerweile Ex-)Freundin zu schimpfen. Manchmal gerät er dabei so in Rage, dass ich Mühe habe, nicht eine seiner Hände ins Gesicht zu bekommen, mit denen er wild herum gestikuliert. Er ist offensichtlich ziemlich betrunken.

Glaubt man den Aussagen der Caritas, ist es nur schwer vorstellbar, dass sich Peters Geschichte so abgespielt hat, wie er es mir erzählt. Dass es aber unter den Obdachlosen viel Skepsis gegenüber den Geflüchteten gibt, bestätigt auch Gerald. „Viele glauben schon, dass es für uns jetzt keinen Platz mehr gibt", sagt er. „Da wird dann schon mal geschimpft über die. Ich glaub das aber nicht, weil für die Flüchtlinge werden ja woanders Quartiere gesucht und die Zelte gibt es auch. Ich persönlich finde das für die Kinder aber nicht gut. Das ist ja Wahnsinn, wenn die in diesen Zelten schlafen wo es reinregnet und alles."

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Während es an den Wiener Bahnhöfen laut Caritas bisher keine nennenswerten Auseinandersetzungen zwischen Refugees und Obdachlosen gab, hat in Salzburg zumindest ein Fall für Aufmerksamkeit gesorgt. Als der Focus Mitte September darüber berichtete, dass in der Tiefgarage des Salzburger Hauptbahnhofs Essen an Refugees verteilt würde, während „heimische" Obdachlose abgewiesen worden wären—und diese angeblich sogar stehlen müssten, um an Essen zu kommen—, war die Empörung in der Kommentarspalte groß.

„Seit einigen Tagen beobachten wir einen Anstieg der obdachlosen Flüchtlinge in Traiskirchen."

„Deutsche/Österreichische Obdachlose haben hundertmal mehr Recht auf Verpflegung als viele Flüchtlinge, es sind ihre Länder!!!", schrieb ein User. Eine andere meinte: „Ich kann es kaum fassen! Tausende Flüchtlinge werden versorgt und wenn die eigenen Armen auch was abhaben wollen, wird die Polizei geholt!"

Der Bericht des Focus stützt sich dabei lediglich auf Aussagen eines einzigen Soldaten, der die Vorfälle in der Tiefgarage am Salzburger Hauptbahnhof beobachtet haben will. Das Notquartier in der Tiefgarage des Bahnhofs wurde von der Caritas betrieben.

Gegenüber VICE versichert die Cartias Salzburg, dass man von Polizeieinsätzen gegen Obdachlose nichts wisse: „Dass es Polizeieinsätze gegeben hätte, um Obdachlose aus der Tiefgarage oder vom Bahnhof zu vertreiben, ist uns in den ganzen Krisengesprächen nicht mitgeteilt worden."

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Es hätte zwar vereinzelt Obdachlose gegeben, die um Kleidung oder Essen gebeten haben; diese seien aber weder von der Polizei noch von Caritas-Mitarbeitern abgewiesen worden. „Wir haben niemanden weggeschickt, der wirklich in Not war", erklären uns letztere. „Es ist aber auch nicht notwendig, dass Obdachlose etwa in der Tiefgarage um Kleidung bitten, weil es ja eigene Stellen für Obdachlose gibt und jeder Obdachlose in Salzburg das auch weiß. Sogar in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof gibt es eine Einrichtung für Obdachlose."

Informationsblatt für Refugees vor der Polizeistation in Traiskirchen. Foto vom Autor.

Von einem tatsächlichen Aufeinandertreffen von Refugees und Obdachlosen weiß auch Michaela Sieger nichts. „Uns sind keine nennenswerten Fälle bekannt", sagt sie. Jedoch verweist sie auf eine andere Problematik—nämlich die der obdachlosen Geflüchteten. „Seit einigen Tagen beobachten wir einen Anstieg der obdachlosen Flüchtlinge in Traiskirchen."

Traiskirchen ist mittlerweile aus der medialen Berichterstattung nahezu verschwunden. Und doch steht man dort immer noch vor großen, ungelösten Problemen.

Österreichweit sind laut Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner derzeit rund 3.200 Geflüchtete obdachlos. Beim Lokalaugenschein von VICE in Traiskirchen wird schnell klar, dass auch dort nach wie vor nicht alle Geflüchteten in winterfesten Quartieren untergebracht sind. Wie viele Menschen genau die Nacht im Freien verbringen müssen, ist unklar. Bürgermeister Andreas Babler war am Montag nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

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Schon am Bahnhof sitzen mehrere Gruppen von jugendlichen Refugees auf Bänken und am Boden und wärmen sich in der Sonne. Sie erzählen mir, dass manche von ihnen tatsächlich die Nacht im Freien verbracht haben. Schlafen könne man da nicht, dafür sei es zu kalt. „Wir sind herumgegangen und haben viel geredet, um uns von der Kälte abzulenken", erzählen sie mir.

Seit einigen Tagen gibt es auf Initiative von Flüchtlingskoordinator Christian Konrad einen Bus der Wiener Linien, indem obdachlose Refugees die Nacht verbringen können. Außerdem würden auch manche Privatpersonen in der Umgebung Geflüchtete in der Nacht in ihre Häuser lassen, um sie vor der Kälte zu schützen. Zudem soll nun ein erstes beheiztes UNO-Zelt an den Toren des Lagers aufgebaut werden, dass 150 Menschen als Warteraum dienen soll.

Durch den Zaun, der das Lager in Traiskirchen umgibt, spreche ich mit Olcay*. Sie ist glücklich, dass sie mit ihren zwei kleinen Kindern wenigstens einen Platz in einem der beheizten Zelte gefunden hat. „In der Nacht ist es jetzt sehr kalt und die Kinder sind krank, aber im Zelt ist es trocken, das ist gut", sagt sie. Der Weg von Syrien nach Österreich hat vor allem dem kleinen Melih* stark zugesetzt. „Jetzt geht es dem Kleinen wieder etwas besser, nur in der Nacht ist ihm oft sehr kalt. Ich versuche ihn immer zu wärmen", meint Olcay.

Olcay mit ihrer älteren Tochter vor dem Zelt, indem sie wohnen. Foto vom Autor.

Es ist schwer vorstellbar, wie die nächsten Tage und Wochen in Traiskirchen weitergehen sollen. Die Kältezeit hat gerade erst begonnen. Und das nicht nur dort. Auch an der österreichisch-deutschen Grenze nahe Passau kämpft man mit dem Wintereinbruch. Schon Ende Oktober hat Lothar Venus von der Stabsstelle des Landkreises Passau gewarnt: „Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das erste Baby hier erfriert."

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Jetzt ist der erste Schnee da, winterfeste Zelte fehlen jedoch noch immer. Gleiches gilt für zwei weitere Grenzübergänge, an denen Refugees auf ihre Einreise nach Deutschland warten. Muss man sich also jetzt auf eine humanitäre Notsituation in Österreich gefasst machen? Gibt es sowohl für Obdachlose als auch für die Refugees genug Quartiere für den Winter? Bereits im Oktober erklärte uns ein Architekt, dass die Situation allein mit einem besseren Plan der Regierung und einem vernünftigeren Umgang mit Leerständen bewältigbar wäre—wenn man denn wollte.

Die Caritas Wien meint dazu: „Faktum ist, dass es Menschen gibt, die das ganze Jahr über in Parks und auf der Donauinsel schlafen, wenn es genügend freie Plätze an Orten wie der Gruft gibt. Es sind Menschen, die die Hilfe oft nur sehr langsam annehmen können. Wir haben uns aber intensiv auf den Winter vorbereitet. Die Zahl der Notquartiersbetten wird in der kalten Jahreszeit sukzessive aufgestockt."

In Maria Enzersdorf hat die Caritas außerdem ein eigenes Notquartier für Flüchtlinge mit 640 Plätzen geschaffen. Ein weiteres gibt es auf dem Gebiet der Erzdiözese Wien, das vor allem für allein reisende, minderjährige Flüchtlinge gedacht ist. In Salzburg spitzt sich die Lage aber weiter zu. Dort platzen die Notquartiere aus allen Nähten. Um die Versorgung von Flüchtlingen und Obdachlosen auch im Winter aufrecht zu erhalten, sei es unumgänglich, „dass Bund und Länder weiterhin ihre Verantwortung übernehmen und die notwendigen Mittel in der Nothilfe und Grundversorgung zur Verfügung stellen. Es wird beides brauchen: strukturelle Solidarität und individuelle Solidarität", heißt es von Seiten der Caritas.

Es gehe vor allem darum, die Not und Armut der Menschen nicht gegeneinander auszuspielen. Die politische Stimmungsmache für die „heimischen" Obdachlosen und gegen die Refugees ist eine heuchlerische, aus der nur versucht wird, politisches Kapital zu schlagen. Wenn beispielsweise die FPÖ aktuell mehr Zuwendung für die „heimischen" Obdachlosen fordert, sollte man nicht vergessen, dass sich dieselbe Partei noch vor einem Jahr für ein generelles Bettelverbot stark machte und die Obdachlosen Wiens gern aus der Öffentlichkeit verbannen würde.

Laut Caritas gibt es genügend Mittel, um jeden, der Hilfe benötigt, auch tatsächlich versorgen zu können. Niemand müsse unversorgt auf der Straße stehen. Egal, ob nun Geflüchtete oder Obdachlose Hilfe benötigen und versorgt werden müssen: „Gemeinsam schaffen wir das", ist sich Michaela Sieger sicher.

* Name von der Redaktion geändert

Paul auf Twitter: @gewitterland