Wie ein österreichischer Gerichtszeichner die spektakulärsten Prozesse des Jahres erlebte
Alle Bilder: Gerald Hartwig/Zeichenstrich

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Verbrechen

Wie ein österreichischer Gerichtszeichner die spektakulärsten Prozesse des Jahres erlebte

"Mirsad O. erinnerte mich gewissermaßen an Fidel Castro, Alen R. an Edward Norton in Fight Club."

Aus Sicht der Strafjustiz wird das Jahr 2016 sicherlich in Erinnerung bleiben (OK, nicht nur aus Sicht der Strafjustiz). Das ist vor allem auf zwei Prozesse zurückzuführen, die beide vor einem—mittlerweile nicht mehr unumstrittenen—Geschworenengericht verhandelt worden. Beide Male war der Schauplatz das Landesgericht Graz. Im Februar eröffnete dort der bis dato größte Prozess der Zweiten Republik unter dem sogenannten Terrorismus-Paragraphen. Gegen den Hassprediger und IS-Unterstützer Mirsad O. und einen Mitangeklagten gab es Höchsturteile von 20 beziehungsweise 10 Jahren.

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Mit mindestens ebenso großem medialen Interesse (und öffentlichen Druck) wurde ab September gegen den Täter der Grazer Amokfahrt vom Juni 2015 prozessiert, bei dem drei Menschen ums Leben kamen. Auch hier gab es eine Höchststrafe: lebenslang für den Angeklagten Alen R.

In beiden Prozessen, die zum Teil unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen abgehalten wurden, kam auch ein Akteur zum Einsatz, der bei Prozessen hierzulande eher unüblich ist. Gerald Hartwig porträtierte als Gerichtszeichner beide Verhandlungen, da Fotos zum Teil nicht zugelassen waren. Mit uns hat er über diese etwas andere Perspektive der Prozessbeobachtung gesprochen.

VICE: Du hast ja eigentlich in Los Angeles Film studiert und dort, naja, "durchwachsene" Erfahrungen gesammelt. Am Ende bist du ja sogar im Gefängnis gelandet. Wie wurdest du zum Gerichtszeichner?
Gerald Hartwig: Ich bin mit 19 von Graz nach Los Angeles ausgewandert—mit dem klassischen Traum, dort im Filmbusiness Fuß zu fassen. Insgesamt war ich dann elf Jahre dort, hab studiert und an verschiedenen Projekten gearbeitet. Das mit dem Gefängnis war aber halb so dramatisch: Mein Visum war abgelaufen und ich hab trotzdem versucht, einzureisen. Da musste ich dann eine Nacht im Anhaltegefängnis verbringen, was aber sicherlich trotzdem prägend war. Nach 9/11 wurde es für Ausländer im Land deutlich schwieriger. Der Fall mit dem Visum, und auch ein anderer persönlicher Schicksalsschlag haben mich jedenfalls veranlasst, 2004 das Land zu verlassen und den Traum aufzugeben. Gezeichnet habe ich aber nebenher immer schon, meist in Verbindung mit Text und Storylines. Aus meinen unterschiedlichen Erfahrungen in LA entstand dann meine erste Graphic Novel Chamäleon.

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War deine Arbeit vor Gericht dann quasi eine neue Recherche?
Eigentlich nicht. Ich bin mehr durch Zufall dazu gekommen. Gerichtszeichner kommen in Österreich ja normalerweise gar nicht zum Einsatz. Das letzte Mal wurde so was beim Prozess gegen Franz Fuchs in den 90ern gemacht. Da geht es um Sicherheitsbedenken und heikle Persönlichkeitsrechte. Ich hatte im Vorjahr eine Kollaboration mit der Kleinen Zeitung. Die sind dann auf mich zugekommen und haben mich gefragt, ob ich ihnen statt Fotos nicht Zeichnungen vom Prozess liefern könnte. Beim Terror-Prozess waren ja jegliche Kameraaufnahmen streng verboten.

Manche Geschworene, und auch die Cobra-Beamten wollten, dass ich sie zeichne.

Hattest du da gewisse Auflagen?
Absolut. Beim Verfahren gegen Mirsad O. waren die Richter absolut tabu. Das gleiche galt für die Geschworenen und Staatsanwälte. Zeichnen durfte ich nur die Rechtsanwälte und die Angeklagten. Bei den vermummten Cobra-Polizisten war es natürlich auch kein Problem. Einer hat mich sogar gefragt, ob ich ihn zeichnen kann. Das war schon eine skurrile Situation. Er stand da, mit seinem Stg88-Gewehr und ich konnte nur seine Augen sehen. Wir haben uns nett unterhalten, weil er meinte, dass sein Sohn auch Talent zum Zeichnen hätte. Auch ein Geschworener hat mich gefragt, ob ich ihn zeichnen kann. Das ging natürlich nicht.

Alle Bilder: Gerald Hartwig/Zeichenstrich

Ergab sich bei den Prozessen eine Storyline, die du gerne verwirklichen würdest?
Also die Geschichten sind vor allem durch meine Gespräche mit verschiedenen Menschen am Rande der Prozesse entstanden. Mit dem Anwalt eines Angeklagten aus den Dschihadisten-Prozessen führte ich immer wieder spannende Gespräche vor Prozessbeginn. Gut möglich, dass sich vielleicht da etwas ergeben könnte. Dieses Spannungsfeld, wie man denn jemand vertreten kann, der von der Allgemeinheit geächtet wird, finde ich sehr interessant. Ansonsten hatte ich auch immer wieder Gespräche mit den Geschworenen. Man sah einigen, vor allem im Prozess zur Amokfahrt, schon an, dass sie sich mit dem öffentlichen Druck schwer taten. Da bestand ein Mitteilungsbedürfnis, auf das ich natürlich nicht eingehen konnte und auch durfte.

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Mirsad O. alias Ebu Tejma gilt ja als größter Fisch, der den heimischen Behörden als IS-Unterstützer ins Netz gegangen ist. Kam er dir vor wie ein klassischer Bösewicht?
Nein, klassische Bösewichte bleiben wohl etwas für Filme und Comics. Das Böse bezieht sich dabei am ehesten auf sein Äußeres, das man durch den islamistischen Kontext ja negativ wahrnimmt. Er ist offensichtlich sehr raffiniert und intelligent vorgegangen. Die Aufrufe zu terroristischen Handlungen erfolgten unterschwellig, mit verdeckter Kommunikation. Gleichzeitig ist er sicher eine charismatische Person. Die Eloquenz, das was er sagt, hat natürlich Kraft. Mirsad O. war für mich mehr eine Art Verführer, von dem natürlich eine Gefährlichkeit ausgeht.

Wie war das bei Alen R.? Beim Prozess zur Amokfahrt in Graz waren Fotos ja teilweise wieder erlaubt. Du warst trotzdem dort. Man kennt die Bilder von Alen R. in seinem zu großen, weißen Anzug. Irgendwie schien er fast was tragikomisches an sich zu haben. Welche Merkmale von ihm wolltest du festhalten?
Auffällig war seine Körperhaltung. Der Anzug hing natürlich auf ihm drauf, wie ein Gestell. Dazu kam, dass er stundenlang kaum seine Haltung und Sitzposition geändert hat. In seinem Gesicht war kein Muskelton vorhanden. So wie als wenn ihm beim Zahnarzt eine Ladung Novocain verabreicht worden wäre. Alles ist runtergehangen, da war keine Regung, keine Mimik. Spielen kann man so was glaub ich nur schwer. Es wurde dann ja auch bekannt, dass er ja ziemlich mit Medikamenten vollgepumpt war. Er war einfach weg, und wollte auch nicht da sein. Durch seine regungslose Art wurde er in seinem weißen Anzug irgendwann transparent.

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"Mirsad O. erinnerte mich gewissermaßen an Fidel Castro, Alen R. an Edward Norton in Fight Club."

Gab es für dich Parallelen zwischen den beiden Fällen beziehungsweise ihren Protagonisten?
Die zwei Charaktere Alen R. und Mirsad O. sind natürlich auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Parallelen habe ich aber vor allem in der Stimmung der Prozesse empfunden. Es waren beides Mal Welten und Überzeugungen, die aufeinander einprallten. Bei den Dschihadisten konnten manche der Angeklagten nicht begreifen, wieso sie überhaupt vor Gericht standen. Alen R. wiederum zog sich komplett zurück in seine Welt, in der "er das Opfer ist" und sich "an nichts erinnern kann"; trotz erdrückender Gegenbeweise.

Mit Filmen und Comics kennst du dich aus. Sind dir ähnliche Charaktere, wie die der beiden Hauptangeklagten, schon einmal im Ansatz wo untergekommen?
Also bei Mirsad O. muss ich rückblickend fast ein wenig an den jungen Fidel Castro denken. Einerseits optisch, aber natürlich auch von einer Ideologie her, die für ihn absolut unumstößlich ist. Auch die Rolle des Verführers und der eloquenten, charismatischen Alpha-Rolle passt da rein. Bei Alen R. ist es etwas schwieriger, aber auch da ergeben sich Parallelen. Mir fällt spontan etwa Edward Norton in Fight Club ein. Ein neurotischer Loser, der ein starkes Alter Ego hat, dass für ihn die Sachen erledigt. Wir haben vor Gericht ja auch sein Vernehmungsvideo gesehen. Da wirkte er wie eine andere Person, viel kräftiger und fast manisch. Der Vergleich einer Dr. Jekyll und Mr. Hyde Persönlichkeit drängte sich da schon auf.