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Die Geschichte des Südsudan

Die White Army

Wenn man der White Army Waffen, eine Mission, Ziele und die Erlaubnis gibt verwandelt sich eine Masse Kuhhirten mit scharfen und stumpfen Gegenständen zu einer vollkommen unberechenbaren Tötungsmaschine.

In Malakal liegt eine Art Freude in der Luft—die Rebellen feiern und sammeln ihr geplündertes Diebesgut. Fotos von Tim Freccia.

Nach der Fahrt mit dem Boot müssen wir einen Weg von Nasir nach Malakal finden—nur knapp 200 Kilometer Luftlinie—eine Tagesreise über kurvige Dschungelstraßen. Und es gibt nur wenige Autos, außer gestohlenen NGO-Fahrzeugen, die alle Teil des großen Sturms auf Malakal sein sollen.

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Ein Journalist namens Ruot hat gehört, dass wir nach Malakal wollten, und bietet uns an zu fahren, wenn wir uns am Benzin beteiligen würden. Wir fahren um 6 Uhr morgens los, manövrieren über Feldwege und durch Dornenbuschwälder. Als wir in der Nähe von Doma ankommen, entscheiden wir uns, kurz zu halten, und betreten eine Kirche. Der Pastor begrüßt uns. Er ist sehr nett und hilfsbereit und erzählt uns, dass vor Kurzem eine Garnison auf dem Weg nach Malakal vorbeigekommen ist. Hier scheint viel zu passieren, wir kommen also näher. Wir wünschen dem Pastor alles gute und gehen zurück zum Auto.

Wir treffen auf etwas, das wie eine Fata Morgana aussieht: eine Straße, die vor recht langer Zeit, mitten während des Baus aufgegeben wurde, etwa 25 Kilometer südlich von Malakal. Sandhaufen aus der Zeit, als hier noch gearbeitet wurde, sind zu sehen, dazwischen sind Bäume gewachsen. Als wir in die Stadt fahren, laufen Soldaten und Zivilisten in die entgegengesetzte Richtung. Die Straße wird breiter, als wir das Rebellencamp erreichen. Wir passieren einen verlassenen Panzer und Soldaten fahren mit wahnsinniger Geschwindigkeit in gestohlenen Toyotas an uns vorbei.

Wir biegen in eine umfunktionierte Bauzentrale ein und finden eine Reihe großer Baggerschaufeln und einige Männer, die sich unter einem Baum ausruhen. Wir suchen General Gathoth Gatkuoth, den ehemaligen Kommandanten der Gegend, ehemaliger Beauftragter von Nasir und der Mann, den Machar beauftragt hat Malakal wiedereinzunehmen.

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Dieser strategisch wichtige Nilhafen liegt am nördlichen Rand des großen Sumpfes und verbindet die Ölregion mit dem Norden. Hier können die Rebellen auch Unterstützung aus Khartoum bekommen, wenn sie Malakal denn erobern und halten können.

Gatukoth und sein Stab scheinen sehr erfreut zu sein, uns zu sehen. Er hat eine große Ankündigung zu machen, aber erst mal muss er offiziell aussehen und legt seine Epauletten an.

Danach kommt er wieder und verkündet seine Neuigkeiten: „Um 7 Uhr heute morgen, nach einem kurzen Kampf, hat der Widerstand Malakal eingenommen. Es wurde aus dem Süden und dem Norden angegriffen. Die Regierungskräfte wurden nach Norden über den Fluss gedrängt und sind geflohen.

Der General hat keine Ahnung, wie viele Menschen gestorben sind. Er beharrt darauf, dass es keine Zivilisten mehr in der Stadt gibt, weil sie schon dreimal dem Erdboden gleichgemacht wurde. Er plant, weiter nach Norden zu ziehen und die Kontrolle über das Öl zu übernehmen. Gatkuoth listet Machars Argumente gegen Kiir auf—fordert ein Ende der Korruption, der Stammessysteme und so weiter—und schreibt den heutigen Sieg der White Army zu. Aber wo ist die White Army? Wenige bis gar keine Journalisten haben die White Army jemals in den Kampf begleitet. Alles externe Wissen beläuft sich auf ein paar akademische Aufsätze, die sie als amorphen Mob mit enormem Gewalt- und Zerstörungspotenzial beschreiben. Und dann, wie bestellt, taucht auf einmal die White Army auf.

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Eine ziemlich mitgenommene Flotte weißer, gestohlener NGO-Kombis fährt vor und zieht Staubwolken hinter sich her. Aufgedreht und voller Adrenalin kehren die Soldaten aus dem Kampf zurück, sie schreien und rufen, hängen aus den Autofenstern und auf den Dächern und sitzen dichtgepfercht in den Kombis. Sie haben keine bestimmten Uniformen, aber alle tragen ein rotes Stirnband, entweder aus Plastik, Stoff oder einem Stück Schnur. Sie halten rostige Waffen, haben angemalte Fingernägel, tragen Flip-Flops und dreckige T-Shirts. Die Fenster sind von außen mit Blut verkrustet.

Als sie anhalten, strömen Dutzende Soldaten aus den Fahrzeugen, viele von ihnen Kinder. Teile von geschlachteten Tieren werden zusammen mit Rucksäcken, leeren Wasserkanistern und anderer Ausrüstung ausgeladen.

Viele der Männer sind verwundet. Manchen wurde ins Gesicht geschossen. Andere haben Wunden in der Brust oder in Armen und Beinen. Sie werden aus den Autos transportiert und an einen Mann im Arztkittel weitergereicht. Im Inneren des heißen Gebäudes, das zur Klinik umfunktioniert wurde, warten die Männer geduldig. Es gibt keine medizinische Ausrüstung. Die Kämpfer fragen uns nach Schmerzmitteln. Tim Freccia gibt einem der Männer eine Packung Morphiumpillen und der Mann ist überrascht, dass er alle behalten darf.

Jede Gruppe, die ankommt, hat ihre eigene Geschichte. Die Ersten sind aufgedreht, sie sagen, dass sie 20 Männer getötet haben. Die nächste Gruppe ist wütend, weil die Männer neben ihnen nicht mit ihnen die Stellung gehalten haben und geflohen sind. Manche der Männer auf dem Dach der Klinik wedeln mit ihren Panzerfäusten und AKs und wollen fotografiert werden. Eingeschlagene Fenster und Einschusslöcher dekorieren ihre kurzgeschlossenen Trucks. Andere glauben, Kriegsschiffe gehört zu haben, und sind davon überzeugt, dass Uganda Malakal über Nacht wieder einnehmen wird. Je mehr dieser Gruppen ankommen, desto klarer wird es, dass das Einzige, was sie gemeinsam haben, ist, dass sie high sind, weil sie Malakal erobert haben.

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Gatkuoth sagt uns, dass zurzeit 35.000 Mitglieder der White Army gegen 10.000 Soldaten der Sudanesischen Streitkräfte kämpfen. Wir glauben, dass die realen Zahlen eher in den niedrigen Tausendern sind, aber Schätzungen sind offensichtlich schwierig. Es scheint vernünftig zu sein, alles durch zehn zu teilen.

Ein Laster kommt an, auf dem Rebellen mit schwereren Verletzungen liegen. Alle haben blutunterlaufene Augen, sind müde und schmutzig. Sie sind nicht mit der insektenabweisenden weißen Asche bedeckt, die der White Army ihren Namen gegeben hat, sondern mit Straßendreck, der von der zweistündigen Fahrt von der Front herrührt. Das Hemd eines Mannes ist blutdurchtränkt und er schaut nur noch in den Himmel. Ein anderer kann nur noch schwer durch zusammengepresste Zähne atmen. Kämpfer mit Bauchschüssen ertragen die Schmerzen ohne zu schreien. Niemand schreit, weint oder beschwert sich. Die Verwundeten warten schweigend auf Behandlung.

Plünderer oder Befreier? Ein Soldat der White Army in Malakal bringt seine Kriegsbeute in Sicherheit..

Als wir den schwarzen Rauchsäulen entgegen in Richtung Inferno fahren, kommen uns keine Leute mehr entgegen.

Gestohlene Toyota Trucks auf denen Verwundete transportiert werden, rasen an uns vorbei, die Rebellen darin klammern sich fest. Die Straße ist von Autowracks gesäumt. Von ein paar der Autos wurden schon die Reifen abmontiert.

Malakal zu betreten ist surreal. Die Stadt ist voller unzusammenhängender Chaos-Szenen: Gebäude, die zum Soundtrack von Gewehrsalven in Flammen stehen, explodierende Panzerfäuste und permanente Schießereien. Überall sind Rebellen, die mit geplünderten Waren durch die Straßen laufen oder versuchen, die letzten Gegener in ihren Häusern zu verbrennen. Manche von ihnen lassen sich gern fotografieren, die anderen werden wütend, wenn sie Tims Objektiv sehen. Es gibt keine Organisation, keine Struktur—nur Kämpfer, die in eine zufällige Richtung laufen, gerade getötete Menschen, die dort liegen, wo sie gestorben sind, ihre Dinge um sie verstreut. Fast die gesamte Innenstadt von Malakal ist zerstört. Uns wird gesagt, dass die SPLA-Truppen, die hier stationiert waren, sich irgendwann zurückgezogen haben, zum Fluss gerannt sind, um Boote zu finden oder ertrunken sind. Die Rebellen haben viele in den Sumpfgebieten entlang des Nils getötet, für die Anzahl interessiert sich allerdings niemand.

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Als wir durch die Stadt fahren und irgendjemand suchen, der sich verantwortlich fühlt, sehen wir, dass jedes Haus von einer Gruppe von einem Dutzend oder mehr Kämpfern in Besitz genommen wurde. Sie zeigen uns den Weg zum General.

Frauen und Kinder versuchen zusammen zu bleiben und einen Weg nach draußen zu suchen. Es fühlt sich nach Krieg an, aber die Soldaten der SPLA sind geflogen und haben das Feld der White Army hinterlassen, die sich an den Zivilisten rächt.

Wir drücken uns durch ein Metalltor und treffen in einem Lehmhaus auf unseren grinsenden General. Gatkuoth diskutiert die Situation mit seinen Offizieren. Darunter ist ein Befehlshaber der White Army, Odorah Choul, der in den rechten Arm geschossen wurde. Er trägt ein grünes Berret mit einem Kobra-Anstecker aus Blech.

Gatkuoth freut sich, uns wiederzusehen. Er warnt uns, dass Söldner in Malakal unterwegs sind, sie wurden aus Rebellengruppen aus an-Nil al-azraq (dem sudanesischen Bundesstaat Blue Nile) und Darfur rekrutiert.

Ich frage ihn, ob er oder seine Männer Widerstand von ugandischen Soldaten erlebt haben.

„Nein, aber wenn wir einen ugandischen Soldaten finden, werden wir ihn gefangen nehmen und dir seinen Ausweis zeigen.“

Der General wirkt heute härter als gestern. Er fordert, dass Salva Kiir „abdankt und für jeden Nuer, den er getötet hat, 25.000 US-Dollar zahlt“. Museveni, der ugandische Präsident, soll ebenfalls zur Rechenschaft gezogen werden, ansonsten, warnt der General, wird dieser Krieg immer weitergehen und das gesamte Land wird darunter leiden. Er sagt, dass sein Plan sei, die ölreichen Gebiete zu besetzen, alle Verträge zu kündigen und die Erlöse den Nuer zu geben, weil es immerhin ihr Land sei. „Alle Verträge werden gekündigt, weil sie korrupt sind!“, ruft er aus.

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Wir sagen dem General, dass wir uns in der Stadt umsehen wollen, aber er warnt uns, dass in den Gebäuden noch Scharfschützen sind. Er zeigt auf eine Stelle auf der Hauptstraße, ein paar Meter weit weg und sagt: „Dort wurde ein Mann erschossen.“

Malakal in Flammen. Währen Menschen vergewaltigen, brandschatzen und töten, sind andere auf der Suche nach Wasser oder tanzen in den Straßen.

Wenn man einen Ort finden müsste, der die wahre Natur des Krieges zeigt, dann wäre das Malakal an diesem Abend. Zehntausende junge Männer, high auf Gewalt, feiern, brennen und plündern—und posen für Fotos.

Die Geschichten von Kämpfern, die direkt dabei waren, zeigen ein bisschen von der racheerfüllten Gewalt, die den Kämpfen zugrunde liegt. Nachdem die SPLA-Soldaten zum Fluss geflohen und dort niedergemäht worden waren, zog die White Army von Haus zu Haus und mordete, vergewaltigte und plünderte. Soldaten werden lebendig verbrannt. Manche wurden mit Speeren gepfählt. Manche wurden übereinander gepfählt. Mir fällt ein Auto auf, das nicht kurzgeschlossen ist, sondern mit einem Schlüssel angelassen wird. „Ich habe den Fahrer erschossen“, sagt mir einer der Rebellen voller Stolz.

Manchen scheint der Blutrausch um sie herum peinlich zu sein. James, ein 27-jähriger Student, der Biologie studierte, bevor er sich der White Army anschloss, fasst das Chaos, das jetzt sein Leben ist, so zusammen: „Früher habe ich studiert, jetzt erschieße ich nur noch Leute.“

Fernab der ruhigen Vorlesung, die Machar unter dem Baum am Fluss gehalten hat, ist Malakal die Rache dafür, was 600 Kilometer entfernt in Juba passiert ist. Die White Army steht für das, was wir an der Menschheit hassen—pure Gewalt, Gier—genau das, wovon der Westen behauptet, es würde niemals wieder passieren, aber es passiert genau hier, genau jetzt—Machot versucht, das Chaos in Kontext zu setzen. Er erinnert uns daran, dass viele Nuer hierherkamen, um ihre Familien vom örtlichen UN-Gelände zu holen, wohin sich die Gewalt zwischen Nuer und Dinka ausgebreitet hat. Das erklärt aber nicht die Kämpfer mit den roten Stirnbändern, die rumlaufen und ihre Gewehre in die Luft feuern, die vollgepackt mit geplünderten Sachen sind und keine Ahnung haben, wie diese Geschichte ausgeht.

Immer mehr und größere Gruppen von Männern versetzen die Stadt in Angst und Schrecken. Manche rotten sich zusammen, um Strohgebäude anzuzünden und dann in die Flammen zu schießen, auch wenn sich niemand mehr wehrt.

Machot erklärt, dass sie die Häuser verbrennen müssen, damit die Leute drinnen „aufgeben“. Ich erwähne, dass die einzigen Leute hier, Machars Männer sind, die White Army und die Toten. Es ist offensichtlich, dass er sich nicht wohlfühlt, mit dem, was er sieht. Seine persönliche Mission, den Sudan zu retten, wurde von den Ereignissen um ihn herum unterlaufen.

Bei Sonnenuntergang zeigt sich ein gespenstisch-perfektes Bild: ein dunkelblauer Horizont, mit einer glühenden Linie brennender Häuser, wie ein Gemälde aus der Hölle. Hunderte junge Männer sind unterwegs und feuern in die Luft, immer noch high und jubelnd, aber mit niemandem mehr, den sie töten können, und nichts mehr zu plündern. Tausende von Khartoum bezahlte Kugeln schwirren durch die Luft, Panzerfäuste werden abgefeuert und erhellen den Nachthimmel. Hier gibt es keine Munitionsknappheit. PK-Maschinengewehre und ihre grünen Tracer feuern in den Himmel. Das Stakkato der AKs ist überall zu hören.

Im Hof des Hauses des Generals rollen Soldaten ihre Schlafsäcke zwischen verbrauchten Munitionsgürteln aus. Wir werden eingeladen, in Gatkuoths Zimmer zu übernachten, was eigentlich sicher ist, aber schnell zum gefährlichsten Ort der Stadt werden könnte, falls sich Uganda entschließen sollte, das Signal seines Satellitentelefons zu orten.
Um 10 Uhr abends ist das Adrenalin weg, das Gewehrfeuer hört auf und die Flammen der brennenden Gebäude erlöschen.