Diese indische Bergbaustadt brennt seit 100 Jahren

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Diese indische Bergbaustadt brennt seit 100 Jahren

Der Bergbau in Jharia macht mit seiner Luftverschmutzung Menschen krank und fordert immer wieder Leben, weil Einheimische in Gruben voll brennender Kohle fallen.

Dieses Jahr wird es ein Jahrhundert her sein, dass das ewige Feuer unter der indischen Bergbaustadt Jharia anfing zu brennen. Es wurde damals vom Einsturz tiefgelegener Minen verursacht, und die gesamte Stadt ist erfüllt von giftigen Gasen. Die Luftverschmutzung zieht in den umliegenden Dörfern und Städten Todesfälle nach sich. Ebenfalls kommt es häufig vor, dass Arbeiter und Arbeiterinnen in die Gruben voll glühender Kohle fallen und sich dabei verletzen oder umkommen.

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Bergbaufirmen in der Region kämpfen seit Jahren damit, die Feuer zu löschen, doch ihre Bemühungen sind nur in manchen Gebieten erfolgreich. Natürlich kann keine gute Arbeit in den Augen der Einheimischen aufwiegen, dass im Laufe der Jahre so viele falsche Methoden angewendet wurden, die so viele Tote hervorgebracht und bereits geschätzte 100.000 Familien aus dem Umkreis von Jharia vertrieben haben.

Ich habe mich mit dem Fotografen Seb Heseltine, der 2015 die Stadt besucht hat, über das Leben und die Arbeit in Jharia unterhalten.

VICE: Wie bist du auf Jharia aufmerksam geworden?
Seb Heseltine: Ich bin schon immer fasziniert von anderen Kulturen gewesen und will über sie lernen. Als es an der Zeit für unser Abschlussprojekt war, hatte ich diese etwas naive Idee, einen Ort zu dokumentieren, der mir völlig fremd war. Im Laufe des Jahres habe ich die Arbeit von Steve McCurry wirklich schätzen gelernt, vor allem seine Arbeit in Indien.

Bei meinen Vorbereitungen habe ich mich dann also auf eine indische Industrieregion konzentriert, weil es einige Diskussionen darüber gegeben hat, ob Indien als Entwicklungsland oder als Industriestaat bezeichnet werden sollte. Dann habe ich erfahren, wie wichtig Kohle aktuell für Indien ist, und in welch einer komplexen Situation sich Jharia im Moment befindet.

War es also deine Hauptmotivation, das Bewusstsein dafür zu schärfen, oder wolltest du die Geschehnisse einfach für die Nachwelt dokumentieren?
Die Region ist bis 2010, 2012 eigentlich ganz ausgiebig dokumentiert worden, doch dann fing die Regierung an, die Einheimischen, deren Häuser von den unterirdischen Feuern gefährdet waren, umzusiedeln. Über die Entwicklungen seit dieser Zeit konnte ich keine Details finden. Und da 2016 dann das hundertste Jahr in Folge mit dokumentierten Feuern sein würde, musste ich einfach selbst hin und mehr darüber erfahren.

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Welche Herausforderungen musstest du beim Fotografieren überwinden?
Ich würde sagen, eine der größten Herausforderungen war es, einige der Bergbaugebiete und die Stellen, an denen die Feuer brannten, zu fotografieren. Ich hätte kein Journalistenvisum bekommen, weil diese Situation nichts ist, was die Regierung dokumentiert haben will. Auch die Lokalpresse berichtet nicht darüber.

Du glaubst also, dass die Geschichte vielleicht in gewissem Maße von der Regierung zurückgehalten wird?
Ja, das glaube ich. Der Polizeichef des Bundesstaats hat sogar völlig unerwartet meinen Fixer angerufen und gesagt, ich dürfe nach meiner zweiten Woche keine Fotos mehr von Kohle machen. Den Sicherheitsleuten der Bergbaufirmen wird auch gesagt, sie sollen nach Fotografen Ausschau halten, und Einheimischen wird sogar Geld gezahlt, wenn sie Informationen über Fotografen weitergeben. Deswegen hat mein Fixer den Anruf erhalten.

Welche Erlebnisse werden dir am stärksten in Erinnerung bleiben?
Ich habe viele Geschichten darüber gehört, wie Leute in die Flammen gefallen sind. Eine Woche nach meiner Ankunft ist ein Security von BCCL Mining in der Nähe der Stadt Dhanbad ins Feuer gefallen und gestorben. Es war auch schwierig, die Familie eines der Kinder zu sehen, die ich fotografiert habe. Der Junge hatte schlimme Verbrennungen am ganzen Körper, und die Wunden haben sich infiziert, wegen Insekten und der mangelhaften medizinischen Versorgung.

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Die Einwohner von Bokahapadi haben Angst vor den giftigen Gasen und Feuern in der Nähe ihres Dorfs, doch sie haben keine Wahl, als zu bleiben: Das Sammeln von Kohle bringt ihnen das nötige Einkommen, um ihre Kinder mit Essen und Schulbildung zu versorgen. Wenn sie in die Umsiedlungslager gehen [im Juli 2015 hatte die Bergbaufirma BCCL Behausungen für 2.500 ihrer 15.000 Mitarbeiter gebaut], dann müssen sie größere Entfernungen zurücklegen und können somit nicht so viel verdienen, um ihre Familien zu ernähren. Und die Leute, die bereits in den Lagern leben, sind mit ihrer Situation äußerst unzufrieden.

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Wie sollte das Problem deiner Ansicht nach gelöst werden?
Im Idealfall sollte die Lokalregierung den notleidenden Familien größere Aufmerksamkeit schenken, sie für ihre Verluste entschädigen, und die Bergbaufirma BCCL sollte die medizinische Versorgung für alle bezahlen, die auf instabilem Land verletzt worden sind. BCCL ist eine der wichtigsten Bergbaufirmen in der Region. Ich habe mit einem der Demonstranten aus Jharia, Ashok, gesprochen. Er hat aufgehört, an der Universität Physik zu unterrichten, um in Vollzeit gegen BCCL zu protestieren. Er ist der Ansicht, die Sicherheitsvorschriften von BCCL seien nicht gut genug und andere Firmen, wie zum Beispiel TATA, hätten kaum Probleme mit Feuern, die sich immer weiter ausbreiten.

[2012 hat BCCL verkündet, die Firma habe das Gebiet, das von glühender Kohle betroffen ist, von 8,9 Quadratkilometer auf 2,18 Quadratkilometer verkleinert.]

Was hat es mit dem Röntgenbild auf sich?
Ich war in einem der Krankenhäuser in der Region und habe mich dort mit Dr. Ashutosh Kumar und einigen anderen Mitarbeitern unterhalten. Dr. Kumar hat von den Langzeitfolgen erzählt, die Arbeit und Leben unter diesen Bedingungen mit sich bringen. Das Röntgenbild ist von einem Einheimischen, der an Pneumokoniose [Staublunge] leidet. Das passiert im Grunde, wenn jemand viel ohne Sicherheitsausrüstung im Bergbau arbeitet. All der Kohlestaub hinterlässt im Laufe der Jahre seine Spuren in der Lunge. Dr. Kumar sagte, die durchschnittliche Lebenserwartung der Einheimischen, die in den Minen gearbeitet haben, liegt bei etwa 55.

Mehr Fotos von Sebs Projekt, sowie die Abschlussprojekte der anderen Fotografinnen und Fotografen in seinem Kurs, gibt es bei der MA-Ausstellung des LCC vom 15. bis 23. Januar am London College of Communication zu sehen.