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Popkultur

Dieser Roman besteht komplett aus Grusel-GIFs

Die Handlung bewegt sich irgendwo zwischen einem Disney-Snuff-Film und einem Deep-Web-Comic von Satan.

Im Laufe des letzten Jahrzehnts oder so wurde viel darüber geredet, wie der Roman, ein Medium das traditionell auf Papier und Tinte basiert, in einer zunehmend Multimedia-lastigen Landschaft relevant bleiben kann. Warum sollte man ein Buch lesen, wenn man den ganzen Tag auf Tumblr schmökern kann? So die verbreitete Sichtweise. Doch bei mir hat unser kollektives Schlittern in den digitalen Abgrund die Wertschätzung für Bücher nur gesteigert. Die Maschinen auszuschalten und in eine Welt der puren Illusion und Fantasie abzutauchen, ist dadurch nur erfrischender geworden.

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Jedenfalls erfährt die Beziehung zwischen Literatur und Internet ein rasantes Wachstum und Dennis Cooper steht an der Speerspitze der Internet-affinen Schriftsteller, die diese neue Landschaft prägen. Von seinen frühen Romanen—darunter eine Reihe täuschend gestaltwandlerischer Bücher namens The George Miles Cycle [„Der George-Miles-Zyklus"]—bis hin zu seiner neuesten Druckveröffentlichung, einem wahnwitzig texturierten Labyrinth aus Fata-Morgana-artigen Ideen namens The Marbled Swarm [„Der marmorierte Schwarm"], versprechen Coopers Werke eine vollständige Rekontextualisierung ihres Hintergrunds, womit er unser aller Denkweise überarbeitet.

Dieser Geist der Innovation offenbart sich speziell in seiner neuesten Veröffentlichung, Zac's Haunted House [„Zacs Gruselkabinett"], einem kostenlosen digitalen Roman, der komplett aus animierten GIFs besteht. Der Roman bemächtigt sich einer Erfahrung irgendwo zwischen einem Spiegelkabinett, einem geschnittenen Disney-Snuff-Film und einem Deep-Web-Comicstrip von Satan, wobei er die Idee ausbaut, dass ein Buch nicht einfach aus Sätzen auf Papier bestehen muss, ja, dass ein Buch sich nicht einmal sonderlich mit Sprache beschäftigen muss.

Cooper und ich unterhielten uns per E-Mail über seinen Roman, das Internet und darüber, was zur Hölle wohl als Nächstes kommen wird.

VICE: Wie kamst du darauf, einen Roman zu schreiben, der nur aus animierten GIFs besteht?
Dennis Cooper: Der GIF-Roman entwickelte sich aus dieser Sache, die ich auf meinem Blog machte, wo ich diese riesigen Stapel aus Bildern erstellte—so zwischen 70 und 120 Stück—die eine bestimmte Idee oder ein bestimmtes Thema illustrierten. Ich fing an, GIFs in die Stapel einzubauen, und dann entwickelte ich ein solches Interesse an GIFs, dass ich reine GIF-Stapel baute. An diesem Punkt fing ich an, all diese kuriosen, unerwarteten Dinge zu bemerken, die in ihnen und zwischen ihnen passierten, wenn man sie kombinierte.

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Also fing ich an, damit zu experimentieren. Ich versuchte, diese total absichtlichen Effekte zu erzielen und die zufälligen Dinge, die passierten, in eine Ordnung zu bringen. Schließlich hatte ich die Idee, einen Roman daraus zu machen. Die Vorstellung fand ich unter anderem spannend, weil ich es zwar liebe, sprachbasierte Romane zu schreiben, aber ich schon immer die Geschichte/Charaktere/Handlung viel tiefer in der Romanstruktur verankern wollte, als es mir möglich war. Mit The Marbled Swarm kam ich der Sache bisher am Nächsten, denn dort sind die unmittelbare Handlung und die Charaktere nur Muster für und geheime Zugänge zu dieser ganzen substrukturellen Welt, die innerhalb des Romans existiert. Aber sie waren immer noch da und beanspruchten die oberste Schicht des Romans für sich.

Bei einem GIF-Roman sah ich die Möglichkeit dazu, diese Dinge mehr im Fundament anzusiedeln und dafür die Struktur und den Stil und die Täuschung, in die sie eingebettet sind, zum dominanten Aspekt zu machen.

Es ist irgendwie seltsam, wie eindeutig „lesbar" die GIF-Kette im Roman ist, obwohl alles auf Bildern basiert. Wie hast du begonnen, das Gefühl einer Geschichte zu konstruieren, die der Struktur dieser Stapel zugrunde liegt?
Ich denke, das animierte GIF ist eine sehr reichhaltige Sache, und zwar größtenteils unabsichtlich? Für den Roman stellte ich sie mir als verrückte, visuelle Sätze vor. Aber im Gegensatz zu Text-Sätzen, erledigen sie schon die ganze Fantasiearbeit für den Leser. Sie machen dich wirklich passiv. Sie jonglieren einfach mit deiner Sicht und dir bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als gegen diese aggressiven Dauerschleifen hypnotischer Effekte, die etwa so stumpf sind wie Feuerwerk, anzukämpfen, um die Bilder und die Mini-Handlungen/-Geschichten zu sehen, die sie kontextualisieren. Ich denke, letzten Endes sind sie in erster Linie Rhythmen, oder sie reduzieren ihre Bildsprache und Aktivität etc. zu illustrativen Komponenten äußerst strenger rhythmischer Muster, die das Auge in gewisser Weise in ein Ohr verwandeln.

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Es ist meine Idee, dass die visuellen Inhalte der einzelnen GIFs, wenn man einen Roman aus ihnen macht, eine Doppelrolle erfüllen können, wie es die Instrumentierung und der Gesang in einem Musikausschnitt tun. Sie werden nichts weiter als die rhythmische Textur der Endlosschleife, und das scheint den Inhalt der GIFs in gewisser Weise von ihrem Ausgangsmaterial zu isolieren. Wenn man diese Stapel kombiniert und einander gegenüberstellt, wenn man es vorsichtig macht, dann kann man ihre individuellen Rhythmen auf eine Art und Weise brechen oder stören, die ihren visuellen Gehalt entweder an die Oberfläche bringt oder zu Abstraktionen werden lässt. Im Grunde genommen kann man ihren Inhalt und ihr Erscheinungsbild dann als Sets und Schauspieler und Kinematografie in einer Fiktion einsetzen. Sie können ihre Verweise behalten, wenn man sie entsprechend organisiert, und man kann diese Assoziationen verwenden, um Abkürzungen zu erschaffen zu Ideen oder Emotionen, die man kommunizieren will. Oder sie können ziemlich formbar und tagtraumartig werden, wenn man sie entleeren kann, bis sie nur noch Bewegungen sind, die so neutral sind wie ein Text.

Das wirklich Spannende ist für mich, dass die Erzählungen so unrealistisch oder abstrakt oder sinnlos oder trivial oder kläglich oder unleserlich sein können, wie man will, und dennoch wird es immer in ihrem Wesen liegen, Vergnügen zu bereiten.

Du betreibst extrem viel Mapping und Organisation bei deinen Romanen, deswegen habe ich ständig nach Schlüsseln zu dem System gesucht, nach Dingen, die sich als verbindende Elemente durch das gesamte Projekt ziehen. Ist die Inspiration für diese roten Fäden immer Bauchgefühl, oder anfangs noch Bauchgefühl und dann mehr Analyse des Bauchgefühls und Darauf-Aufbauen? Oder etwas völlig Anderes?
Es fing an mit einer Reihe von Leitmotiven oder einfach nur Dingen, die ich verwenden wollte. Zum Beispiel wollte ich anfangs, dass es einen roten Faden mit Erdbewegungsgeräten gibt. Also machte ich mich auf die Suche nach entsprechenden GIFs. Im Grunde tat ich das Einzige, das man tun kann—Schlüsselwörter zusammen mit „animiertes GIF" bei Google Bildersuche eingeben, und auch bei Giphy, Tumblr, etc. Und dann fügte ich Adjektive hinzu, um in die weniger öffentlichen Nischen zu gelangen, wo sich GIFs finden. Es gab nicht viele interessante GIFs mit Erdbewegungsgeräten, aber ich fand Motive im Müll, die am Ende in dieser Kategorie kontextualisiert wurden, und sie waren nützlich und ließen das ursprüngliche Motiv mutieren. Es ist eigentlich nicht großartig anders als meine Vorgehensweise wenn ich Textromane schreibe, denn ich konstruiere immer dichte Untersysteme in meinen Romanen, die Motive und Bilder enthalten, die auf eine Art zusammenarbeiten, die ich als eine Art „internes Reimschema" bezeichne. Der formelle Hauptunterschied besteht darin, dass man bei einem GIF-Roman auf Internetressourcen beschränkt ist, während man bei Text nur von der eigenen Fantasie eingeschränkt wird.

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Lange Rede, kurzer Sinn: den Roman zu erschaffen, bedeutete eine seltsame und aufregend schwierige Kombination aus einer sehr durchgeplanten Arbeitsweise und einer sehr intuitiven. Manchmal kam mein Bauchgefühl zuerst, manchmal war das Gegenteil der Fall, und oft kam beides gleichzeitig. Diese Form ist für mich sehr neu, daher fühlt es sich ziemlich ungeschliffen an, darüber zu sprechen.

Die Leute kommentieren die grausigen Aspekte deiner Arbeit, aber ich finde dein Sinn für Humor war schon immer ein extrem wichtiger Bestandteil deiner Stimme. Was sind deine Gedanken zum Thema Humor in deiner Arbeit, vor allem bei Haunted House?
Ich habe in meinen Büchern schon immer Humor angewandt. Anfangs, vor allem im George-Miles-Zyklus, setzte ich das vorsichtig ein, und immer im Dienste einer Idee oder einer Wirkung, die ich erzielen wollte und die mir wichtiger erschien. Ich habe Humor hauptsächlich verwendet, um mich an den Leser anzupirschen, oder den Leser abzulenken im Hinblick auf etwas Bevorstehendes, von dem ich wusste, dass es überraschend oder abschreckend sein würde. Ich sah Humor also als so eine Art Dekoration oder ein Illusionswerkzeug.

Bei Zac's Haunted House bewegte ich mich in ein Medium, das animierte GIF, das von Anfang an hauptsächlich humoristisch war. Es war also anders als meine schriftlichen Werke, weil die Dekoration bereits da war und anstatt herauszufinden, wie ich Humor mit der richtigen Temperatur und dem richtigen Ton generieren konnte, musste ich eher so komplex arbeiten wie ich konnte, um Inhalt, Emotion und Ton, usw. innerhalb dieser Vorgabe zu generieren. Selbst bei den Horror-artigeren Sequenzen—visuell abgebildetes Grauen ist so eng mit der Entstehung nervösen Gelächters beim Zuschauer verbunden und so sehr auf diese Reaktion ausgelegt, dass das Erschaffen verstörender Sequenzen sich immer anfühlte, als würde ich versuchen, einen bösartigen Clown dazu zu bringen, untypische Bewegungen auszuführen.

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Es hat mich gefreut, dieses Werk als Roman bezeichnet zu sehen, obwohl er online ist und hauptsächlich aus Bildern besteht. Ich frage mich, ob du, als jemand, der schon immer eher Avant Garde war, Gedanken zu der Frage hast, inwiefern es notwendig ist, dass sich der Roman der Aufmerksamkeitsspanne der Internetgeneration anpasst und andere Medien in die Erzählung integriert.
Es gibt natürlich Autoren, die mit reinen Internetmaterialien wie Memes, Links oder Chatforen und den dazugehörigen Abkürzungen interessante Dinge machen. Aber das sind bisher hauptsächlich Kurzgeschichten- oder Gedichtformate, glaube ich. Ich habe mich erst vor ein paar Tagen mit jemandem auf meinem Blog über die Idee eines Romans, der komplett aus Emoticons besteht, unterhalten. Der Gedanke entstand wegen dieses Kerls, der ausschließlich Emoticons verwendete, um Rezensionen von Tao Lins Büchern zu schreiben. Jetzt, wo Leute zum Beispiel anfangen, ganze Absätze davon in ihre Social-Media-Kommunikation einzubauen, ist es vielleicht auch möglich, Fiktion in Langform damit zu schreiben, auch wenn das garantiert sehr anstrengend zu lesen wäre.

Ich frage mich, ob zum Beispiel Videoclips interessantes Arbeitsmaterial liefern würden. Oder vielleicht könnte man einen Roman schreiben, der an verschiedenen, wechselnden Orten spielt und wo die Lokalitäten selbst eingesetzt werden könnten, um den Raum, der den Text umgibt, in etwas zu verwandeln, das einfach genug ist, um das Geschriebene nicht mit dem Reiz des Neuen zu stören oder zu kontaminieren, aber das die Eigenschaften oder Absichten der verschiedenen und verteilten Kontexte als Hintergrund- oder Randinformation kommunizieren kann. Es muss tonnenweise Möglichkeiten geben.

Aber ich denke nicht, dass es notwendig ist, dass der Roman mutiert, um im Internet ein relevanteres Dasein führen zu können. Ich denke, PDFs und eBooks sind nicht allzu primitiv und völlig im Einklang mit den Werken von Schriftstellern, die bei reinen Texten und seitenbasierter Arbeit bleiben wollen. Es ist nur so, dass es in jeder großen Kunstform Künstler gibt—einige von ihnen recht beliebt und hochangesehen—die das Internet studiert haben und die seine Errungenschaften und Eigenheiten in ihre Arbeit aufgesogen haben, vor allem in der Musik, der visuellen Kunst und im Film, ohne die Identität ihres Mediums zu kompromittieren oder andere Leute als Hardcore-Puristen vor den Kopf zu stoßen. Worauf warten also die Romanschreiber?

Hier kannst du Zac's Haunted House lesen.