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Dieses Video von einem Autofahrer, der einen Fahrradfahrer umtreten will und dabei auf die Fresse fällt, ist wahre Kunst

Wut kann sehr schnell zu etwas Wunderschönem werden.

Alle Screenshots: YouTube

Stürzen wir uns doch direkt kopfüber in den kristallklaren See, der dieses Video ist—ein Video, das übers Wochenende viral ging und in dem ein Mann zu sehen ist, der von einem Fahrradfahrer so wütend gemacht wird, dass er diesem Fahrradfahrer hinterherrennt, dessen Hinterreifen wegtreten will, dabei stolpert und sich bei der ganzen Aktion die Finger sowie mehrere Gesichtsknochen bricht. Der Hitzkopf zeigt eine Wut, die so rein und so heftig ist, dass es fast schon wunderschön anmutet—eine Wut, die anscheinend so omnipräsent und unendlich ist, dass der Beifahrer nicht mal mit der Wimper zuckt oder auch nur ein Wort sagt, weil er das Ganze schon so gewöhnt ist.

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Hier ist das virale Video mit dem Titel „A clown takes a pratfall":

Nach zwei Minuten und 52 Sekunden ist die meiner Meinung nach schönste Sache der Welt zu hören, nämlich der Satz „put your FUCKING MOUTH SHUT". Um es kurz zu erklären: Der Peugeot-Dad ist aus einem klassischen Dad-Grund wütend, denn Fahrradfahrer zahlen keine KFZ-Steuer und halten sich deswegen auch nicht an die Straßenverkehrsregeln. Schließlich bemerkt der Fahrradfahrer, dass der Autofahrer selbst keinen Sicherheitsgurt angelegt hat und sich dementsprechend ebenfalls nicht an die Verkehrsregeln hält, und weist ihn deshalb an, sich anzuschnallen. Als Antwort gibt unser Peugeot-Dad dann das wütende „put your FUCKING MOUTH SHUT" von sich.

Das ist der perfekte Satz. Das ist wirklich der perfekte Satz. Auf dem Gebiet der Phonoästhetik ist man im Allgemeinen der Meinung, dass im Englischen das zusammengesetzte Substantiv „cellar door" die perfekte Silben- und Vokalkombination bzw. der perfekte Ausdruck ist, der über die Zunge gleitet und tanzt. Bei aller Liebe, aber das ist Bullshit. Man sollte den eben erwähnten Wikipedia-Artikel mit einem Eintrag über „put your FUCKING MOUTH SHUT" ersetzen, denn dieser Satz ist in seiner Perfektion so wütend, dass zwischen dem „fucking" und dem „mouth shut" eine klare Richtungsänderung zu hören ist. Die Pause zwischen den Worten dieses Satzes ist für mich der Höhepunkt und lässt mich immer wieder verstummen. Der Fahrer fängt mit dem „Put your …" an, hält dann kurz inne und wird sich bewusst, dass ihm nichts einfällt, was zu dem Wort „put" passt. Deswegen flucht er erstmal, um Zeit zu gewinnen, und presst mit sich überschlagender Stimme ein „FUCKING" heraus, während er ungelenk an seinem Sicherheitsgurt herumzupft. Schließlich wird ihm klar, um was es ihm eigentlich geht, nämlich dass der Fahrradfahrer seinen Mund hält. Und so fallen ihm die richtigen Worte wie Schuppen von den Augen und er stößt die einfachsten möglichen Bausteine seiner Anweisung hervor: „MOUTH SHUT!" Danach fährt er noch einen halben Meter weiter und legt dann eine Vollbremsung hin. Mein Gott, dieser Satz ist einfach perfekt. Ich sollte ihn mir tätowieren oder auf meinen Grabstein eingravieren lassen.

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Das ist die eindeutige, sofort zu erkennende Schönheit der totalen Dad-Wut. Denn genau das ist hier ja auch zu sehen: Ein Vater, der in Echtzeit vollkommen ausrastet. Der Fahrradfahrer hält neben ihm an und weist ihn darauf hin, dass er ihn viel zu nah überholt hätte. Aber unser Peugeot-Dad ist schon in diesem Moment kurz davor, komplett auszurasten. Er ist auf 180, ohne überhaupt irgendwann in der Nähe von 0 gewesen zu sein. Er war vielleicht bei seiner Geburt noch ziemlich ruhig, aber seitdem ist er konstant irgendwo auf 180. „OI", meint er, „HOW FUCKING BIG IS THAT BICYCLE?" Nein, keine Diskussion, keine Entschuldigung, nur pure Wut. Und genau das liebe ich. Stell dir doch mal vor, wie du herumfährst und dabei ständig von Hass und Zorn erfüllt bist. In einem Peugeot. Und ich will nochmals darauf hinweisen, dass der Beifahrer kein Wort sagt. Er ist das Ganze schon gewöhnt. Der Autofahrer verhält sich anscheinend so, wie man es von ihm erwarten würde. Er ist der wütendste Mann der Welt.

Aber der eigentliche Hauptakt des Videos ist dann doch der Sturz—ein anmutiger und perfekter Moment des Karmas, der mehr als nur „komisch" ist und sich in Zeitlupe zu einem kleinen Kunstwerk entwickelt.

Genau dieser Tritt wird unserem Peugeot-Dad zum Verhängnis. Während der Verfolgungsjagd wird ihm klar, dass sein menschlicher Körper nicht mit der Geschwindigkeit eines Fahrrads mithalten kann, und aus diesem Grund versucht er in hasserfüllter Verzweiflung, das Hinterrad platt zu treten. So verliert er allerdings das Gleichgewicht, der Fuß, auf dem er landet, gerät sofort ins Wanken und schließlich …

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… wird auch ihm klar, dass er verloren hat. Genau in dem Moment, in dem er ihn am meisten braucht, wird der wütende Mann von seinem schwachen Trittfuß verraten und er steuert nach links.

Er bewegt sich immer noch nach vorne und seine Bewegung fegt ihm irgendwie die Brille aus dem Gesicht.

Und dann kommt er endlich, der Moment der Wahrheit, der perfekte Hechtsprung: Beide Füße befinden sich in der Luft, die Arme sind für den unausweichlichen Aufprall ausgebreitet und der graue Asphalt nähert sich unaufhaltsam. Für einen kurzen Moment ist alles ruhig und glasklar: Sein Gesicht ist weich und er sieht aus, als hätte er das, was kommt, akzeptiert, sein Körper ist bereit für das Schicksal, das er seiner Wut zu verdanken hat, und er bereitet sich auf die Schmerzen vor—Schmerzen, die er nicht nur am ganzen Körper, sondern auch in seinem Ego verspüren wird, das verbeult ist wie eine Peugeot-Motorhaube nach einem Zusammenstoß mit einem Fahrradfahrer. Dieser Moment dauert eine gefühlte Ewigkeit. Dieser Moment ist wunderschön und kommt wie ein wahres Kunstwerk daher. Hat es 2015 schon einen Moment gegeben, der perfekter war als dieser hier? Das bezweifle ich stark. Dieser Moment sollte auf eine Leinwand gebracht und für die kommenden Generationen in einem Museum ausgestellt werden. Man sollte Eintritt verlangen und die Schlange vor diesem Monument sollte sich ewig erstrecken. Mit Funkgeräten ausgestattetes Sicherheitspersonal sollte neben dem Kunstwerk positioniert werden. Profidiebe sollten versuchen, diesen Moment zu stehlen. Kunstfälscher sollten versuchen, diesen Moment zu kopieren und billig zu verkaufen. Das ist unsere Mona Lisa.

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Mann auf Straße, 2015

Mann streckt aus einer seitlichen Aufprallposition und Verzweiflung heraus seinen Arsch in die Luft, 2015

Autsch!, 2015

In den YouTube-Kommentaren und in der allgemeinen Diskussion seit dem Bekanntwerden des Videos geht es vor allem darum, wer der beiden Protagonisten nun im Recht sei. Dadurch verkommt dieser Akt der Gewalt im Straßenverkehr zu einer einfachen „Gut vs. Böse"- bzw. „Fahrrad vs. Auto"-Angelegenheit.

Wenn man sich allerdings nur darauf konzentriert, dann lässt man die eigentliche Quintessenz des Videos außen vor—nämlich dass es sich dabei um die wunderschönste Sache handelt, die unsere Generation bis jetzt hervorgebracht hat. Autos und Fahrräder werden irgendwann in Vergessenheit geraten, aber unser Peugeot-Dad wird Bestand haben. Wir werden alle irgendwann mal sterben, aber unser Peugeot-Dad, der dank seiner eigenen Wut mit dem Gesicht auf den Boden klatscht, wird für immer weiterleben.