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Popkultur

Dieses Video zeigt, in welcher absurden Parallelwelt deutsche Rechte leben

„Deutschland über alles", Diskreditierung von Flüchtlingen und Rechtschreibfehler: der Imagefilm von „Wir für Deutschland" ist ausländerfeindliche Propaganda in Reinform.

Screenshot: Facebook

Man kann rechten Aktivisten in ihren PR-Kampagnen einiges vorwerfen. Dass sie einen ziemlich schlechten Geschmack haben, wenn es um Schriftarten geht, zum Beispiel, oder sehr viele Ausrufezeichen verwenden. Nicht aber, dass sie nicht wissen, wie man so richtig hart aufs Pathos-Pedal tritt und dem besorgten Bürger das ein oder andere Tränchen aus den Augenwinkeln treibt. Die Facebook-Gruppe „Wir für Deutschland" hat nun eine Art Ideologie-Imagefilm veröffentlicht, der ein wahres Lehrstück in rechter Propaganda ist—und das nicht nur, weil es aufzeigt, dass patriotische Bürger zwar gerne besorgt sind, allerdings nicht sonderlich viele Gedanken an Satzzeichen und Rechtschreibung verschwenden.

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Das Video startet mit einer Obenansicht Deutschlands. Deutschland in all seiner Pracht, erleuchtet. Enig Vaterland. Das Volk sitzt in einem Boot, wird suggeriert, die Deutschen sind eine Nation, eine Familie. Sie halten zusammen und wenn das ein oder andere Bier geflossen ist, singen sie auch mal die erste Strophe des Deutschlandlieds (das vollmundig aus dem Hintergrund scheppert). Doch halt, nicht alles ist gut in dieser schönen Republik! Mit einem dramatischen dum-dum-duuuuum fliegt plötzlich ein altes Spiegel-Cover ins Bild. „Ansturm vom Balkan—Wer nimmt die Flüchtlinge?" heißt es da, bevor das Bild einer verhärmten alten Frau und mehrerer, offensichtlich traumatisierter Kinder von einer wehenden Deutschlandflagge und der Forderung nach sofortigen Grenzkontrollen abgelöst wird.

Der unvoreingenommene Zuschauer dürfte an dieser Stelle erst einmal verwirrt sein, der rechts orientierte Wutbürger hingegen wissend nicken. Der Deutsche singt zwar gerne Volkslieder und steht auf romantisierte Bilder seines Landes, ALLES lässt er aber nun wirklich nicht mit sich machen! Deutschland ist eine stolze Nation, eine tapfere Nation. Wer Weltkriege ausgelöst hat, lässt sich schließlich ein paar Jahrzehnte später nicht einfach auf der Nase rumtanzen und wird plötzlich zum Sozialamt der Welt! Dass so was in dramatisch inszenierten Facebook-Videos nicht mehr offen kommuniziert, sondern mit kryptischer Bildsprache suggeriert wird, liegt natürlich an der Linkspropaganda der Lügenpresse und den gekauften Politikern. Vielleicht auch an der Homo-Lobby und dem Genderwahnsinn, so genau weiß man das ja immer nicht. In jedem Fall dürfen echte Patrioten nicht mehr „die Wahrheit" sagen, was uns auch zum nächsten Bild bringt: Eine unglücklich aussehende Blondine mit wirrer Frisur, deren Mund mit einem „Freedom of Speech"-Aufkleber verschlossen ist.

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Hungerstreik auf Facebook: Rechte setzen sich jetzt endlich selbst außer Gefecht.

„Gab es den nicht auf Deutsch?", könnte man sich nun natürlich fragen, wo unsre deutschen Nachbarn genauso wie wir laut den Pegida-Sympathisanten doch sowieso alle zu amerikanisiert sind und unser kulturelles Erbe (Wurst, Bier, die Herrenrasse) mit Füßen treten. Aber schnell wird klar: Auch hier geht es nicht um konkrete Inhalte, die man bewusst hinterfragen sollte. Es geht um Emotion, um das irgendwie nicht so richtig einzuordnende Gefühl, dass man als Volk unfair behandelt wird. Unfairer als Menschen, die in Ländern leben, in denen Menschen öffentlich hingerichtet werden, und ganz bestimmt unfairer als diese verdammten Flüchtlinge, die alles hinter sich lassen mussten, um sich in provisorisch aufgebauten Zeltstädten „auf unsere Kosten ein schönes Leben zu machen."

Mit zunehmend dramatisch wirkender Musik folgt deswegen ein wahllos ausgesuchtes Stock-Foto (Kleingeld, deutscher Bundesadler, ein Bergsee) nach dem anderen. Ein bisschen so, als hätte man einen überhypten Videokünstler darum gebeten, den Gedankenstrom eines betrunkenen Pegida-Demonstranten visuell nachzuvollziehen.

Mehr Pension! Das Volk sollte den Bundespräsidenten wählen dürfen! Rettet die heimische Natur! „Wir fordern die Abschaffung von Studien (sic!) und Schulgebühren"! Schon bei Sekunde 40 ist klar, dass einiges—wenn nicht sogar alles—im Argen liegt. Armes Vaterland! Schuld daran sind wahrscheinlich die Balkan-Flüchtlinge vom Spiegel-Cover, immerhin die einzigen klar definierten Feindbilder im ganzen Video. So suggestiv kann man der Zielgruppe natürlich auch den Hass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen indoktrinieren.

Noisey: Frei.Wild covern Nazisongs.

Nach dem inhaltlichen Overkill folgt nach einer sehr dramatischen Explosion auch endlich die Auflösung der Frage, was genau das Volk denn nun tun kann, um der ganzen himmelschreienden Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen. An der „Wir für Deutschland"–Demonstration teilnehmen nämlich, die am 3. Oktober durch Berlin walzen möchte—während übrigens am selben Tag in Wien unter anderen Bilderbuch und die Toten Hosen bei der Großdemonstration „Voices for Refugees" auftreten.

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