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DIE SKAMMERZ ISHU

Geständnisse eines SMS-Abzockers

Dr. Love und seine Freunde haben sich als Single-Frauen ausgegeben, die nur auf die richtige Kurznachricht warten. So hat er eine Menge einsamer Männerherzen mit extrem teuren SMS gebrochen.

iPhone-Grafik mit freundlicher Genehmigung von Teehan+Lax

Im Frühjahr 2003 wurden in Deutschland die Premium-SMS-Dienste ermöglicht, mit denen verschiedene digitale Produkte—zum Beispiel polyphone Klingeltöne—gekauft und über deine Telefonrechnung abgerechnet werden konnten. Ich verstand das als lukrative Möglichkeit, einsamen Männern mit überteuerten Erotik-SMS das Geld aus der Tasche zu ziehen. Natürlich gab es die hübschen Frauen am anderen Ende der Leitung nicht. Dort saßen ich und ein Kumpel, in der einen Hand ein Bier, die andere auf der Tastatur und hielten die Typen bei der Stange. Manchmal haben bis zu vier Leute einer Person geschrieben. Eine Frau war nie darunter.

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Die Masche lief so, dass jeder „Kunde“ (= einsamer Mensch) pro SMS 1,99 Euro zahlen musste. Damit verdienten wir netto zwischen 0,89 und 0,94 Cent pro SMS, wobei wir an richtig guten Tagen bis zu 1.500 Nachrichten in unserer Inbox hatten.

Dass das Geld auch bei uns ankam, war kein Problem, weil jeder Kunde verpflichtet war, seine Handyrechnung zu bezahlen. Die Telekom hat uns unser Geld sogar gegeben, wenn der Kunde das nicht konnte. Dadurch entstanden keine unnötigen Inkasso-Gebühren und wir waren sorgenfrei.

Für dieses Geschäft brauchte man lediglich ein paar Rechner, einen Gewerbeschein und einen Premium-SMS-Provider, der die gesamte Administration für einen bereitstellte. Es war ähnlich wie bei einem Franchise-Unternehmen: Alle technischen Probleme wurden für uns behoben und wir brauchten eigentlich kein Hintergrundwissen, außer dem, wie man möglichst viele SMS bekommt. Wir hielten die Männer hin, mit Sachen wie „Ich komme gleich“ oder „Ich traue dir noch nicht, brauche noch mehr Küsse“. Man konnte denen eigentlich alles erzählen. Gesetzlich gab es kaum Vorschriften und wir durften alle perversen Fantasien bedienen.

Wir hatten unsere eigene Website, wo wir kurze Profile der Frauen mit Hobbys, Wünschen und dem Grund für ihre Einsamkeit anlegten. Die Seiten der Frauen wurden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Um gesetzliche Konflikte aufgrund von Persönlichkeitsrechten zu vermeiden, nutzten wir das Netz in Osteuropa, besorgten uns Fotos von hübschen Frauen und stellten sie online. Es gab die Möglichkeit, unter ca. 30 Profilen etwas für das einsame Herz zu finden. Die Auswahl zu treffen war immer Gefühlssache, und wir erkannten schnell, worauf die Leute standen. Viel mehr mussten wir nicht tun. Auf unserer Seite boten wir die erste SMS immer umsonst an. Meistens hat das schon ausgereicht, um die Männer in die Illusion zu ziehen. Dann fingen wir an, den Kunden schön lange bei der Stange zu halten und in dem Glauben zu lassen, dass er die Frau auf dem Foto tatsächlich irgendwann mal treffen könnte.

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Ein echter SMS-Verlauf, wie er damals geschrieben wurde. Insgesamt haben diese SMS den Sender 17,91 Euro gekostet

Damals konnte man sehr gut Werbung über neu.de, ilove und anderen Singletreffs machen. Frauenprofile waren dort immer kostenlos und die ideale Basis, um Kunden auf unsere Seite zu locken. Durch die Profilsuche konnte man sich immer auf einzelne Bundesländer konzentrieren und Männer gezielt anschreiben. Wenn wir am Vortag diese „Werbung“ gemacht haben, schlug sie in der Regel am nächsten Tag ein.

Die Nachrichtenmenge war von Kunde zu Kunde unterschiedlich, aber du kannst dir überlegen, wie viele SMS du schickst, wenn du an einer Frau interessiert bist und dich vielleicht sogar in sie verliebt hast—bestimmt 10 bis 20 pro Tag. Das war der Standard. Oft waren wir bis zu drei bis vier Monate mit denen in Kontakt, je nachdem, wie einsam das Herz war. Es wurde fast zu einer richtigen Beziehung, es ging dabei nicht immer um SMS-Sex, sondern auch viel um Nähe und Verständnis. Wenn man nach einem Monat eine persönliche Basis aufgebaut hat, bekommt man immer mehr Einblicke, du erfährst, dass die Mutter oder die Ehefrau stresst, und dann kommen langsam auch die finanziellen Probleme ans Tageslicht, die meistens wir verursachten. Sie schrieben, dass der Anbieter wieder Mahnungen schicke oder mit Inkasso drohe.

Mit der Zeit gaben wir den Kunden Spitznamen, die zu ihnen passten. Dr. Prepaid zum Beispiel musste jeden Tag seine Mutter bitten, seine Prepaid-Karte wieder aufzuladen, weil wir sie geplündert hatten. Ich erinnere mich auch an den Rosenprinz, der ständig SMS mit Kuss-Smileys schickte, um die Dame seines Herzens zu gewinnen—Küsse für 1,99—und einmal stundenlang mit Rosen auf sein Date wartete. Wir haben ständig versucht, die Kunden mit irgendwelchen Sprüchen zurückzuholen. Sogar wenn ein Kunde nicht mehr schreiben wollte oder konnte, gab es immer noch eine Chance, ihm eine letzte SMS abzuknöpfen. Wir schrieben einfach: „Bitte senden Sie eine SMS mit STOP, um keine weiteren SMS von diesem Anbieter zu bekommen.“ Und schon klingelte es wieder. Bei unserem Anbieter konnten wir zudem auch 0190-Nummern mieten und wir benutzen sie, wenn tatsächlich jemand unbedingt mit seiner Fake-Frau telefonieren wollte. Jeder Anrufer kam in die Warteschleife mit einem Minutenpreis von 4,99 Euro, bis er irgendwann auflegte.

Nachdem einige Kunden gegen den erotischen Service geklagt hatten, wurden die Gesetze nach eineinhalb Jahren geändert und die Polizei beobachtete die Szene genauer.

In Flensburg, wo ca. 80 Prozent der Unternehmen ansässig waren, fanden plötzlich Razzien, unter anderem auch wegen Steuerhinterziehung statt. Das war der Punkt, an dem ich und mein Kollege aufgehört haben, um der Fahndung zu entgehen. Glücklicherweise waren die Website und der Anschluss bei unserem Provider auf einen falschen Namen registriert.

Es dauerte bestimmt drei Jahre, bis der Staat die Abzocke durch Gesetze wirklich erschwerte. Mittlerweile ist dieser Bereich total ausgelutscht und es gibt klare Regelungen, damit Kunden nicht in extreme Kostenfallen tappen. Wenn ich rückblickend über diese Dinge nachdenke, ist es keine Sache, die mich besonders freut. Aber jeder schaut eben auf den Markt und nutzt seine Möglichkeiten. Außerdem sehe ich immer den Gesetzgeber in der Pflicht, die Menschen vor Leuten wie mir zu schützen.