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​Dinge, die ich beim Lesen meiner alten Tagebücher gelernt habe

Teenager sind wahnsinnig, man verliebt sich mit der Zeit nicht seltener und sorry Mama!
Fotos: VICE Media

Wenn wir Menschen irgendein ausgeprägtes Talent haben, dann ist das wahrscheinlich unsere Fähigkeit, die Vergangenheit zu verklären. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut oder schlecht ist, dass ich mich dieser Möglichkeit zumindest zum Teil beraubt habe, indem ich jahrelang Tagebuch geführt habe. Immerhin kann ich heute ganz genau nachlesen, wie es wirklich war (zumindest aus der Sicht meines früheren Ichs). Andererseits habe ich meine alten Tagebücher erst diese Woche wieder ausgegraben und hatte damit also sehr lange Zeit, die Vergangenheit doch noch zu verklären.

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Und ich hätte sie auch nicht wieder aufgeschlagen, wenn ich nicht nach dem Datum einer bestimmten Begebenheit gesucht hätte. Eine volle Stunde lang konnte ich nicht aufhören, zu lesen, mich zu schämen und zu denken: Wenn ich in 10 Jahren das lese, was ich jetzt schreibe, werde ich mich dann genau so schämen? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich macht es aber genau deswegen Spaß. Hier sind also ein paar Dinge, die ich beim Lesen meiner Tagebücher gelernt habe. Die Namen der Beteiligten wurden zu unser aller Wohl geändert.

Ich habe kein Recht, mich über Smileys aufzuregen :'(

Heute hasse ich Smileys, ich möchte bei das/dass-Fehlern von anderen Menschen heulen und wenn mir jemand eine Nachricht schreibt, in der so etwas Wahnwitziges wie *grins* vorkommt, möchte ich Gabriele Heinisch-Hosek und den ORF nehmen und ganz fest schütteln. Bildung(sauftrag), fünf, setzen!

Ich würde gerne behaupten, dass das schon immer so war, ich schon in der Grundschule meiner Sitznachbarin erklärt hätte, wann das und wann dass kommt, aber so ist es leider nicht. Ich war in Rechtschreibung eigentlich immer gut, aber wie allen anderen hat es auch mir in den 00er-Jahren irgendwie das Gehirn zerschmolzen und iCh haBe nuR nOch sOo geSchRieBen*. Hier ein Zitat aus meinem Tagebuch, April 2005:

Haben heute in der Stadt übrigens Felix getroffen. Er hat die Haare geschnitten und sieht jetzt endgeil aus. *g*. *g*, +g+, -g- und gg ist das gleiche wie grinsen. grins.!
+hihi+ Wooa, der Sommerbeginneintrag ist 4 Seiten lang geworden. *gäähn*. Bon nuit.

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Als Teenager ist man wahnsinnig

Als ich 15 war, ist mein erster Freund bei einem Autounfall gestorben. Ich weiß noch genau, wie schlimm das damals war. Ich habe Red Hot Chili Peppers und Linkin Park gehört, geheult, laut mitgesungen, geheult, Gedichte über das Sterben geschrieben, geheult und geritzt. Das hat mir damals irgendetwas gegeben, das ich heute absolut nicht mehr erklären kann. Jedes Mal, wenn es jemand gesehen hat, habe ich mich in Grund und Boden geschämt, aber damit es niemand sieht, hatte ich bei 35 Grad einfach auch lange Ärmel an.

Natürlich hat das auch meine Mutter mitbekommen—wie sie nicht wahnsinnig geworden ist weiß ich bis heute nicht. Im Nachhinein kann ich jedenfalls sagen, dass ich die Energie des Ritzens wohl besser in anderes stecken hätte sollen. Jugendlichsein zum Beispiel. Oder Mathe verstehen. Oder bessere Gedichte schreiben.

Ich habe kein Recht, mich über die „Jugend von heute" aufzuregen

Jugendliche sind schrecklich. Eh. Sie sagen Dinge wie Swag und Sheesh und Yolo und andere Dinge, die ich auch schon nicht mehr kenne, weil sie aktueller als 2011 sind. Sie wissen nicht mehr, was VHS-Kassetten sind oder dass Britney Spears mal süß war. Als wären wir damals anders gewesen. Wenn ich heute noch sage, dass etwas „voll cool" ist, dann schüttelt mein Papa den Kopf. Unser Sheesh war, DaSs wir sOo geSchRieBen und dass wir mit *rofl* und *gg* zu Ausdruck gebracht haben, wenn wir was lustig fanden. Dass wir Halloween und Valentinstag zu zelebrieren begonnen und mit x unsere nutzerxnamen auf Eventshooters und sms.at getrennt haben. Jugendliche sind unverständlich, egal in welchem Jahrzehnt.

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Man verliebt sich mit dem Älterwerden nicht seltener

Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr so richtig verliebt. Lange dachte ich, dass das früher anders war, weil ich damals irgendwie alle paar Monate einen neuen Freund hatte. Aber das stimmt eigentlich alles nicht. Ich bin auch heute noch alle 2 Tage in jemand anderen verknallt—nur weiß ich mittlerweile, dass das in Wahrheit nichts ist. Schon gar nicht Liebe. Mit 15 weiß man das halt noch nicht so ganz. Man verliebt sich also mit der Zeit nicht seltener—oder ich zumindest nicht. Man weiß nur irgendwann, was der Unterschied zwischen verknallt und verliebt sein ist.

Betrunken kann man nicht schreiben

Es mag schon sein, dass „write drunk, edit sober" eine gute Formel ist, wenn man Romane schreiben möchte, aber ich verstehe auch, weshalb Hemingway so ein glühender Anhänger von Schreibmaschinen war.

Große Teile meines nach dem Fortgehen Geschriebenen kann ich nämlich nicht mehr lesen. Wahrscheinlich ist das gut, weil die Teile, die ich lesen kann, sowieso peinlich genug sind. Aber das Schöne am Tagebuch ist, dass man nüchtern und betrunken schonungslos ehrlich ist. Ich habe einige Dinge gelesen, die ich tatsächlich schon verdrängt hatte.

Ich habe meine Gefühle besser unter Kontrolle

Es passiert nicht selten, dass ich innerhalb eines Tages zirka 100 Mal zwischen „ich liebe mein Leben und jeden Menschen dieser Erde" und „vielleicht wäre sterben auch nicht schlecht" hin und her schwanke. Das ist für mich völlig normal, nervt vielleicht ab und zu, aber wie langweilig wäre das Leben, wenn man voll und ganz stabil wäre? Aber, holy shit, die Gefühlsschwankungen, die ich als Teenager hatte, kann nicht einmal ich heute noch nachvollziehen. Wie ist es möglich, dass wir uns früher nicht alle in eine heulende und an Sex denkende Wolke aus Tränen, Blut und Hormonen aufgelöst haben?

Deswegen schulden wir unseren Eltern einfach alles. Egal, was uns unsere Kinder antun werden: Wir haben es verdient. Meine Mama hat es mal sehr schön formuliert: „Teenager kann man nur lieb haben, weil man sie davor 13 Jahre lang lieben gelernt hat." Das stimmt.

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VIDEO: Wenigstens bin ich nicht aus Plastik.

Erwachsensein ist nicht so toll wie man dachte

So daneben wie es ist, wenn wir heute die Vergangenheit idealisieren, so falsch haben wir früher die Zukunft idealisiert. Endlich fortgehen so lange man will, endlich kaufen, was man will, endlich einen Hund haben können. Nur sagt einem halt niemand, dass man nach dem Fortgehen viel verkaterter ist als früher, man sich als Erwachsener auch nicht alles leisten kann, was man gern kaufen würde und ein Hund wirklich sau viel Arbeit bedeutet. Außerdem: Steuern. What up with that? Hätte ich gewusst, was wirklich kommt, hätte ich in meinem ganzen Leben über keine Schularbeit gejammert. Oder darüber, dass ich nur bis 0:00 Uhr fortgehen darf. Unsere Eltern haben sich das also tatsächlich nicht einfach nur überlegt, um uns zu ärgern.

So viel gescheiter bin ich gar nicht geworden

Ich führe heute keine Liste mehr, in der ich aufzähle, mit wem ich schon geschmust habe, und ob ich das gut oder schlecht fand. Die Bewertung sah damals übrigens so aus:

++++ Kandidat hat 100 Punkte
+++ Sehr gut
++ Gut
+ *sterbenwill*

Das habe ich zum Glück schnell wieder aufgehört. Es gibt also schon Dinge, in denen ich ein bisschen reifer geworden bin. Zitate wie: „Er hat so lange über den Witz gelacht, der nicht mal wirklich lustig war, dass ich ihn jetzt einfach nicht mehr mögen kann" könnten traurigerweise aber auch heute noch von mir kommen. Ich schreib sie nur nicht mehr in ein Tagebuch, in der Hoffnung, sie schnell zu vergessen und möglichst bald zu denken, dass ich mit 25 eigentlich ziemlich super war.

Hanna schämt sich sicher auch bald für ihre Tweets: @HHumorlos.