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Popkultur

Dinge, die wir vom Tatort über Junkies gelernt haben

Alkoholismus, Kindermord und ‚Saw' im Frankfurter Villenviertel—die wichtigsten Erkenntnisse aus ‚Das Haus am Ende der Straße'.
Foto: HR/Degeto/Bettina Müller

Ach, der Tatort. Deutschlands vielleicht größtes Kulturgut nach Loriot und Thomas Gottschalks Frisur. Woche für Woche vereint er sowohl Deutschland als auch Österreich und die Schweiz vor dem Fernseher (oder zumindest Twitter) und schwankt immer wieder zwischen schlecht inszeniertem CSI-Abklatsch und bester Krimi-Unterhaltung. Das Haus am Ende der Straße markierte nicht nur den Abschied des Frankfurter Ermittlers Steier (Joachim Król), sondern gleichzeitig auch einen der erzählerischen Höhepunkte der letzten Mordfall-Sonntage. Obwohl in den ersten Minuten ein Mädchen erschossen wird, geht es vor allem um Abhängigkeit. Von Drogen, den inneren Dämonen, insbesondere aber Alkohol. Nachdem wir in der Vergangenheit schon einiges über Crystal Meth lernen durften, kommen jetzt die Erkenntnisse, die wir im Frankfurter Tatort über Junkies gewinnen konnten. Achtung, Spoiler.

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Alkoholismus ist bei Polizisten kein Problem (außer sie stehen vor Gericht)

Frank Steier hat ein Alkoholproblem. Seit Längerem. Seine Kollegen wissen das und obwohl er sich dadurch scheinbar in eine Art Außenseiterrolle manövriert hat, darf er weiter ermitteln. Allein. All das erfährt man als Zuschauer im Rahmen einer Gerichtsverhandlung zum Mord an einem kleinen Mädchen, zu der der Kommissar als Zeuge geladen ist. Steier war nämlich vor Ort und konnte den Täter zweifelsfrei identifizieren, leider kommt ebenjener aber trotzdem frei, weil der Strafverteidiger durch eine Bewirtungsquittung zweifelsfrei nachweisen kann, dass der Polizist sich am Abend zuvor ordentlich einen reingebrannt hat (sechs Wodka, eine Flasche Wein).

Steier wird von der Presse zerrissen und auch sein Vorgesetzter ist wenig glücklich über den Vorfall, woraufhin der gefallene Gesetzeshüter kündigt und die letzten Tage seiner Anstellung dazu nutzt, Rache an dem Kleinkriminellen zu üben, der unbescholten davongekommen ist: Nico Sauer (Maik Rogge), der ein bisschen aussieht wie Edward Snowden. Folgende Fragen drängen sich dem interessierten Zuschauer dabei direkt auf: Warum darf jemand, der ein offensichtliches (und mittlerweile öffentlich gewordenes) Alkoholproblem hat, weiter auf eigene Faust ermitteln und seine Dienstwaffe tragen? Müsste er nicht sofort vom Dienst suspendiert werden? Warum darf überhaupt jemand, der ein offensichtliches und (vor allem innerhalb der Wache bekanntes) Alkoholproblem hat, alleine ermitteln? Müsste man dann nicht noch mehr darauf bestehen, dass ebenjener Beamte eben nicht alleine Befragungen durchführt und ermittelt? Und—und das ist die wichtigste aller Fragen: Ist es nicht irgendwie geschmacklos, dass es zur Abschiedsfeier von Frank Steier Alkohol gibt?

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Es ist nicht wirklich überraschend, dass Leute, die beruflich mit brutalen Morden und den menschlichen Niederungen konfrontiert sind, wiederholt zur Flasche greifen. Wie komplett egal es aber anscheinend ist, dass Beamte restbesoffen und mit Schusswaffe im Anschlag irgendwelche Gebäude stürmen, ist dann doch irgendwie … besorgniserregend.

„Junkies bringen nur Stress, Geldprobleme und Krankheiten"

Foto: HR/Degeto/Bettina Müller

Nico Sauer ist ein ziemlich harter, kompromissloser Typ und hat keinerlei Problem damit, dass er im Rahmen eines Überfalls aus Versehen ein kleines Mädchen mit supercoolen Glitzerschuhen erschossen hat. Nico Sauer hängt in heftigen Clubs auf Sofas rum und hat geräuschlos mit irgendwelchen Groupies auf der Toilette Sex. Nico Sauer fickt die Disco, weil ein Gangster nicht tanzt. Und Nico Sauer sagt diesen Satz zu seinem Bruder Robin (Vincent Krüger), weil er dessen Junkie-Freundin Lisa (Janina Schauer) nicht mag.

Abgesehen von der Tatsache, dass Lisa tatsächlich etwas kränklich aussieht, im Vergleich zu den Junkies aus dem Crystal-Meth-Tatort aber ein ausgesprochen gutes Hautbild hat, ist diese Aussage aber eher selbstreflexiv zu verstehen. Nico hat seinen Gangster-Vorgesetzten mehr schlecht als recht ausgeraubt und schuldet ihm jetzt jede Menge Geld, weil der vor Gericht ausgesagt hat, dass er von jemand anderem überfallen wurde. Gleichzeitig ist er aber nicht in der Lage, seine Schulden zu begleichen und hat demzufolge ordentlich Stress am Hals.

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Alkoholiker haben nur dann ein Problem, wenn es gerade passt

Während Lisa als Heroin-Abhängige im Abstand von gefühlten 20 Minuten an unübersehbaren Entzugserscheinungen leidet, halten sich die beiden alkoholkranken Hauptdarsteller erstaunlich im Hintergrund, was ihr Suchtproblem angeht. Klar, wir wissen, dass Steier sechs Wodka und eine Flasche Wein trinkt, wenn er ausgeht und sein Gegenspieler Rolf Poller (Amin Rohde) ext ab und an mal ein bisschen Schnaps—wenn er sich gerade mal wieder umbringen will oder es zu einem intensiven Zwiegespräch kommt, zum Beispiel. Aber tatsächlich gibt es im kompletten Tatort keine einzige Szene, in der einer der erklärten Alkoholiker an so etwas wie Entzugserscheinungen leidet.

Das ist vor allem in der Situation interessant, in der Kommissar Steier über einen augenscheinlich mehrere Stunden umfassenden Zeitraum in einem Keller eingesperrt ist—und zuvor ohne Flachmann in der Hand Verbrechern nachgestiegen ist. Wenn es sich wirklich um Personen handelt, deren Problem so augenscheinlich ist, dass es ihr Urteilsvermögen trübt und sich bereits auf der Arbeit herumgesprochen hat—sollten wir dann nicht zumindest einmal zitternde Hände sehen? Vielleicht einen kleinen Schweißausbruch? Irgendwas?

Vielleicht hatte Frank Steier aber auch Off-Screen eine Art Läuterungserlebnis und sieht das Ende seiner Karriere als endgültigen Hinweis dafür, dass er seinen Alkoholkonsum in den Griff kriegen sollte. Was wissen wir schon? Wer ohne Schnapsfahne ist, werfe den ersten Stein.

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Menschen mit Suchtproblem sind kriminelle Genies

Foto: HR/Degeto/Bettina Müller

Wer sich irgendwann gen Minute 70 in einer hessischen Version der Saw-Reihe versetzt fühlte, lag nicht ganz falsch. Rolf Poller hat zwar einerseits Probleme damit, den Verlust seiner Familie zu verarbeiten, liest andererseits aber in anderen Menschen wie in einem Buch. Seine stärksten Szenen hat Das Haus am Ende der Straße nämlich genau dann, wenn der vermeintlich so gemütliche Einsiedler plötzlich einen Psychokrieg gegen die Amateur-Einbrecher und Kommissar Steier führt.

Das Ganze kam leider nicht so richtig überraschend, denn wer jemals einen Horrorfilm gesehen hat weiß: Männer, die gerne trinken, ihre Familie verloren haben, irgendwo am Rand der Stadt leben und eine Schrotflinte besitzen, sind IMMER verrückt. Wie Poller dann allerdings Robin gegen seine Freundin und den großen Bruder ausspielt—samt Spritzbesteck, blanken Brüsten und Fake-Anrufen bei der Polizei—, ist verdammt raffiniert. Vielleicht sollten wir umdenken und die gut gefüllte Hausbar als verlässlichstes Anzeichen dafür sehen, dass wir gerade mit einem psychotischen Killer abhängen.

Wenn wir gerade schon über kriminelle Energie sprechen: Nicht zu vergessen ist da natürlich auch Heroin-Lisa, die ihren missbräuchlichen Drogenpaten mithilfe von Robin und Nico ausraubt. Das war zwar mehr Fifty Shades of Grey meets Trainspotting als Saw, rein organisatorisch für jemanden, der im kompletten Tatort nicht mehr als 10 Sätze sagt, dann aber doch irgendwie beeindruckend.

Alkoholiker haben einen super Musikgeschmack

Der komplette — Tatort l Das Erste (@Tatort)22. Februar 2015

Solltet ihr jemals den perfekten Soundtrack für gruselige Zwiegespräche, das Einschüchtern von Geiseln oder halbernste Selbstmordversuche suchen—fragt einen Alkoholiker.

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