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Die beste Anti-Kriegs-Rede des Jahres stammt ausgerechnet aus einer Science-Fiction-Serie

Selbst wenn ihr kein Fan von „Doctor Who" seid, solltet ihr das Transkript der aktuellen Folge lesen.

Foto via YouTube

Wenn man eine Gesellschaft wirklich verstehen will, sollte man sich ihre Science-Fiction ansehen. Dieser Satz stammt von William Gibson, der zugegeben als Science-Fiction-Autor und Erfinder des Begriffs „Cyberspace" nicht ganz unparteiisch ist. Trotzdem trifft er ins Schwarze: Sci-fi ist die nerdige Müllhalde unserer Zukunftsprognosen und sagt dabei am meisten über unsere Gegenwart aus.

Das stimmt besonders für Doctor Who und hier ganz besonders für die Folge vom letzten Wochenende. Nirgendwo gab es im bisherigen TV-Jahr eine so scharfe Brandrede gegen Krieg und für Humanismus, bei der man das Gefühl hat, dass Hauptdarsteller und Autorenteam richtig aus der Handlung heraustreten.

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Für alle, die das Konzept der Serie nicht kennen, gibt es hier die Kurzfassung in 25 GIFs. Aber eigentlich solltet ihr sofort Staffel 1 bis 8 bingewatchen, wenn ihr kein Problem mit britischem Humor (und britischen Serien generell) habt, übertriebene BBC-Kostüme mögt und auf die Leichtigkeit von Per Anhalter durch die Galaxis mit den Dimensionen von Star Trek steht.

Alles, was ihr sonst über Staffel 9, Episode 8 wissen müsst, ist schnell erklärt: Die Erde ist vom Untergang bedroht, weil das geheime Friedensabkommen zwischen Menschen und Zygons zu zerbrechen droht. Deshalb holt der Doctor eine Vertreterin der Menschen (Kate) und eine Vertreterin der Zygons (Zygella) in einen Raum und stellt jede von ihnen vor eine Box mit zwei Knöpfen, von denen einer Auslöschung die Menschheit und der andere die Vernichtung der Zygons einleitet.

Hier lest ihr das vollständige englische Transkript der Folge. Das Stand-off beginnt, als Zygella erklärt, dass sie die Revolution gegen die Menschheit nur angezettelt hat, weil die Zygons ungerecht behandelt wurden, worauf der Doctor antwortet: „Alles, was ihr wollt, ist mit Grausamkeit Grausamkeit ausgleichen." und: „Der einzige Weg, wie ihr jemals in Frieden leben könnt, ist, indem ihr lernt, zu vergeben." Nachfolgend findet ihr den übersetzten Dialog.

DOCTOR: Was genau willst du eigentlich?
(Lange Pause.)
ZYGELLA: Krieg.
DOCTOR: Ah. Ah, alles klar. Und wenn dieser Krieg vorbei ist, wenn deine Heimat frei von Menschen ist, was denkst du, wie die Welt dann sein wird? Weißt du es? Hast du darüber nachgedacht? Hast du nur einen Gedanken daran verschwendet? Du stehst nämlich kurz davor, das zu bekommen, was du willst. Wie wird es sein? Beschreibe es mir. Werdet ihr in Häusern leben? Willst du, dass deine Leute zur Arbeit gehen? Wird es Ferien geben? Oh! Wird es Musik geben? Wird es deinen Leuten gestattet sein, Violine zu spielen? Wer wird euch Violinen machen? Du weißt es nicht, oder? Weil du genau wie jedes andere trotzige Kind in der Geschichte eigentlich keine Ahnung hast, was du eigentlich willst. Also, lass mich dir noch eine Frage stellen. Wenn du alle Bösen umgebracht hast, wenn alles perfekt und gerecht und fair ist, wenn du endlich das hast, was du willst, was wirst du dann mit Leuten wie dir machen? Die Unruhestifter. Wie wirst du deine glorreiche Revolution vor der nächsten beschützen?
ZYGELLA: Wir werden gewinnen.
DOCTOR: Oh, werdet ihr? Naja, vielleicht, vielleicht werdet ihr gewinnen! Aber niemand gewinnt ewig. Das Rad dreht sich weiter. Also komm. Durchbrich den Kreislauf.
ZYGELLA: Warum reden wir immer noch?
DOCTOR: Weil ich dich dazu bringen will, dass du es selbst siehst. Und ich bin fast da.

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Wie gesagt, Sci-fi existiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist immer auch ein Kommentar auf unsere aktuelle Situation. Das Bemerkenswerte hier ist, dass der Doctor den Kriegstreibern zwar den Krieg austreiben will—aber nicht, ohne dass sie selbst verstehen, warum ein anderer Weg der bessere wäre.

ZYGELLA: Wieso machst du das?
KATE: Ja, das würde ich auch gerne wissen. Wofür dieses Set-up?
DOCTOR: Weil es kein Spiel ist, Kate. Es ist ein maßstabsgetreues Modell. Jeder Krieg, der je geführt wurde, direkt hier vor uns. Weil es immer genau dasselbe ist. Ganz egal, wie sehr du dich im Recht fühlst—wenn du den ersten Schuss abfeuerst, weißt du niemals, wer sterben wird! Du weißt nicht, wessen Kinder schreien und brennen werden! Wie viele Herzen gebrochen werden! Wie viele Leben du damit zerstörst! Wie viel Blut du vergießen musst, bis alle das tun, was sie von Anfang an tun hätten sollen. Also setzt euch hin und redet! Hört mir zu. Hört her, ich will nur, dass ihr nachdenkt. Ihr wisst, was nachdenken bedeutet, oder? Es ist nur ein vornehmes Wort dafür, eure Meinung zu ändern.
ZYGELLA: Ich werde meine Meinung nicht ändern.
DOCTOR: Dann wirst du dumm sterben. Stattdessen könntest du einen Schritt von der Box zurücktreten, durch diese Türe gehen und deine eigene Revolution abtreten lassen.
ZYGELLA: Nein! Ich werde das hier nicht aufhalten, Doctor. Ich habe es begonnen. Ich werde es nicht stoppen. Denkst du, sie würden mich gehen lassen, nach allem, was ich hier getan habe?

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Das hier ist der Nixon-Moment der Folge: Wir erkennen, dass auch der schlimmste Kriegstreiber nur ein Getriebener ist, der „das Biest" (wie Nixon es nannte) nicht mehr in Zaum halten kann. Wer einen Mob anführt, muss ihm auch die Opfer bringen, die er fordert—sonst wird man selbst geopfert.

Die Nixon-Referenz dürfte mehr als nur Zufall sein; schon im ersten Teil der „Zygon Invasion" (nämlich eine Episode früher) posierte der Doctor als Nixon mit Victory-Pose beim Besteigen eines Flugzeugs.

Der Doctor lässt die Schuldzuweisung auf das System aber deshalb noch lange nicht als Ausrede gelten:

DOCTOR: Ihr seid alle gleich, ihr schreienden Kinder. Weißt du was? Sieh mich an, ich verzeihe nie. Hier kommt das Unerwartete: Ich verzeihe dir. Nach allem was du getan hast.
ZYGELLA: Du verstehst das nicht. Du wirst das nie verstehen.
DOCTOR: Ich verstehe das nicht? Ist das dein Ernst? Ich? Natürlich verstehe ich das. Ihr nennt das einen Krieg? Dieses kleine, lustige Ding hier? Das ist kein Krieg! Ich habe größere Kriege gekämpft, als ihr jemals kennenlernen werdet. Ich habe schlimmere Dinge getan, als ihr euch vorstellen könnt. Wenn ich meine Augen schließe, höre ich mehr Schreie, als ihr jemals zählen könntet! Wisst ihr, was man mit dem ganzen Schmerz macht? Ihr haltet ihn fest, bis er eure Hand verbrennt und dann sagt ihr das. Niemand anderer soll jemals so leben müssen. Niemand soll je diesen Schmerz fühlen müssen. Nicht, wenn es nach mir geht.
(Kate schließt die Box und tritt einen Schritt zurück.)
DOCTOR: Danke. Danke.

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Es gibt zwei Formen von Empathie: Die mit den Opfern und jene mit den Tätern. Je nachdem, auf welcher Seite man steht, verlangt die jeweils andere, seine tief verwurzelte Ideologie zu überwinden. Für unser Gehirn ist das die schwierigste Übung.

Deshalb wendet der Doctor einen rhetorischen Trick an, wie ihn nur ein Timelord aus dem Ärmel schütteln kann: Als die logische Dekonstruktion von Zygellas Kriegsidee durch reines Nachfragen nicht mehr funktioniert, schwenkt der Doctor um und bietet ihr eine andere Identifikationsfigur—nämlich sich selbst.

Anstatt Verständnis für die schwachen Opfer aufzubringen, muss Zygella nur den stärksten und brutalsten aller Siegertypen verstehen. Der Doctor verlangt also nicht Selbstüberwindung von ihr, sondern Selbsterkenntnis: Indem der Doctor Zygella im Zerrspiegel einen schlimmeren „Tyrannen" zeigt, lässt sie schließlich von ihrer Revolution ab. Die eigentliche Pointe kommt danach:

ZYGELLA: Sie sind leer, oder? Die beiden Boxen. Es ist nichts in ihnen. Nur diese Knöpfe.
DOCTOR: Natürlich. Und weißt du, woher du das weißt? Weil du begonnen hast, so zu denken wie ich.
(ZYGELLA lässt ihre Hand von den Knöpfen gleiten.)

Am Ende siegen nicht die Menschen oder die Zygons, sondern die Aufklärung. Beide Parteien lernen mit ihren eigenen Mitteln, die Argumentation des Doctors zu verstehen, und kommen—aus Vernunft—zum selben Schluss wie er.

Auch die Auflösung, dass die Boxen natürlich leer waren, ist mehr als ein reiner Sci-fi-Kunstkniff. Die Moral der Geschichte ist nicht, dass der Doctor seine Versuchskaninchen sowieso nur mit einer Simulation davon abhielt, echten Schaden anzurichten. Die Moral der Geschichte ist eher, dass der Schaden auch dann angerichtet werden kann, wenn die Boxen nur Attrappen sind. Denn Krieg ist ein Konzept, das im Kopf beginnt und das wir nur durch Denken überwinden können.

Markus auf Twitter: @wurstzombie