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Dortmund wird weder sein Neonazi-Problem, noch die dazu passenden Graffitis los

In Dortmund-Dorstfeld haben Neonazis ganze Straßenzüge mit Graffitis als ihr Revier markiert.

Aufkleber in Dortmund-Dorstfeld | Alle Fotos vom Autor

Wer ein Symbolbild für Dortmunds Nazi-Problem sucht, der wird in der Emscherstraße fündig. Hier im Stadtteil Dorstfeld wohnt nicht nur ein großer Teil der rechtsextremen Aktivisten, hier zeigen auch die Hauswände deren Gebietsansprüche. "Nazi-Kiez" steht dort gleich mehrfach in großen Lettern gesprüht. Dazwischen sind meterhohe schwarz-weiß-rote Fahnen gemalt. Und so wie mit den Neonazis selbst, hat die Stadt auch Schwierigkeiten, ihre Graffitis loszuwerden.

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Bereits seit Anfang der 2000er Jahre ist Dorstfeld zu einem Synonym für Dortmunds Probleme mit Rechtsextremisten geworden. Nach und nach zogen Neonazis aus anderen Stadtteilen und zum Teil aus ganz Deutschland hierher. Nicht nur um vergebens für ein viertes Reich zu kämpfen, sondern auch um das aufregende rechte WG-Leben der "Autonomen Nationalisten" zu genießen.

Den Stadtteil bezeichnen sie bis heute als "Nazi-Kiez". "Hier regiert nur einer, die Nazis und sonst keiner", riefen die Teilnehmer einer rechtsextremen Demo im Februar 2016, als sie, von Polizisten begleitet, die Straße ins Viertel hoch liefen.

Dieses Reviergebahren drückt sich nicht nur in Graffiti und Sprechchören aus. Allein in den letzten Monaten gab es mehrere Angriffe auf Nazi-Gegner und Polizisten. Im September bedrohten Neonazis einen 17-Jährigen mit Schlägen, spuckten zwei Personen ins Gesicht. Am selben Tag wurden in Dorstfeld zwei junge Männer von Rechtsextremen mit Pfefferspray angegriffen.

Die Dortmunder Polizei ist schon seit mehreren Jahren verstärkt in Dorstfeld auf Streife. Um die rechte Szene klein zu kriegen, gibt es eigens eine "Soko Rechts". Nachdem sich die rechten Straftaten in den letzten Monaten wieder gehäuft hatten, hat die Polizei ihre Strategie nochmal angepasst. Das neue "Präsenzkonzept" sieht vor, dass jetzt noch mehr Streifenwagen und Zivilpolizisten durch das Viertel patrouillieren, um die rechten Straftäter möglichst auf frischer Tat zu erwischen. Die Polizei werde es nicht dulden, dass die "rechtsextremistische Randgruppe" die Mehrheit der Bevölkerung einschüchtert, sagt ein Behördensprecher auf Anfrage von VICE. Die Neonazis reagieren darauf mit Gewalt.

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Im Erdgeschoß dieses Hauses in Dorstfeld haben Neonazis mittlerweile ein Lokal eröffnet

Erst kürzlich hat ein besonders einfallsreiches rechtsextremes Pärchen zwei Zivilpolizisten mit einer Stroboskop-Taschenlampe geblendet. Bei der anschließenden Kontrolle haben der 25-Jährige und die 26-Jährige um sich getreten und versucht, die Polizisten zu schlagen. Für den 25-Jährigen ging es daraufhin zur Personalienfeststellung in die Polizeiwache. Dort hat es dem Neonazi anscheinend gut gefallen: Erst als die Polizisten ihm einen Platzverweis erteilten, wollte er die Wache wieder verlassen.

Eine weitere Reaktion auf das Polizeikonzept: Bis Ende des Jahres hat die Splitterpartei Die Rechte gleich neun Kundgebungen und Demonstrationen in Dorstfeld angemeldet—unter anderem an Heiligabend. Der Kundgebungsmarathon ist nicht das erste Mal, dass die Neonazis mit Versammlungen vor allem an Feiertagen versuchen, die Polizei zu nerven und Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese Versammlungen hatten in der Vergangenheit selten viele Teilnehmern, trotzdem hielten sie die Polizei und antifaschistische Initiativen auf Trab.

Kein Nazi-Kiez

Viele der rechten Straftaten in den letzten Monaten wurden rund um den Wilhelmplatz im Zentrum des Stadtteils begangen. Nur wenige Meter sind es von dort bis zur Emscherstraße mit ihren Neonazi-WGs und rechten Schmierereien. Auch in anderen umliegenden Straßen wohnen mehrere Neonazis. Der Stadtteil Dorstfeld ist aber um ein vielfaches größer—und in seiner Gänze alles andere als ein Nazi-Kiez. Gerade außerhalb Dortmunds hat der Stadtteil trotzdem einen braunen Ruf. Daran haben die Neonazis jahrelang gearbeitet—mit Aufsehen erregenden Demonstrationen und ausgeklügelten Propagandashows. Und mit den vielen Aufklebern, Tags und großflächigen Sprühereien.

Auch in dem Haus vor dem die Polizei hier steht, wohnen stadtbekannte Neonazis

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Welcher normale Bürger will schon in eine Straße ziehen, die mit Reviermarkierungen bekennender Nazis vollgesprüht ist? Der Stadt Dortmund ist das Problem bekannt. Die Stadt hat dieses Jahr beispielsweise einen "Frühjahrsputz" durchgeführt, mit dabei: der Oberbürgermeister, Polizeischutz und Pressebegleitung. Dabei wurden vor allem Aufkleber entfernt. Auch sonst sind Mitarbeiter der Stadt in Dorstfeld unterwegs, um rechte Schmierereien zu verhindern. Sie patrouillieren gemeinsam mit der Polizei, zivile Mitarbeiter suchen nach Aufkleber und Graffiti auf öffentlichen Flächen, um dafür zu sorgen, dass sie entfernt werden. Gegen die dauerhafte Reviermarkierung der Neonazis kommen sie aber nur schwer an.

Lange wurden Stadt und Polizei Untätigkeit vorgeworfen, in den letzten Jahren gehen sie aber immer stärker gegen die Neonazis vor.

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Dabei steht die Stadtverwaltung jedoch vor einem Problem: Die größten Schmierereien befinden sich an privaten Wänden. Wenn Mitarbeiter der Stadt solche Graffiti feststellen, sprechen sie die Hausbesitzer "vor Ort persönlich und nachhaltig" an, wie ein Sprecher der Stadt Dortmund auf Anfrage von VICE mitteilt. Auswärtige Vermieter würden per Post darauf hingewiesen und gebeten, die Bemühungen der Stadt im Kampf gegen Rechtsextremismus zu unterstützen. Solange keine verbotenen Parolen oder Symbole an den Wänden sind, können die Hausbesitzer aber nicht zur Entfernung gezwungen werden, heißt es von der Stadt Dortmund.

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Das Ergebnis von Reinigungsaktionen

Der Besitzer der einschlägigen Häuser in der Emscherstraße duldet die Nazi-Sprühereien offenbar und vermietet seine Häuser schon seit Jahren bereitwillig an Neonazis. Der Beseitigung rechter Graffiti stellt er sich sogar aktiv in den Weg. An einer angrenzenden Hauswand über einer seiner Garagenanlagen stand lange die Parole "Bullen jagen". Der Besitzer des Hauses wollte sie entfernen, hätte dafür aber auf das Garagendach steigen müssen. Wie die Lokalzeitung Ruhrnachrichten berichtet, verbot der Garagenbesitzer und Vermieter ihm jedoch, das Dach dafür zu betreten.

Um ein Missverständnis oder Unwissenheit handelt es sich dabei wohl nicht. Der Vermieter wohnt selbst direkt um die Ecke, betreibt dort unter anderem ein Steuerberater-Büro. Für eine Stellungnahme war er für VICE bislang nicht erreichbar.

Die Polizei steht den Neonazis in ihrem selbsternannten "Kiez" zwar immer stärker auf den Füßen. Handeln können die Beamten aber nur, wenn sie rechte Sprüher auf frischer Tat erwischen. Oder wenn die Graffiti als Sachbeschädigungen angezeigt werden. In der Emscherstraße und der angrenzenden Tusneldastraße war das 2015 allerdings nur vier mal der Fall. 2016 gab es bislang drei Anzeigen wegen rechtsextremen Graffiti.

Die Neonazis feiern unterdessen ihren neusten Coup: In einem bereits länger von ihnen bewohnten Haus am Anfang der Emscherstraße haben sie mittlerweile eine ehemalige Bar gemietet. Damit können sie an die Nazi-Geschichte des Stadtteils anknüpfen: Bis 1945 hieß das Lokal "Zum deutschen Reichsadler".