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Warum Österreich bei der Ehe für alle immer noch im Mittelalter feststeckt

In den USA wird die Ehe für Homosexuelle geöffnet. In Österreich stimmen nur 26 von 136 Abgeordneten für einen solchen Antrag—und Andreas Gabalier rät Schwulen, sich in der Öffentlichkeit zusammenzureißen.

Foto: Tony Webster | flickr | cc by 2.0

Erst im Jänner wurde in Österreich das Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare aufgehoben. Dann folgte ein „Ja" in Irland zur Öffnung der Ehe (ja, dem katholischen, konservativen Irland) und letzte Woche wagten auch die USA den Schritt zur Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen und gemischtgeschlechtlichen Ehen vor dem Gesetz. Facebook wird seither überschwemmt von Regenbogen-Filtern. Der Hashtag #lovewins ziert Statusupdates, Fotos und sogar Gesichter.

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In Österreich gewinnt die Liebe aber vorerst nicht. Andreas Gabalier erobert nur Tage nach dem Urteil die Schlagzeilen damit, dass er nichts gegen Schwule habe (er kenne doch selbst drei schwule Pärchen!), aber diejenigen ihre Neigung trotzdem nicht öffentlich ausleben sollten—den Kindern zu Liebe. Gabalier ist das Vorzeigebild einer gewissen Gruppe, die um ihre Privilegien fürchtet.

Eine Befragung zeigt aber, dass er damit nicht stellvertretend für die Mehrheit Österreichs steht. Laut Der Standard sind nämlich 73 Prozent der Bevölkerung für eine Öffnung der Ehe auch in Österreich. Trotzdem sprechen sich auf politischer Ebene nur SPÖ, Grüne und Neos offiziell für Gleichberechtigung aus. Und sogar die drei Parteien handeln nicht immer unbedingt im Sinne der von ihnen gutgeheißenen Sache.

Zum Beispiel stimmten die Vorarlberger Grünen gegen den SPÖ-Antrag, gleichgeschlechtliche Paare konkret in der Landesverfassung in jenem Teil zu nennen, der besagt, dass das Land Familien zu schützen und zu fördern habe. Die lokalen Grünen begründen die Abstimmung damit, dass diese Änderung nur etwas auf dem Papier ändern würde, ohne die Lebensrealitäten der Betroffenen zu verbessern. Warum das aber zwangsweise gegen die erste Änderung auf Papier sprechen soll, bleibt unklar.

Die Bundes-Grünen brachten zum Anlass der jährlichen Regenbogenparade einen Antrag ins Parlament ein, der die Bundesregierung auffordert, die Ehe für alle zu öffnen. Sie blieben die einzige Fraktion, die geschlossen für den Antrag stimmte. Die SPÖ stimmte dagegen—und das obwohl sie eigentlich pro gleichgeschlechtliche Ehe ist und sogar bei der Vienna Pride mit einem eigenen Stand vertreten war. Der Grund dafür war das Koalitionsabkommen mit der ÖVP, das die Sozialdemokraten damit schützen wollen.

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Genauso unrealistisch wie eine SPÖ, die zu ihren Werten steht, ist aber auch, dass die ÖVP bald von ihrem Standpunkt abweichen wird: Erst kürzlich trat der Abgeordnete Marcus Franz—den man aus Tweets wie „Ob der Popsch hält, was der Blick verspricht. Das erfahren zu wollen wird nun bestraft. Cui bono??" kennt—beim „Marsch für die Familie" auf. Hier hielt er im Namen seiner Partei eine Rede, in der er sich für Familien einsetzte, solange diese aus Vater, Mutter und Kind bestehen; und demonstrierte mit der fundamentalistischen Christentruppe gegen das Recht auf Abtreibung. Franz ist erst neulich vom Team Stronach in die ÖVP gewechselt. Homosexualität findet er amoralisch. Die schwarze Bezirksvorsteherin des ersten Bezirks, Ursula Stenzel, hielt ebenso eine Rede.

Auch, wenn zwei ÖVP-Vertreter bei einem Fundi-Aufmarsch natürlich nur qualitative Eindrücke darstellen und sich nicht zwangsläufig auf die Gesamtheit aller Politiker umlegen lassen, zeigte das Abstimmungsergebnis im Parlament, dass sie damit ziemlich gut im Mittelfeld lagen.

Insgesamt haben nur 26 von 136 Abgeordneten für den Antrag gestimmt. Eine Volksabstimmung wie in Irland ist nur für die FPÖ und das Team Stronach denkbar. Die FPÖ ist sich aber sicher, dass die Bevölkerung die Ehe für alle ablehnen wird—obwohl sich wie gesagt eine Mehrheit der Bevölkerung dafür ausspricht. Grüne und Neos möchten, dass der Gesetzgeber den Schritt macht, anstatt eine Mehrheit über das Schicksal einer Minderheit entscheiden zu lassen.

Jedes Mal, wenn ein anderes Land die Ehe öffnet, wird in Österreich kurz diskutiert, nur um das Thema gleich darauf wieder zu begraben. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass es für Österreich schon reicht, darüber gesprochen zu haben. Alleine daran erkennt man, dass es die häufig als Feindbild (analog zur „Lügenpresse") heraufbeschworene sogenannte „Homo-Lobby", de facto in Österreich nicht gibt. Wir beschränken uns lieber auf große Events, wie Regenbogenparade und Life-Ball, bei denen es einfach ist, Toleranz zu signalisieren, anstatt realpolitisch für Gleichberechtigung für alle zu kämpfen.

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Die gleichgeschlechtliche Ehe ist kein Allheilmittel gegen Diskriminierung von Nicht-Heterosexuellen. Sie ist aber trotzdem ein Symbol für die Akzeptanz und das Selbstbild innerhalb einer Gesellschaft—und auch dafür, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften wenigstens auf dem Papier denselben Stellenwert haben wie gemischtgeschlechtliche (auch, wenn damit natürlich nicht alle Probleme erledigt sind).

Dabei geht es auch gar nicht um Liebe, sondern um das Prinzip, dass alle Paare dieselbe Ausgangsposition haben sollten. Es geht ganz einfach um banale, juristische Gerechtigkeit. Der Diskurs muss jedenfalls vom Volk ausgehen, das in diesem Thema sehr viel liberaler ist als die Politik. Es braucht Druck auf die Regierung, damit Ehe endlich gerecht wird. Demonstrationen und Volksbegehren sind vielleicht schwieriger zu organisieren—aber dafür sind sie auch wirkungsvoller als Regenbogenfilter.