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Mit dem Gewehr nach Syrien – sag, warum Rene?

Der 22-jährige Rene kämpft mit Scharfschützinnen gegen den Terror und unsere Politik, die ihn als Terroristen abstempeln könnte. Interview mit einem deutschen Frontkämpfer im Krieg gegen den IS.
Bild von Rene

In einem Alter, wo andere studieren oder sich das erste eigene Auto anschaffen, hat sich der 22-jährige Rene dazu entschlossen, nach Syrien zu reisen, um gegen den IS zu kämpfen. Statt die Wochenenden bei einer gemütlichen Runde in der Bar mit Freunden zu verbringen, sitzt Rene mit fünf seiner kurdischen Kameraden in einem Wachposten nahe der syrisch-türkischen Grenzstadt Ras al-Ayn. Seit drei Monaten hat sich der junge Deutsche mit dem Kampfnamen Botan der kurdischen Volksverteidigungseinheit (YPG) angeschlossen. Ich wollte wissen, warum.

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VICE: Rene, du bist seit einigen Monaten in ein für dich bis dato unbekanntes Land gereist, um dich dem Kampf gegen dem IS anzuschließen. Was hat dich dazu bewegt, dort hinzureisen?
Rene: Es gab da mehrere Gründe. Zum einen die Tatsache, dass immer mehr Radikale aus Deutschland nach Syrien gereist sind, um sich dem Terrorstaat IS anzuschließen—um unschuldige Menschen förmlich abzuschlachten. Diese Hilf- und Machtlosigkeit hat mich hier sehr nachdenklich gemacht. Ich konnte nicht einfach so tatenlos zusehen und nichts tun. Anfangs habe ich einige Hilfsorganisationen angeschrieben, um mit ihnen dort hinzureisen und humanitäre Hilfe zu leisten. Die haben mich jedoch alle abgewiesen, mit der Begründung ich solle spenden und zu Hause bleiben.

Du bist nicht zu Hause geblieben und dann Ende Oktober nach Syrien gereist. Wie ist der Kontakt mit den Kurden zustande gekommen?
Ich habe in den Medien den tapferen Kampf der Kurden im Sindjargebirge und Kobane gesehen und mich umgehend an kurdische Bekannte gewandt. Die haben mir einen Kontaktmann vermittelt. Der hat dann dafür gesorgt, dass ich mich der YPG anschließen kann. Ich bin dann über Düsseldorf nach Istanbul und von dort aus ins nordirakische Sulaimaniyya gereist. Von Sulaimaniyya wurde ich dann nach Syrien, ins kurdische Autonomiegebiet Rojava geschmuggelt.

Welche Schwierigkeiten kamen in den ersten Tagen auf dich zu?
Die Sprache war und ist immer noch das größte Problem. Ich bin in eine völlig neue Kultur gekommen, an die ich mich erst mal gewöhnen musste. Mittlerweile habe ich mich hier eingelebt. Das Wichtigste, was ich hier gelernt habe, ist, dass man mit dem zufrieden sein soll, was einem zur Verfügung steht. Die Menschen hier versuchen aus dieser Situation das Beste zu machen und wenn man dann mal eine Woche nicht duschen kann, dann ist das so. (Lacht.)

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Durftest du, in Syrien angekommen, direkt an der Front kämpfen?
Nein, so schnell geht das Ganze nicht. Wir wurden mit mehreren ausländischen Kämpfern aus Amerika, Großbritannien und den Niederlanden in ein Hauptquartier der YPG gebracht. Dort gab es eine Waffeneinweisung. Nach einen Monat Aufenthalt dort ging es dann los. Weil wir die kurdische Sprache nicht konnten, wurden wir an zweiter Front eingesetzt. Der IS war etwa zwei bis zweieinhalb Kilometer entfernt von uns.

Bist du immer noch dort stationiert?
Nein, wir sind mittlerweile an einem anderen Ort. Ich habe dort Wachdienst und wir sorgen für den Personenschutz eines hohen Kommandeurs. Für die nächsten Tage bin ich dann wieder für die Front eingeteilt. Ich werde dann vier dort sein und drei Tage im Hauptquartier Wache schieben. In dem Rhythmus sind die nächsten Wochen erst mal verplant.

Was war der beeindruckendste Moment in den letzten drei Monaten?
Ich habe Mitglieder der kurdischen Fraueneinheit (YPJ) getroffen und konnte mich mit ihnen unterhalten. Es sind junge Frauen Anfang zwanzig, die vor dem Krieg studiert haben und das Studium aufgrund der Situation abbrechen mussten. Sie sind hochintelligent, diszipliniert und erfolgreich im Krieg gegen den IS. Die meisten von ihnen werden als Scharfschützen direkt an der Front eingesetzt. Ich hab den allergrößten Respekt vor ihnen.

Die deutsche Bundesregierung hat die kurdischen Peschmerga mit Waffen beliefert. Die kurdischen Einheiten mit denen du in Syrien kämpfst, werden mit der in Europa verbotenen PKK in Verbindung gebracht und bekommen deshalb keine Waffen. Was denkst du über diese Unterscheidung zwischen guten und schlechten Kurden?
Zu allererst will ich klarstellen, dass die YPG keine Terrororganisation ist. Ich finde es ein Unding, dass zwischen guten und schlechten Kurden unterschieden wird. Zumal die Peschmerga und die YPG Seite an Seite die Stadt Kobane befreit haben. Unsere Einheiten habe die Moral und die Disziplin, den IS langfristig zu besiegen. Das kann aber nur funktionieren, wenn sie Waffen geliefert bekommen. Aber nicht nur Waffen. Auch an Ausrüstung und medizinischer Versorgung mangelt es.

Einige amerikanische und britische Kämpfer die sich der YPG angeschlossen haben, wurden nach ihrer Rückreise am Flughafen festgenommen und befragt. Anschließend wurden sie freigelassen. Hast du Bedenken, dass du nach deiner Rückreise von der Polizei befragt wirst?
Weil ich hier den Terror bekämpfe, soll ich Bedenken haben? Nein. Unsere Waffenexporte in Länder wie Katar und Saudi-Arabien haben eine Teilschuld an dem, was zurzeit auf der Welt passiert. Deutsche Granaten, die vom IS erbeutet worden sind, habe ich gesehen. Ich bin hierher gekommen, um den Menschen zu helfen. Ich verdiene hier keinen Cent und kämpfe nicht für Geld. Es ist eine Herzensangelegenheit geworden.

Gibt es etwas, das du deutschen Politikern sagen möchtest?
Ich lade jeden deutschen Politiker ein, hierher zu reisen, um sich den Widerstand der Männer und Frauen anzuschauen. Danach können sie selbst beurteilen, ob die YPG eine Terrororganisation ist oder nicht. Ich wurde hier mit einer Wärme empfangen, die ich so noch nicht erlebt habe. Als wenn ich schon Jahre lang ein Teil von ihnen wäre. Die Menschen hier unterscheiden nicht danach, was für eine Religion oder Nationalität du hast. Sie sehen dich in allererster Linie als Mensch. Hier leben Christen, Muslime, Jesiden, alle friedlich miteinander.

Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus und wie lange willst du bleiben?
Wie lange ich genau bleibe, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Ich werde demnächst für eine Zeit, aus familiären Gründen, nach Deutschland zurückkommen, aber danach auf jeden Fall wieder nach Rojava fahren. Ich habe den Kurden versprochen, so lange zu bleiben, bis sie ihr Recht bekommen. Das Recht auf ein freies Leben.