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Ein Amerikaner, der in Nordkorea im Gefängnis saß, hatte 30 Wachen – und alle haben ihn über die USA ausgefragt

Kenneth Bae war 735 Tage Gefangener in einem nordkoreanischen Arbeitslager. Jetzt hat er ein Buch über seine Tortur geschrieben und setzt sich für die Freilassung eines kanadischen Pastors ein, der etwas Ähnliches durchmacht.

Ein amerikanischer Missionar, der fast zwei Jahr in einem nordkoreanischen Arbeitslager festgehalten wurde, hat berichtet, dass die 30 Wachen, die allein für ihn zuständig waren, von ihm alles über Amerika wissen wollten.

Was kostet ein Haus? Hat wirklich jeder sein eigenes Auto? Diese und noch mehr Fragen wurden Kenneth Bae von den Nordkoreanern gestellt, die nichts über das Leben in den Vereinigten Staaten wussten.

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Bae war damals vorgeworfen worden, die Regierung stürzen zu wollen, woraufhin er 735 Tage in einem speziellen Lager für Ausländer in der Nähe von Pjöngjang interniert wurde. Momentan befindet er sich gerade auf einer Pressetour für sein neues Buch, das er über seine Tortur geschrieben hat. Außerdem setzt er sich für die Freilassung eines kanadischen Priesters ein, der zur Zeit das Gleiche durchmacht.

Hyeon Soo Lim, das 62 Jahre alte Oberhaupt einer 3.000 Mitglieder starken Gemeinde in Missisauga, Ontario, sitzt seit Februar 2015 in Haft und verbüßt dort eine Lebenslange Strafe inklusive Zwangsarbeit für Verbrechen gegen den Staat. Die Staatsanwaltschaft in Nordkorea behauptet, dass er mehr als 100 Mal unter dem falschen Vorwand der humanitären Hilfe in das Land gereist sei, wobei er eigentlich versucht habe, das Regime durch Religion zu stürzen.

Auch wenn Lims Familie meinte, es sei unwahrscheinlich, dass er auf seiner Reise missionarische Arbeiten geleistet habe, zumal er sonst immer sehr darauf geachtet hätte, dies zu vermeiden, hatte Bae tatsächlich Ausländer ins Land gebracht—und zwar nicht nur der kulturellen Verständigung und einer Förderung des Tourismus wegen, sondern auch, um für die Bevölkerung dort zu beten.

Bae selbst wurde während seines 18. Besuchs in dem hermetisch von der Außenwelt abgeschlossenen Land festgenommen, nachdem er versehentlich eine Festplatte mit Einsatzberichten und Videoclips westlicher Medien über Nordkorea bei sich geführt hatte. Er wurde von zwei Agenten von seinem Hotel aufs Land gebracht, wo er verhört wurde. Letztendlich zwang man ihn dazu, ein Geständnis abzulegen. Seine Erlebnisse hat er jetzt detailliert in seinem Buch Not Forgotten: The True Story of My Imprisonment in North Korea niedergeschrieben.

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"Sie wollten wissen, warum ich derartig beunruhigendes Material in das Land gebracht habe", sagte er in einem Interview mit VICE News.

Die Wachleute waren allerdings mit keiner seiner Antworten zufrieden. Erst vier Wochen und ein 300 Seiten starkes Geständnis später hörten sie auf, als Bae zugegeben hatte, Nordkoreaner missionieren zu wollen.

Die nächsten zwei Jahre schuftete er sechs Tage die Woche im Arbeitslager. Sein Tag begann um 6 Uhr. Nach dem Frühstück betete er für eine Stunde und ging dann auf die Bohnenplantage, wo er von 8 Uhr morgens bis 18 Uhr abends landwirtschaftliche Arbeiten erledigte. Er sollte in dieser Zeit mehrere Male ins Krankenhaus eingeliefert werden und verlor 30 Kilo—er verbrannte mehr Kalorien, als er mit den dürftigen Essensrationen aus Suppe, Reis und Gemüse aufnehmen konnte.

Trotzdem war seine Haft, seinen Wachen zufolge, als Ausländer komfortabler als das, was die Einheimischen durchmachen müssen, berichtete er. Er verfügte immerhin über sein eigenes Zimmer mit einem Bett und einer Toilette.

Mit der Zeit wurden die gelegentlichen Unterhaltungen zwischen ihm und den Wachen jedoch zu einem tiefgreifenden Austausch über die Unterschiede zwischen dem Leben in den USA und in Nordkorea.

"Es gibt wirklich nichts, wofür man sie beneiden müsste", sagte Bae, der sich daran erinnert, wie diejenigen, die in der Nähe des Arbeitslagers lebten, jeden Morgen fünf bis sieben Kilometer zur Arbeit laufen mussten. "Das ist Alltag für sie."

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"Am Anfang war es schwer, aber da ich ihre Sprache spreche, konnte ich kommunizieren", sagte er. "Sie waren neugierig. In den Medien sagt man ihnen nämlich, dass 1 Prozent der Menschen [in den USA] reich sind und 99 Prozent arm; dass die meisten Menschen auf der Straße leben und kaum jemand ein Haus oder ein Auto hat."

"Ich habe ihnen gesagt, dass das nicht wahr ist", so Bae weiter. "Sie wollen wissen, wie viel Geld man braucht, um eine vierköpfigen Familie zu ernähren—solche Sachen. Ich habe ihnen gesagt, dass die meisten Menschen ein Haus und ein Auto haben und sie meinten: 'Das kann nicht stimmen.'"

Ich habe ihnen gesagt, dass die meisten Menschen ein Haus und ein Auto haben und sie meinten, 'Das kann nicht stimmen.'

Bae kehrte Ende 2014 wieder in die USA zurück, nachdem Präsident Barack Obama Geheimdienstdirektor James Clapper nach Nordkorea geschickt hatte, wo dieser sich um die Freilassung kümmerte. Obwohl er nicht weiß, welche diplomatischen Manöver sich hinter den Kulissen abgespielt haben, hat Bae die kanadische Regierung beraten, wie sie Lim sicher nach Hause bringen kann. Er geht davon aus, dass er im gleichen Gefängnis festgehalten wird wie er damals.

Zu den Verbrechen, die Lim in Nordkorea zur Last gelegt werden, gehört die Verletzung der Würde der obersten Führung, der Versuch mithilfe von Religion das nordkoreanische System zu zerstören, das Verbreiten von negativer Propaganda über den Norden an Koreaner im Ausland, die Unterstützung der amerikanischen und südkoreanischen Behörden, nordkoreanische Bürger anzulocken und zu entführen, und die Unterstützung ihrer Programme, um Überläufern aus dem Norden zu helfen.

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Lims Familie zufolge war der Pastor während einer regulären humanitären Mission festgenommen worden. Er betreut dort ein Altersheim, ein Waisenhaus, eine Säuglingsstation und diverse andere Projekte.

Als sich Kanadas Global-Affairs-Abteilung angesichts der "unangemessen schweren Strafe" bestürzt zeigte und Trudeau verlauten ließ, dass "Probleme mit der nordkoreanischen Regierung und dem Rechtssystem wohlbekannt" sind, wies Nordkorea die Statements als "üble Nachrede" zurück und verurteilte die kanadische Regierung dafür, "einen Streit mit unserem fairen und gerechten Rechtssystem vom Zaun zu brechen".

"Anstatt sich jetzt darauf zu konzentrieren, ob Pastor Lim unschuldig ist, sollte der Fokus meiner Meinung nach darauf liegen, die Regierung Nordkoreas darum zu bitten, Pastor Lim als Zeichen des guten Willens aus humanitären Gründen wegen seines Gesundheitszustands und der allgemeinen Überforderung mit der Situation freizulassen", so Bae.

Bae gibt auch zu Bedenken, dass ein Interview, das Lim CNN im Januar nach seiner Verurteilung gegeben hatte, ein Zeichen dafür sein könnte, dass die Regierung in Pjöngjang zu Verhandlungen bereit ist.

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Kanadas Global-Affairs-Abteilung wollte keine Einzelheiten darüber nennen, was momentan über Konsulatsbesuche hinaus unternommen wird, um Lim wieder nach Hause zu holen. Man kümmere sich "von Anfang an sehr um den Fall". Einige kritisieren jedoch, dass die Regierung nicht deutlich genug vorgeht. Seit 2010 sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Nordkorea und Kanada eingefroren.

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Der ehemalige Minister Stockwell Day, der sich auf Wunsch von Lims Familie in den Fall eingeschaltet hat, sagte gegenüber VICE News, dass die Bemühungen der kanadischen Regierung "gut gemeint" seien, es aber vielleicht "an einem Verständnis der nordkoreanischen Mentalität fehlt".

"Die Menschen, von denen ich in Nordkorea höre, fragen sich, wie ernst es unsere Regierung im Vergleich zu den Bemühungen der USA damals meinen", sagte er.

Day hat sich laut eigener Aussage mit hohen kanadischen Beamten unterhalten, die direkt mit Lims Fall zu tun haben, konnte aber keinen wirklichen Fortschritt erkennen. Er steht auch mit Lims Familie in Kontakt. Diese hatte sich allerdings dazu entschieden, im Hintergrund zu bleiben, um sich nicht kritisch gegenüber der nordkoreanischen Regierung zu äußern. Sie machen sich "sehr, sehr große Sorgen", so Day.

"Es sollte einfach eine klare, präzise und direkte Nachricht von unserem Premierminister an ihren Führer geschickt werden, dass wir die Freilassung [von Lim] möchten", sagte er. "Andere [Statements] über ihre Regierung und was sie tun oder lassen sollte, sollte dabei außenvorgelassen werden. Das hier muss als Einzelproblem adressiert werden. Da hängt man nicht noch etwas anderes mit dran."

Diplomaten sollten allerdings aufpassen, Nordkoreas Regierung bei aller Einmischung auch genug Raum zu lassen, damit sie ihr Gesicht wahren kann, meinte Bae.

"In meinem Fall hat die amerikanische Regierung Nordkoreas Handeln nicht kritisiert", sagte er. "Der Grund, warum ich 735 Tage dort festgehalten worden war, beruhte natürlich auf unterschiedlichen Ansichten."