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Ein Australier erklärt uns Australiens restriktive Flüchtlingspolitik

"Wenn man in 20 Jahren Dokus über die Flüchtlingskrise dreht, wird Australien als das absolute verfickte Böse dastehen."

Foto: imago | Milestone Media

Australien ist das neue Sehnsuchtsland der Deutschen. Also nicht aller Deutschen, aber das von jenen, die am liebsten die gesamte Landesgrenze mit Zäunen befestigen würden. Die Regierung unter Tony Abbott hat kurz nach ihrem Amtsantritt eine Aktion namens "Sovereign Borders" ins Leben gerufen und fängt seitdem alle Flüchtlingsboote ab, die auf die australische Küste zusteuern. Die Grenzpolizei zwingt die Boote umzudrehen und interniert die wenigen Menschen, die das Land erreichen, auf vorgelagerten Inseln. Für Pegida und Co. sind Abbott und seine Regierung damit zum nacheiferungswürdigen Vorbild geworden. Dass die Flüchtlingslager von Papua-Neuguinea (Australien bezahlt den Inselstaat dafür, dort Lager zu betreiben) als illegal und verfassungswidrig verurteilt wurden, ist dabei natürlich zweitrangig.

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Wir haben uns von unserem australischen Kollegen Julian Morgans erklären lassen, wie die Flüchtlingssituation bei ihnen aussieht und wie sehr wir uns Australien wirklich zum Vorbild nehmen sollten.

VICE: Wie geht Australien mit Flüchtlingen um? Was ist eure offizielle Position?
Julian Morgans: Die offizielle Position ist, dass Einwanderer und Flüchtlinge, die über illegale Wege—also per Boot—nach Australien kommen, wieder zurückgesendet oder in Lager auf hoher See abgeschoben werden. Diese Hafteinrichtungen geben vor, nur eine vorübergehende Lösung zu sein, aber in Wirklichkeit ist bisher niemand, der hier reingebracht wurde, auch wieder rausgekommen. Berichte haben der Reihe nach gezeigt, dass diese Einrichtungen psychische Krankheiten befördern. Auch Fälle, in denen weibliche Inhaftierte von Wärtern vergewaltigt werden, gehören zur Normalität. Zusammengefasst verwendet Australien ziemlich furchtbare Lager, um Flüchtlinge davon abzuhalten, hierher zu fliehen.

Mit welchen Maßnahmen hält Australien Flüchtlinge davon ab, das Land zu betreten?
Da wir rund um uns Meer haben, ist das Ganze leider recht einfach zu bewerkstelligen. Im Wesentlichen überwacht unsere "Border Force"—das ist der etwas gruselige Name für unsere Küstenwache—die Nordgrenze mit Radar und Marineschiffen. Fast alle Boote kommen aus Indonesien über die Weihnachtsinsel, deshalb patrouillieren sie hauptsächlich in diesem Bereich.

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Kannst du uns ein wenig über die Flüchtlingsinseln erzählen?
Wir halten Flüchtlinge auf drei Inseln fest: der Manus-Insel, auf Nauru und der Weihnachtsinsel. Manus ist sehr abgeschieden und liegt nördlich von Papua-Neuguinea. Hier sind keine Frauen oder Kinder untergebracht, nur circa 1.000 Männer. Zwei Insassen sind bereits gestorben; einer wurde bei einem Aufstand totgeschlagen, der andere starb an einer tropischen Infektion.

Auf Nauru ist es dasselbe, nur dass hier auch ganze Familien eingesperrt sind. Vor Kurzem starb hier ein Mann, nachdem er sich vor UN-Inspektoren selbst angezündet hatte. Eine Woche später zündete sich eine junge Somalierin selbst an. Soweit ich weiß, ist sie immer noch im Krankenhaus. Eine andere Frau wurde schwanger, nachdem sie vergewaltigt worden war, und sie durfte keine Abtreibung vornehmen. Abtreibungen sind auf Nauru nämlich illegal.

Wenn man in 20 Jahren Dokus über die Flüchtlingskrise dreht, wird Australien als das absolute verfickte Böse dastehen.

Auf der Weihnachtsinsel geht es im Vergleich gemäßigter zu, weil sie bereits zu australischem Territorium gehört. Hier werden zwar auch ganze Familien eingesperrt, aber bisher gab es keine Todesfälle und nicht ansatzweise dieselbe Anzahl von Missbrauchsberichten wie auf den anderen beiden Inseln.

Was weißt du über die Deportation von Schiffen zurück auf hohe See?
Es ist ziemlich einfach. Wenn unsere "Border Force" ein Boot auffängt, eskortieren sie es zurück nach Indonesien. Wenn das Boot zu ramponiert ist, um die Reise zu überstehen, werden die Flüchtlinge in Wegwerf-Dinghis aus Glasfasern gesetzt. Sie sind orange und eigentlich als Rettungsboote für große Schiffe gedacht. Dann wird ihnen gesagt, sie sollen einfach nach Hause segeln.

Wie reagiert die Bevölkerung auf die Regierungsposition zu Flüchtlingen? Besonders der jüngere Teil?
Jüngere schämen sich für unser Land und sind schockiert. Ältere lieben es. Die Sache ist, dass Menschen, die Australiens offizielle Politik unterstützen, nie über die Internierungslager sprechen. Stattdessen verwenden alle den ziemlich plumpen Regierungsslogan, der sich irgendwie durchgesetzt hat: "Wir haben die Boote aufgehalten".

Funktioniert das Abwehrmodell eigentlich wie beabsichtigt?
Ja, es funktioniert. Ich glaube, wir hatten seit 2014 keinen einzigen Neuankömmling. Die Kehrseite ist, dass wir zu Monstern geworden sind. Ich habe es früher sehr gemocht, Teil eines netten Landes zu sein, das man im Ausland vor allem durch seine Strände, die Kängurus und das Betrinken im Sonnenuntergang kannte. Wenn ich heute verreise, werde ich nur noch auf Rassismus und Selbstverbrennung angesprochen.

Denkst du, die EU sollte dem australischen Beispiel folgen?
Nein. Tut es nicht. Wenn man in 20 Jahren Dokus über die Flüchtlingskrise dreht, wird Australien als das absolute verfickte Böse dastehen.

Markus auf Twitter: @wurstzombie